Erfolgreicher Sport: Handball im Aufwind. (Bild: Fotolia/roostler)
Handball

Deutschland ist Europameister

Deutschlands Handballer haben ihren sensationellen Auftritt bei der EM mit Gold gekrönt. Die Mannschaft um den überragenden Torwart Andreas Wolff gewann das Endspiel gegen Spanien mit 24:17. Für den Deutschen Handballbund ist der unerwartete Titel in Polen der größte Erfolg seit dem Triumph bei der Heim-WM 2007.

Sie tanzten vor dem Tor ihres überragenden Schlussmanns und sangen: „Oh, wie ist das schön.“ Die deutschen Handballer sind zum zweiten Mal nach 2004 Europameister. Bester deutscher Werfer war vor 15.000 Zuschauern Kai Häfner mit acht Treffern. Durch den EM-Titel haben sich die deutschen Handballer auch einen Startplatz bei den Olympischen Spielen im August in Rio de Janeiro gesichert. „Es ist natürlich ein überragendes Gefühl. Eine großartige Leistung der ganzen Mannschaft“, sagte Erfolgstrainer Dagur Sigurdsson: „Ich bin sehr, sehr stolz.“ „Wir haben eine Euphorie in Deutschland entfacht, und die ist auch zu uns rübergekommen“, sagte Wolff in der ARD.

Diese Mannschaft hat heute Geschichte geschrieben.

Bob Hanning, DHB-Vizepräsident

Dank ihres schier unüberwindbaren Keepers Andreas Wolff und einer grandiosen Teamleistung setzte sich die junge Mannschaft von Trainer Dagur Sigurdsson mit 24:17 (10:6) gegen den zweimaligen Weltmeister Spanien durch. „Das war eine unglaubliche Leistung. Diese Mannschaft hat heute Geschichte geschrieben mit ihren jungen Jahren“, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning, ehe Torhüter Carsten Lichtlein am Sonntagabend um 19.37 Uhr im rot-goldenen Konfettiregen der Krakauer Arena die EM-Trophäe hochreckte.

Weit vor dem Ende hüpften die Spieler an der Seitenlinie, Sigurdsson drückte jeden einzelnen seiner Handball-Helden. Teilweise in Sieger-T-Shirts mit goldener Aufschrift „badboys“ kosteten die deutschen Spieler jede Sekunde aus. „Ich glaube, es ist eine der größten Sensationen im deutschen Handball. Da muss man mit Superlativen nicht sparen“, meinte Ex-Handballstar und ARD-Experte Stefan Kretzschmar. Nur 17 Tore ließ noch nie eine Mannschaft in einem Finale zu. „Diese badboys sind der absolute Wahnsinn“, meinte Teammanager und 2007-Weltmeister Oliver Roggisch.

Sport und Politik gratulieren

Den 24:17-Erfolg im EM-Finale gegen Spanien verfolgten im Ersten am Sonntag ab 17.30 Uhr 12,98 Millionen Zuschauer. Der Marktanteil betrug 42,0 Prozent. Damit erreichten die Handballer allerdings nicht ganz den Wert des WM-Finales im Jahre 2007, als rund 16 Millionen Menschen den WM-Triumph an den Fernsehern verfolgten.

„EUROPAMEISTER!! Ihr seid der absolute Wahnsinn! Glückwunsch“, twitterte auch Fußball-Weltmeister Sebastian Schweinsteiger, der wie auch seine Teamkollegen Lukas Podolski, Jerome Boateng, Marco Reus, Benedikt Höwedes, Mario Gomez und Ilkay Gündogan mit den Handballern mitgefiebert hatte. Über einen gemeinsamen Account kommentierte die Fußball-Nationalmannschaft: „Ihr seid der WAHNSINN, @DHB_Teams! Glückwunsch zum EM-Titel! Was für ein Team!“  Ski-Olympiasiegerin Maria-Höfl Riesch schrieb bei Twitter: „Unfassbar grandios @dhb_teams!!!“.

