Max Mannheimer zeigte während einer Veranstaltung im Mai 2015 seine eintätowierte KZ-Häftlingsnummer. (Bild: Büro Irlstorfer/Peter Schwarzfischer/fkn)
Nachruf

Trauer um den Mahner Mannheimer

Bis zuletzt führte Max Mannheimer unermüdlich Zeitzeugengespräche, berichtete über sein Leben und klärte so über die Schoah und die Verbrechen des Nationalsozialismus auf. Jetzt ist der Holocaust-Überlebende im Alter von 96 Jahren gestorben.

Es gibt nur noch Wenige, die von den Gräueltaten der Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern erzählen können. Oder was es bedeutete, in dieser brutalen Diktatur aufzuwachsen. Die meisten Überlebenden der Mordfabriken sind mittlerweile gestorben oder sie schafften und schaffen es immer noch nicht, das Unsagbare in Worte zu kleiden. Einer, der nicht schweigen wollte, das war Max Mannheimer, der nun am Nachmittag des 23. Septembers im Alter von 96 Jahren in einer Münchner Klinik verstorben ist.

Nie wieder!

Wer ihn einmal kennenlernen durfte, der war entsetzt und berührt zugleich, wie detailliert er seine Erlebnisse in Auschwitz schilderte. Wie er gezwungen wurde, an aufgeschlitzten Körpern von Mithäftlingen vorbeizugehen, begleitet von Marschmusik. Erzählte er von seinem Bruder, wurde die Stimme auf einmal brüchig und seine Augen füllten sich mit Tränen. Gemeinsam mit ihm überlebte der Jude Mannheimer den Holocaust. Seine Eltern und die anderen Geschwister kamen in den Gaskammern ums Leben. Man fragte und fragt sich, wie kann ein Mensch so viel aushalten? Am Anfang ging das nur mit Tabletten, wie Mannheimer selbst sagte. Auch die Malerei half ihm, mit dem Schmerz umzugehen. Und das Erzählen.

Das Erzählen, Tabletten, Malerei haben mir geholfen, weil ich wusste, ich muss es schaffen und ich habe eine Aufgabe. Ich kann der deutschen Jugend, die nicht Schuld ist an dem, was gewesen ist, aber die Verantwortung für die Zukunft hat, ohne Hass und ohne Vorurteile die Gefahr einer Diktatur näher bringen.

Max Mannheimer

„Nie wieder!“, das war seine Botschaft. Wie kein Zweiter hat sich Max Mannheimer mit seiner ganzen Person eingebracht, um gegen das Vergessen anzukämpfen und gleichzeitig als Versöhner aufzutreten. Seit mehr als 30 Jahren führte Mannheimer Zeitzeugengespräche, klärte Schüler und Erwachsene über den Holocaust und die anderen Verbrechen des Nationalsozialismus auf. Sein Ziel war, junge Menschen für die Demokratie zu stärken und ihnen die Schuldgefühle zu nehmen, sagte Mannheimer Zeit Online. Für das, was in der Vergangenheit geschehen sei, könne man sie nicht verantwortlich machen. Für das, was in Zukunft geschehe, hingegen schon.

„Mannheimer wird uns allen fehlen“

Als „schmerzlichen Verlust“ bezeichnete Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) den Tod des Holocaust-Überlebenden. „Er wird uns allen fehlen“, sagte Seehofer. Mit leidenschaftlichem Engagement habe Mannheimer eine Brücke gerade zu jungen Menschen gebaut.

Er wird uns allen fehlen. Als Holocaust-Überlebender hat Max Mannheimer unermüdlich gegen das Vergessen angekämpft und gleichzeitig sein Leben in den Dienst der Versöhnung gestellt.

Horst Seehofer

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Mannheimer. „Wir schulden ihm Dank“, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert. Mannheimer sei ein „Mahner gegen das Vergessen und großer Versöhner“ gewesen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagte, Deutschland verliere „eine tief beeindruckende, herausragende Persönlichkeit“. Zeitzeugen-Stimmen wie die Mannheimers hätten „großen Anteil an der Erinnerungskultur, die Deutschland mühsam erlernt hat“.

„Mit Wehmut und großem Dank“ hat sich das Internationale Auschwitz Komitee von dem verstorbenen Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer verabschiedet. „Max Mannheimer war ein Überlebender des Grauens, der die Menschen trotz aller bitteren Erfahrungen liebte“, erklärte Christoph Heubner, Vizepräsident des Komitees. Er habe das Gespräch vor allem mit jungen Menschen gesucht. „Viele dieser jungen Menschen hat er in ihrer Entscheidung für die Demokratie, gegen den Antisemitismus und gegen den Hass entscheidend geprägt.“

