Schweden am Ende
Überfordertes Schweden: Stockholm rechnet mit 190.000 Migranten − aber schon jetzt fehlen 45.000 Plätze. Premierminister Löfven fordert Umverteilung auf andere EU-Länder und droht mit der Rückkehr zu Grenzkontrollen. In Schleswig-Holstein und Rostock stauen sich schon Tausende Migranten. In der Ägäis baut sich die nächste Welle auf: Über 25.000 Migranten warten schon auf die Fahrt nach Piräus.
Flüchtlingskrise

Schweden am Ende

Überfordertes Schweden: Stockholm rechnet mit 190.000 Migranten − aber schon jetzt fehlen 45.000 Plätze. Premierminister Löfven fordert Umverteilung auf andere EU-Länder und droht mit der Rückkehr zu Grenzkontrollen. In Schleswig-Holstein und Rostock stauen sich schon Tausende Migranten. In der Ägäis baut sich die nächste Welle auf: Über 25.000 Migranten warten schon auf die Fahrt nach Piräus.

Schweden kann nicht mehr. Der Migrantenstrom überfordert das Land. „Wir haben die Grenzen des Machbaren erreicht“, erklärte Schwedens Migrationsminister Morgan Johansson. Ab jetzt hätten neu ankommende Migranten die Wahl, entweder nach Dänemark oder Deutschland zurückzukehren oder sich selbst eine Unterkunft zu suchen, so der Minister.

Wir haben die Grenzen des Machbaren erreicht.

Schwedens Migrationsminister Morgan Johansson

Mit mindestens 190.000 Migranten rechnet Schwedens Einwanderungsministerium für dieses Jahr und mit 170.000 für das Jahr 2016. Noch vor einem halben Jahr wurden in Schweden weniger als 100.000 Neuankömmlingen erwartet. Schon jetzt, kurz vor Einbruch des schwedischen Winters, fehlen 45.000 Schlafplätze. Im südschwedischen Revinge nahe der Universitätsstadt Lund wurden schon 80 beheizte Zelte für 400 Personen aufgestellt.

Schweden will Migranten EU-weit umverteilen lassen

In solcher Notlage versucht Schwedens Regierung, nach der Notbremse zu greifen. Stockholm will jetzt als drittes EU-Land nach Griechenland und Italien am EU-Programm zur Umverteilung von 160.000 Migranten auf andere Mitgliedsländer teilnehmen, erklärte der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven: „Schweden hat lange eine unverhältnismäßig große Verantwortung im Vergleich zu anderen EU-Ländern übernommen, jetzt sind wir in einer extrem angespannten Lage.“ Es sei „an der Zeit, dass andere Länder ihre Verantwortung übernehmen“. Die Regierung in Stockholm verlange eine „Umverteilung der Flüchtlinge in Schweden“ und ihre Aufnahme in anderen EU-Mitgliedstaaten, so Löfven in einer Mail an die Nachrichtenagentur AFP. Presseberichten zeigte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach einem Treffen mit dem schwedischen Premier Verständnis für Stockholms anliegen.

Wir sind in einer extrem angespannten Lage. Es ist an der Zeit, dass andere Länder ihre Verantwortung übernehmen.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven

Problem: Die Forderung an die EU wird Schweden in seiner Not kaum Linderung bringen. Bis Ende Oktober hatten Angaben der EU-Kommission zufolge, 14 Mitgliedsstaaten exakt 1375 verfügbare Unterkünfte für Migranten gemeldet. Bislang wurden insgesamt genau 116 Migranten umverteilt − 38 davon übrigens nach Schweden. Die Schweden, heißt das, werden wohl noch viel mehr beheizte Zelte aufstellen müssen.

Dänemark hilft und lässt Migranten zwangsregistrieren

Unterdessen hält der Migrantenstrom an. Täglich kämen 1500 neue Migranten in Schweden an, heißt es aus Stockholm. Allein in der Region Rostock warteten derzeit 5000 Migranten auf die Weiterfahrt nach Schweden, so Migrationsminister Johansson. Offenbar wird auch die Situation in der Hansestadt schwierig: Täglich kommen mehrere hundert bis tausend Migranten in Rostock an, die nach Schweden wollen. Aber die Fähren transportieren maximal 450 Passagiere pro Tag.

Problem für Rostock und Umgebung: 5000 Migranten warten auf die Weiterfahrt nach Schweden.

Wohl eine echte Hilfe für die Schweden – aber nicht für Schleswig-Holstein – ist es, dass die dänische Polizei jetzt in von Deutschland kommenden Zügen Migranten zwangsregistriert und sie fragt, ob sie in Dänemark Asyl beantragen wollen. Wer das will, kommt in ein dänisches Aufnahmelager. Wer es nicht will, wird nach Schleswig-Holstein zurückgebracht.

Die Regierung ist vorbereitet, Grenzkontrollen einzuführen, wenn die schwedische Polizei andeutet, dass das notwendig ist.

Sprecher des schwedischen Justizministeriums

Für Schleswig-Holstein und für Rostock könnte sich die Lage noch verschärfen: In Stockholm wird jetzt offenbar überlegt, Grenzkontrollen einzuführen. Das lässt sich dem Hinweis eines Sprechers des schwedischen Justizministeriums entnehmen: „Die Regierung ist vorbereitet, Grenzkontrollen einzuführen, wenn die schwedische Polizei andeutet, dass das notwendig ist.”

Renitente Migranten: In Schweden zu kalt und zu dunkel

In Schweden werden manche Neuankömmlinge schon renitent. Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge weigerte sich kürzlich etwa 20 Migranten aus Syrien und dem Irak, die ihnen zugewiesenen Quartiere im westschwedischen Dorf Limedsforsen, nahe der norwegischen Grenze, zu beziehen. Begründung: Es sei dort kalt, und es gebe keine Geschäfte, die man zu Fuß erreichen könnte. Die Migranten behaupteten auch, es fehle eine Schule und ein Arzt. Tatsächlich kann es in Limedsforsen im Winter bis zu minus 30 Grad kalt werden und es gibt lange Zeit fast kein Tageslicht – allerdings eben auch keine Bürgerkriegsgefahr. Trotzdem weigerten sich die Migranten, den Bus zu verlassen. Manche forderten gar, nach Deutschland zurückgefahren zu werden.

Die nächste Welle: Über 25.000 Migranten auf den Ägäis-Inseln

Unterdessen bahnen sich am südlichen Ende der Balkan-Route neue Migrantenwellen an. Wegen des Streiks der griechischen Seeleute hatten sich bis Donnerstag allein auf der Ägäis-Insel Lesbos etwa 15.000 Migranten angesammelt. Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras sprach von einer „explosiven Lage“. Auf der Nachbar-Insel Samos hat die Armee die Verpflegung von mindesten 5000 Migranten übernommen. Presseberichten zufolge saßen am Donnerstag auf diesen beiden und auf anderen Ägäis-Inseln über 25.000 Migranten fest. Inzwischen fahren die Fähren wieder.

EU-Kommission: Weitere drei Millionen Migranten bis Ende 2017

Und auch in der Ägäis hält der Migrantenstrom an. Täglich erreichen Tausende weitere Migranten aus der Türkei die schon überfüllten Ägäis-Inseln. Mit täglich 5000 Migranten, die über die Türkei einreisen, rechnen jetzt die Vereinten Nationen auch für die Herbst-und Wintermonate von November bis Februar. Auch die EU-Kommission legte eine neue Prognose vor: Bis Ende 2017 rechnet Brüssel mit der Ankunft von weiteren drei Millionen Migranten.