Und Fußball-Bundesligist Hertha BSC „zwitscherte“:

EUROPAAAAAAAAAMEEEEEIIIIIIIIISTER!!!!!!!!!!!!!!!! Wir verneigen uns vor dieser Leistung. Das ist TEAMGEIST.

„Glückwunsch @DHB_Teams #Europameister #GERESP #BadBoys #miasanalleeuropameister“, schrieb der deutsche Fußball-Rekordmeister FC Bayern München. „Wahnsinn, Jungs. Gooold. Gratulation. Feiert schön!!!“, twitterte Basketball-Star Dirk Nowitzki.

Stark für den deutschen Handball, stark für den deutschen Sport!

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

„Ich ziehe meinen Hut vor dieser herausragenden Leistung“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. „Dagur Sigurdsson hat aus der jungen Mannschaft ein tolles Kollektiv geformt, das uns alle begeistert hat. Stark für den deutschen Handball, stark für den deutschen Sport!“, meinte der für den Sport zuständige Minister. Bundespräsident Joachim Gauck wertet den EM-Titel der deutschen Handball-Nationalmannschaft als „beeindruckenden Erfolg“, über den sich das ganze Land freue. „Ich habe die meisten Ihrer Spiele verfolgt und war begeistert von dem Mannschaftsgeist, der Sie zum Erfolg geführt hat. Sie können mit Recht stolz auf diese großartige Leistung sein“, sagte Gauck. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der deutschen Handball-Nationalmannschaft zum EM-Titel „ganz herzlich“ gratuliert. „Diese junge deutsche Mannschaft hat sich im Laufe des Turniers von Spiel zu Spiel gesteigert, um im Finale alles zu zeigen, was sie auszeichnet: Kampfesstärke, Leidenschaft und vor allem Teamgeist“, erklärte die CDU-Politikerin.

Der Phoenix aus der Asche

Es ist der größte Erfolg für den Deutschen Handball-Bund seit dem WM-Titel 2007. Danach gab es jedoch eine lange Durststrecke mit vielen Misserfolgen. Mit dem Titel hatte deshalb nicht mal der größte Optimist gerechnet, zumal sich vor der EM mehrere wichtige Stammspieler wie Linksaußen Uwe Gensheimer, Rechtsaußen Patrick Groetzki, Kreisläufer Patrick Wiencek, Linksaußen Michael Allendorf sowie Rückraumspieler Paul Drux verletzten – und während der EM Kapitän Steffen Weinhold und Rückraumbomber Christian Dissinger.

Mit der Goldmedaille um den Hals und dem Direktticket für die Olympischen Spiele in Rio in der Tasche darf sich die DHB-Auswahl an diesem Montag bei der Party in Berlin feiern lassen. Dabei herrschte in der Tauron-Arena von Krakau schon Heimspiel-Atmosphäre. Als das deutsche Team den ersten Angriffsversuch der Spanier, die im ersten EM-Duell in Polen Deutschland noch 32:29 besiegt hatten, erfolgreich blockte und den Ball eroberte, brandete tosender Applaus unter den 15.000 Zuschauern aus.

Erst recht beim 1:0 durch Linksaußen Rune Dahmke. Und in Deutschland drückte selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel die Daumen.

Worauf es ankam, um zum zweiten Mal nach 2004 den EM-Titel nach Deutschland zu holen, war klar. „Wir müssen eine sehr starke Abwehr haben“, betonte Sigurdsson unmittelbar vor dem Anpfiff. Und seine Jungs, formiert in einer 6:0-Deckung, setzten das brillant um, erlaubten den Spaniern in den ersten sechs Minuten der Partie nicht mal einen einzigen Treffer. Erst per Siebenmeter überwanden die Iberer erstmals den überragenden Wolff.

