Demonstranten gegen die beschlossene Justizreform vor dem Parlamentsgebäude in Warschau. (Foto: dpa/C. Sokolowski)
Polen

Mehr schlecht als Recht

Die Regierungspartei, die "Recht und Gerechtigkeit" im Namen führt, beschert Polen eine umstrittene Justizreform: Die bislang unabhängigen Richter geraten unter Kontrolle der Politik. Bürgerrechtler protestieren, die EU droht - aber handelt nicht.

In mehreren polnischen Städten hat es am Wochenende Demonstrationen für eine unabhängige Justiz gegeben. Bei der größten Kundgebung versammelten sich am Sonntag in Warschau mehrere tausend Menschen vor dem Sejm, dem Unterhaus des Parlaments. Sie riefen nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und forderten „Demokratie!“ Die Proteste richteten sich gegen die umstrittenen Justizreformen der nationalkonservativen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Jede Diktatur endet im Terror.

Krzystof Lozinski, Bürgerrechtler

Der Anführer der Bürgerbewegung KOD, Krzysztof Lozinski, sagte, es sei der letzte Augenblick gekommen, um die Einführung der Diktatur zu verhindern. „Jede Diktatur endet im Terror“, warnte der Publizist. Auch konservative und linke Oppositionsparteien beteiligten sich an der Kundgebung des Komitees für die Verteidigung der Demokratie (KOD).

Für die Reform fehlt nur mehr eine Unterschrift

Nach dem Sejm, dem Unterhaus des Parlaments, hatte am Samstag auch der Senat die umstrittenen Änderungen beim Landesrichterrat gebilligt. Das bislang unabhängige Gremium, das über die Vergabe der Richterposten im Land entscheidet, soll künftig neu besetzt werden und unter Kontrolle des Parlaments kommen. Es dürfte damit de facto unter die Kontrolle der mit absoluter Mehrheit regierenden PiS-Partei geraten.

Der polnische Präsident Andrzej Duda muss die Novelle noch unterzeichnen. Mehrere hundert Menschen forderten ihn am Samstag vor dem Präsidentenpalast in Warschau auf, sein Veto einzulegen, obwohl er zum nationalkonservativen Lager gerechnet wird. Im Sejm liegt zudem ein neues Gesetz über das Oberste Gericht. Kritiker befürchten eine Entmachtung des Justizorgans.

Justitia geht in Pension

Eine weitere Reformvorlage würde es dem Justizminister, den derzeit die PiS stellt, erlauben, die Posten der Präsidenten an den ordentlichen Gerichten des Landes direkt zu besetzen. Medienberichten zufolge drängt zudem die aktuelle Exekutive immer mehr aktive Richter in den Ruhestand – womöglich, um Platz zu schaffen für neue und PiS-genehme Richter, die dann unter der geänderten Gesetzeslage zu ernennen wären.

Ich appelliere an die aufrechten Demokraten im Sejm, sich dieser besorgniserregenden Entwicklung entgegenzustellen.

Bernd Fabritius, MdB

Der zuständige Berichterstatter im Europarat, der CSU-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius, kritisiert das Vorgehen der PiS scharf: „In einer Nacht- und Nebelaktion hat das polnische Parlament eine Reform des Obersten Gerichts und des Landesrichterrates beschlossen. Leider entwickelt sich die Rechtsstaatlichkeit in Polen damit auf das Niveau der Jahre vor 1989 zurück.“ Eine Regierung, die volle Kontrolle über das Verfassungsgericht, das Oberste Gericht und die Richterernennung ausüben möchte, schere sich offenbar wenig um Demokratie und Gewaltenteilung. Fabritius weiter: „Ich appelliere an die aufrechten Demokraten im Sejm, sich dieser besorgniserregenden Entwicklung entgegenzustellen.“

Uneinigkeit in der EU

Wegen des Vorgehens der PiS-Regierung gegen die Justiz hat die EU-Kommission vor anderthalb Jahren ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet, das aber bisher ohne Konsequenzen blieb. Von angedrohten Sanktionen nahm die Kommission wieder Abstand, da zwar Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande darauf hingewirkt hatten – aber eine andere Gruppe um Ungarn und Tschechien Partei für Polen ergriffen hatte. Der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), stellte klar: „Die EU ist eine Wertegemeinschaft und diese Werte binden EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten gleichermaßen.“ Allerdings setzt die Union dies in Polen vorerst nicht mittels Sanktionen durch. Der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans begründete dies im Mai damit, die EU wolle weiterhin „im Dialog mit Warschau bleiben“.

(dpa/BK)