Warnungen an Polen
Fortsetzung des Brüsseler EU-Gipfels: Nach dem bitteren Streit mit Polen um die Wahl des EU-Ratspräsidenten hat Kanzlerin Angela Merkel beschwichtigt. Polen blockiert jedoch die gemeinsamen Gipfel-Schlussfolgerungen. Trotzdem erzielt der Gipfel Fortschritte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
EU-Gipfel

Warnungen an Polen

Fortsetzung des Brüsseler EU-Gipfels: Nach dem bitteren Streit mit Polen um die Wahl des EU-Ratspräsidenten hat Kanzlerin Angela Merkel beschwichtigt. Polen blockiert jedoch die gemeinsamen Gipfel-Schlussfolgerungen. Trotzdem erzielt der Gipfel Fortschritte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Überschattet vom Zerwürfnis mit Polen wegen der Wiederwahl von Ratspräsident Donald Tusk hat der EU-Gipfel am zweiten Tag nach Visionen für die Zukunft gesucht. „So eine Haltung wie gestern ist nicht akzeptabel”, sagte Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel bei seinem Eintreffen in Brüssel. „Zusammen sind wir viel stärker als nationale Lösungen.”

Angeknackste EU-Geschlossenheit

Nach dem bitteren Streit mit Polen um die Wahl des EU-Ratspräsidenten bemühte sich Kanzlerin Angela Merkel darum, eine Eskalation zu vermeiden. Die Europäische Union sei arbeitsfähig und werde ihre Arbeit gut fortsetzen, sagte sie noch in der Nacht nach den Beratungen des EU-Gipfels in Brüssel. Sie räumte aber ein, dass ausnahmsweise keine Einstimmigkeit über die Gipfelerklärung erzielt wurde. Denn Polen stellte sich quer.

Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo isoliert.

Der Hintergrund: Die 27 übrigen EU-Länder hatten gegen heftigen Protest der Regierung in Warschau den aus Polen stammenden Donald Tusk für eine zweite Amtszeit bestätigt. Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS liegt mit Tusk politisch über Kreuz und wollte die Wiederwahl unbedingt verhindern. Sie fand aber keine Mitstreiter. Die anderen 27 EU-Staaten schlossen angesichts der polnischen Herausforderung die Reihen. Selbst im Kreis der engen Partner der Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei und Tschechien stand Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo isoliert da. Aus Empörung kündigte sie an, die Abschlusserklärung des Gipfels nicht mitzutragen. Szydlo sprach von einem äußerst gefährlichen Präzedenzfall. Vieles in der EU entwickele sich in die falsche Richtung und müsse sich ändern, so die polnische Regierungschefin. Immerhin: Am zweiten Tag des Brüsseler Gipfels nahm Szydlo trotz allem teil.

Der Versuch der nationalkonservativen Warschauer Regierung, die Wahl Tusks zu verhindern, hat die Einigkeit der EU auf eine harte Probe gestellt. Und dies kurz vor den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich, wo die Populisten Geert Wilders und Marine Le Pen mit ihrer Ablehnung der EU voraussichtlich punkten werden. Szydlo verhinderte am Ende tatsächlich gemeinsame Gipfel-Schlussfolgerungen, was aber keine konkreten politischen Auswirkungen hat. Stattdessen verständigten sich die anderen 27 EU-Staaten auf eine gemeinsame Abschlusserklärung. Politisch ist die polnische Blockade jedoch heikel: Die EU wollte angesichts ihrer vielen Krisen gerade jetzt Geschlossenheit demonstrieren. Aber Risse werden allzu sichtbar: Hinter der Warschauer Anti-Tusk-Kampagne steckte auch der Ärger über die EU-Kritik an Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in Polen durch eine umstrittene Justizreform. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski gilt als Tusks politischer Erzfeind und Strippenzieher im Hintergrund – auch er ist nun durch die Geschlossenheit der Rest-EU beschädigt.

Stärkere Rolle für die EU

Am zweiten Gipfel-Tag mahnten mehrere Staats- und Regierungschefs Polen ausdrücklich zur Zusammenarbeit. „Ich gehe davon aus, dass das eine Episode bleiben wird”, sagte der österreichische Bundeskanzler Christian Kern. „Ich sehe keinen Sinn darin, weder für die Polen, noch für den Rest, dass wir uns da jetzt beleidigt alle in eine Ecke zurückziehen. Das ist nicht das Verständnis von Europa”, unterstrich Kern. Er rechne damit, „dass man wieder zum Verhandlungstisch zurückkommen wird”, Polen habe die gleichen Interessen wie die übrigen Mitgliedsstaaten, etwa Fortschritte bei Sicherheit oder Wirtschaft zu erzielen.

Ich gehe davon aus, dass das eine Episode bleiben wird.

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern

Der Luxemburger Xavier Bettel kritisierte, die polnische Regierung habe sich „nicht wie ein Erwachsener” verhalten. „Ich glaube, gestern darf nicht der Dauerzustand der EU sein, wo ein Land – und für rein nationalpolitische Zwecke – probiert, unsere ganze Arbeit zu boykottieren”, sagte Bettel. Er gehe allerdings davon aus, „dass die nächsten Tagen und Wochen Polen wieder zur Vernunft bringen werden”. Dänemarks Regierungschef Lars Løkke Rasmussen sagte zu Polen: „Wichtig ist, ob sie wieder an den Tisch zurückkehren oder nicht.”

Und wir können uns jetzt in Europa entscheiden, ob wir eine stärkere Rolle spielen wollen oder nicht.

Sebastian Kern

Als Vorboten eines nahenden Zerfalls der Europäischen Union wollte Kern die Auseinandersetzung nicht werten. „Ich glaube, wir erleben nach Trump und Brexit das Gegenteil”, sagte er. Die Politik des neuen US-Präsidenten erwecke den Eindruck, dass die Vereinigten Staaten sich zurückzögen. „Und wir können uns jetzt in Europa entscheiden, ob wir in diesem Vakuum, in dieser Situation eine stärkere Rolle spielen wollen oder nicht.” Als Beispiel nannte er die schwelenden Konflikte in den Ländern des Westbalkan.

Vor der Feier des 60. Jahrestags der Römischen Verträge

Merkel und andere EU-Staats- und Regierungschefs mühten sich, den Streit zu entschärfen. Maltas Regierungschef Joseph Muscat sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Polen: „Wir müssen sie zurückholen, auch politisch.“ Tusk selbst versicherte, er werde sich für alle 28 Mitgliedstaaten einsetzen, also auch für Polen. Und er werde alles tun, damit sein Heimatland nicht weiter in die politische Isolation gerate.

Wir müssen die Polen zurückholen, auch politisch.

Maltas Regierungschef Joseph Muscat

Zum Abschluss des ersten Gipfeltags erinnerte Merkel daran, dass trotz des Eklats wichtige Themen besprochen worden seien. In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien zuletzt wichtige Fortschritte erreicht worden. Auch sei man sich einig gewesen, dass man angesichts der schwierigen Situation auf dem Westbalkan „helfend eingreifen” wolle. Obwohl Polen die Schlusserklärung nicht unterstütze, gebe es doch eine Erklärung der Ratspräsidentschaft, die 27 Länder mittrügen.

Der Brüsseler Gipfel endete an diesem Freitag mit einer Debatte über die Zukunft der EU ohne Großbritannien. Die 27 verbleibenden Länder wollen sich auf Eckpunkte einer Erklärung zur Feier des 60. Jahrestags der Römischen Verträge am 25. März einigen. (dpa/BK/H.M.)