Das ausgeglichene und junge Team überzeugt in allen Lagen

Unbeeindruckt setzte die deutsche Mannschaft auch Sigurdssons zweite Forderung um: Schnell Umschalten. Die Folge: eine 4:1-Führung in der neunten Minuten nach dem dritten Tor von Joker Kai Häfner. Der Nachrücker hatte schon den entscheidenden Treffer im Halbfinale zum 34:33 nach Verlängerung gegen Norwegen erzielt. Die Treffer zeigten Wirkung bei den Spaniern. Die Blicke wurden schon etwas verzweifelt. Egal, was sie versuchten, letztlich kamen sie entweder am deutschen Abwehrblock oder am grandios aufgelegten Torwart nicht vorbei. Von den Rängen hallten bereits „Andy-Wolff“-Sprechchöre.

Und der 24 Jahre alte Keeper von der HSG Wetzlar zeigte weiter, warum er wie Rechtsaußen Tobias Reichmann ins EM-Allstar-Team gewählt wurde.

„Andy hält überragend. Wir haben uns sehr gut auf die Spanier eingestellt. Und wenn mal einer durchkommt, hat er ihn“, meinte der von Wolff als Nummer 1 verdrängte Carsten Lichtlein. Nach gut elf Minuten gelang den Spaniern erst das erste Feldtor. Mickrige sechs Treffer ließen Wolff und seine Vorderleute den Spaniern zu: Das bzw. noch weniger gab es bei allen vorangegangenen 47 EM-Spielen in Polen nur einmal (Frankreich – Weißrussland zur Pause 20:5). In einem EM-Finale gab es das aber noch nie. „Da steht eine deutsche Mauer“, meinte Ex-Handballstar und TV-Experte Stefan Kretzschmar bei der ARD.

Die „deutsche Mauer“ ist der Schlüssel zum Erfolg

Und sie bröckelte auch nach der Pause nicht. Wolff, hernach zum besten Spieler der Partie gewählt, schraubte seine Paradenbilanz zwischenzeitig auf unfassbare 56 Prozent hoch. Der Mittelblock mit Finn Lemke, Erik Schmidt und Hendrik Pekeler machte ebenfalls ein herausragendes Spiel. Selbst der zweite verworfene Siebenmeter von Reichmann kurz nach der Pause war zu verschmerzen. Denn auch die Spanier trafen nicht aus sieben Metern, Wolff schien sie regelrecht zermürbt zu haben: 15 Minuten vor Ende der Partie führte Deutschland mit sieben Toren (16:9). Auf den Rängen fieberten auch die in den ersten EM-Spielen verletzten Leistungsträger Steffen Weinhold, Kapitän des Teams, und Christian Dissinger mit.

Wir haben eine geile Sportart.

Andreas Wolff

Doch selbst wenn die Spanier ihrerseits, meist durch Siebenmeter mal trafen. Die von Sigurdsson perfekt eingestellt Deutschen hatten stets die richtig Antwort. So wie Deutschlands erfolgreichster Werfer, Kai Häfner, als er mit seinem siebten Treffer wieder eine Sieben-Tore-Führung herstellte. Wie im Rausch setzten sie die Demütigung der hilflosen Spanier fort.  „Ich hoffe, dass jetzt die Leute vermehrt in die Hallen kommen und ein Handball-Hype ausgelöst wird. Wir haben eine geile Sportart, die Nummer 1 hinter dem Fußball. Ich denke, dass wir diesen Stellenwert mit dem Titel eindrucksvoll untermauert haben“, meinte Andreas Wolff. Nach zuletzt zurückgegangenen Mitgliederzahlen will der Deutsche Handballbund (DHB) Profit aus dem Titel schlagen und wieder neue Mitglieder gewinnen.