„Ich konnte nie hassen“

Max Mannheimers Berichte haben in den letzten 30 Jahren ganze Generationen von jungen Menschen aufgerüttelt, ebenso wie sein versöhnendes Bekenntnis: „Ich konnte nie hassen“. Dieses Engagement fülle uns mit tiefer Dankbarkeit und sei gleichzeitig Mahnung an alle, es ihm gleichzutun, sagte CSU-Politiker Erich Irlstorfer, der noch im Mai 2015 eine Veranstaltung mit ihm moderierte. „Noch im Juni dieses Jahres besuchte Max Mannheimer die Wirtschaftsschule Freising, meine ehemalige Schule“, berichtete Irlstorfer weiter. „Ich glaube jeder, der das Glück hatte, Max Mannheimer einmal zu begegnen und ihn zu erleben, war von seiner Person überwältigt. Sein natürliches Charisma, sein witziger Charme, seine Klugheit, seine Milde und Freundlichkeit machten ihn zu einem ganz besonderen Menschen. Ich werde diese Begegnungen nie vergessen.“

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, würdigte Mannheimers Rolle als Vermittler und sah in ihm nicht nur eine Stimme gegen das Vergessen, sondern für das friedliche und respektvolle Miteinander.

Max Mannheimer verstand sich nicht nur als Mahner, sondern ganz bewusst auch als Vermittler. Er ließ sich von seinem grauenvollen Schicksal nicht den Lebensmut nehmen, verzagte und verzweifelte nicht, ließ sich nicht verbittern. Vielmehr war er unvorstellbar gnädig und bereit, auf die Menschen, vor allem die jungen Menschen in unserem Land, zuzugehen.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Jedoch endete seine Versöhnlichkeit dort, wo er gegenwärtige Missstände und Fehlentwicklungen witterte. „Bis zuletzt prangerte er wachsende Geschichtsvergessenheit, Rechtsextremismus, Antisemitismus sowie Menschenverachtung in jeder Form an und appellierte an die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen“, sagte Knobloch. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte, sie verliere mit dem Tod von Max Mannheimer einen persönlichen Freund.

Max Mannheimer wird uns als Zeitzeuge fehlen. Ich verliere auch einen persönlichen Freund. Es liegt nun an uns allen, sein Vermächtnis fortzuführen und dafür zu sorgen, dass Antisemitismus und Rassismus nie wieder einen Platz in Deutschland haben.

Gerda Hasselfeldt

Der Weg in die Öffentlichkeit dauert Jahrzehnte

Es habe jedoch einige Jahrzehnte gebraucht, bis Mannheimer die Kraft hatte, öffentlich gegen das Vergessen zu kämpfen. „Dass er bereits 1946 zurück nach Deutschland, in das Land seiner einstigen Peiniger, zurückzog, verdanken wir seiner zweiten Frau Elfriede. Doch erst knapp 20 Jahre später schrieb er 1964 seine bewegende Geschichte auf“, berichtete Knobloch. Weitere 20 Jahre verstrichen, bis die Erinnerungen unter dem Titel „Spätes Tagebuch“ erstmals in den „Dachauer Heften“ publiziert wurde. Und Mannheimer begann, öffentlich über sein Martyrium zu sprechen.

Das Große Verdienstkreuz für Mannheimer

Für seinen Einsatz für Gerechtigkeit und Versöhnung wurde er vielfach ausgezeichnet. Unter anderem mit dem Bayerischen Verdienstorden und der Bayerischen Verfassungsmedaille sowie dem Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Für seine Lebensleistung hat ihm Ministerpräsident Horst Seehofer in Tel Aviv 2012 eine der höchsten Auszeichnungen der Bundesrepublik Deutschland überreicht, das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Verleihung und ein Gespräch mit Max Mannheimer zeigt das Video der Bayerischen Staatskanzlei:

Großes Verdienstkreuz für Holocaust-Überlebenden Max MannheimerPlay Video
Großes Verdienstkreuz für Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer

Max Mannheimer – ein unvergesslicher Zeitzeuge

Geboren wurde Mannheimer 1920 in Neutitschein in Mähren, als Kind deutsch-jüdischer Kaufleute. Die jüdische Familie Mannheimer aus Mähren im heutigen Tschechien geriet trotz Flucht in die Hände der Hitler-Schergen. Sie wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Mannheimer verlor fast seine ganze Familie. Als Häftling war er in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz und Dachau, sowie dessen Außenlagern Karlsfeld und Mühldorf, bis die Amerikaner ihn am 30. April 1945 in Tutzing befreiten. Dennoch kehrte er Ende 1946 nach Deutschland zurück. Seine zweite Ehefrau, eine deutsche Sozialdemokratin, hatte ihn überredet, den Wiederaufbau mitzugestalten. Es wurde seine Lebensaufgabe, öffentlich gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus zu kämpfen. Unermüdlich engagierte er sich seit den 1980er Jahren als Zeitzeuge für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Mannheimer setzte sich zudem in der Lagergemeinschaft Dachau ein und war seit 1988 deren Vorsitzender.