Die Pressestimmen: „Plattgemacht wie eine Tortilla“

Die Presse, sogar die aus Spanien, feierte die deutsche Mannschaft. „Deutschland war wie eine Herde von Bisons“, schrieb die spanische Zeitung „El Pais„. Auch die spanische „AS“ berichtete: „Deutschland überrannte sie von der ersten Minute an wie eine Dampfwalze.“ Und „Superdeporte“ schob den deutschen Torhüter in den Mittelpunkt: „Andreas Wolff ist seit heute mit seinen Wahnsinnsparaden eine der schwarzen Bestien des spanischen Handballs.“ Die französische „L’Equipe“ mit martialischen Worten: „Deutschland erstickt die Spanier, getragen von einem unglaublichen Selbstvertrauen und einer Abwehr aus Stahl. Andreas Wolff, der beste Torhüter der EM, ist der Held des Abends.“ Die isländische Zeitung „Dagbladid“ aus der Heimat des deutschen Trainers schrieb: „Dagur macht Deutschland zum Europameister! Er hat wahre Wunder bewirkt.“ Im schwedischen „TV3“ sagte ein Kommentator: „Die Deutschen haben Spanien plattgemacht wie eine Tortilla.“ Die norwegische Nachrichtenagentur NTB textete: „Deutschland spielte Panzerabwehr vor einem fantastischen Torwart. Andreas Wolff zeigte das Spiel seines Lebens.“ Die österreichische „Kronenzeitung“ sah deutschen Erfolg auf ganzer Linie:

Fußball-Weltmeister in Brasilien, Grand-Slam-Sieger im Tennis in Australien, Europameister im Handball im Polen – Deutschland jubelt über den nächsten großen Titel, der in kühnsten Träumen unvorstellbar schien.

„Triumph der deutschen Handball-Mauer“, so die „Süddeutsche Zeitung„. Gewohnt objektiv berichtete die Bild-Zeitung: „Unsere Handball-Götter feiern die Nacht durch.“ Und die FAZ verglich Wolff mit dem deutschen Ex-Nationaltorhüter Andreas Thiel: „Handball-Deutschland hat wieder einen Hexer.“ Auch „Eurosport“ war überzeugt: „Deutschland rockt Europa! Jetzt kommt Rio. Das deutsche Handball-Wunder ist perfekt.“

Jetzt folgt die Party

Die deutschen Handballer haben einen klaren Plan für die Nacht nach dem goldenen Wurf verfolgt: Party bis zum Abwinken. „Wir werden jetzt erst einmal eine Riesenfeier machen. Jetzt gibt es erstmal Bier, dann brauche ich keinen Burger mehr“», verkündete Rückraumspieler Steffen Fäth nach der Siegerehrung. Dafür gab es sogar die ausdrückliche Erlaubnis von Bundestrainer Dagur Sigurdsson. „Ich habe damit gar nichts zu tun“, meinte der Isländer. Nach Sekt in der Kabine ging es erst einmal zum Italiener „La Grande Mamma“ in der Krakauer Innenstadt. Und dann sollte die Nacht zum Tag werden. „Wir legen uns jetzt eine Infusion“, erklärte Christian Dissinger, der wegen einer Adduktorenverletzung den 24:17-Finalsieg über Spanien nur von der Tribüne aus hatte verfolgen können. Das Team soll am Montag gegen 14.20 Uhr auf dem abgeschirmten militärischen Teil des Flughafens Tegel landen. Anschließend soll die Party mit den Fans in der Max-Schmeling-Halle mit Stargast DJ Ötzi weitergehen. „Berlin reißen wir noch ab“, kündigte Torwart Wolff an.

Pfiffe für die Regierungschefin

Polens umstrittene Regierungschefin Beata Szydlo wurde vor der Siegerehrung gnadenlos ausgepfiffen. Ihr gequält freundliches Gesicht sprach Bände. Sie steht zusammen mit dem nationalkonservativen Parteichef Jaroslaw Kaczynski europaweit, aber auch in großen Teilen der polnischen Gesellschaft, wegen ihrer autoritären Politik und ihren Angriffen auf die Gewaltenteilung im Land in der Kritik. Nach einer Reform des Verfassungsgerichts, einem Mediengesetz, das der Regierung die Entscheidung über Führungspositionen in den öffentlichen Medien gibt und angesichts der geplanten Zusammenführung der Ämter des Justizministers und Generalstaatsanwalts fürchten Regierungsgegner eine Aushöhlung des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung.

(dpa/avd)