Moskaus Krieg in Syrien
Moskau interveniert in den Krieg in Syrien − an der Spitze einer Schiiten-Koalition mit Teheran, Bagdad und Damaskus. Russische Flugzeuge haben erste Ziele bombardiert. Für Moskau geht es um mehr als den Schutz seines Verbündeten Assad und einer russischen Marine-Basis: Wladimir Putin will über die Zukunft Syriens und der ganzen Region mitentscheiden − und eskaliert im syrischen Bürgerkrieg.
Russland in Syrien

Moskaus Krieg in Syrien

Moskau interveniert in den Krieg in Syrien − an der Spitze einer Schiiten-Koalition mit Teheran, Bagdad und Damaskus. Russische Flugzeuge haben erste Ziele bombardiert. Für Moskau geht es um mehr als den Schutz seines Verbündeten Assad und einer russischen Marine-Basis: Wladimir Putin will über die Zukunft Syriens und der ganzen Region mitentscheiden − und eskaliert im syrischen Bürgerkrieg.

Im Krieg entscheiden die Waffen. Vor allem über den Frieden danach, wenn er einmal kommt. Wer im syrischen Bürgerkrieg mit Militärmacht vor Ort ist, wird darum am Schluss über Syriens Zukunft bestimmen. Die USA und der Westen sind aus gutem Grund nicht mit Bodentruppen in Syrien präsent. Wladimir Putins Russland seit kurzem schon, und zwar massiv. Jetzt hat der russische Föderationsrat − also die Vertretung der 85 Gliedstaaten und Subjekte der Russischen Föderation − Präsident Putin den Einsatz der Streitkräfte im Ausland erlaubt. „Konkret geht es um Syrien”, erklärte der Chef der Moskauer Präsidialverwaltung, Sergej Iwanow, im russischen Fernsehen. Moskau will in Syrien mitreden und mitentscheiden. Niemand wird es Wladimir Putin verwehren können.

Konkret geht es um Syrien.

Sergej Iwanow, Chef der Moskauer Präsidialverwaltung

Inzwischen haben russische Flugzeuge nahe der Stadt Homs schon erste Ziele angegriffen. Kampfjets hätten zudem Munitionsdepots und Treibstofflager des IS etwa 200 Kilometer von Damaskus entfernt bombardiert, erläuterte der Agentur Interfax zufolge Generalmajor Igor Konaschenkow im Verteidigungsministerium in Moskau. Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe enge Verbündete Russlands informiert, hieß es. Kremlchef Putin kündigte weitere Luftangriffe auf den IS an, schloss aber die Entsendung von Bodentruppen aus. Russland werde die syrische Armee so lange unterstützen, bis diese ihren Einsatz beendet habe, so Putin bei einem Treffen mit Regierungsvertretern.

Moskaus Kampftruppe in Syrien könnte den Krieg militärisch und womöglich auch politisch wenden.

The Economist

Moskau hat in sehr kurzer Zeit eine massive militärische Präsenz in Syriens mittelmeerischer Westprovinz Latakia aufgebaut: eine große Flugbasis mit einer bis zu 2000 Mann starken Kampftruppe. Dazu 24 Kampfflugzeuge, die auch in den Krieg am Boden eingreifen können, Kampfhubschrauber, Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artillerie und Drohnen. Moskaus schlagkräftige Kampftruppe in Syrien könnte den Krieg militärisch und womöglich auch politisch wenden, ahnt die Londoner Wochenzeitung The Economist.

Moskaus schiitische Allianz

Die jüngste dramatische Überraschung: Ausgerechnet in Bagdad verkünden Russland, Irak, Iran und das Assad-Regime den Abschluss eines Abkommens, in dem sie vereinbaren, Geheimdienstinformationen über den Islamischen Staat gemeinsam zu sammeln und zu teilen. Bislang war der Irak wenigstens nominell Washingtons Klient. Nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ausschließlich.

Bislang war der Irak wenigstens nominell Washingtons Klient. Nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ausschließlich.

Russland tritt in den syrischen Bürgerkrieg ein – an der Spitze einer schiitischen Koalition gegen den sunnitischen Islamischen Staat. Vielsagendes Detail: Für den Truppenaufbau in Syrien nutzten die Russen den irakischen Luftraum. Bagdad erteilte dazu die Überflugerlaubnis, berichtet die New York Times. Washington wurde nicht gefragt oder hat es nicht verhindern können.

Diktator Assad im Amt halten

Russlands Präsident Wladimir Putin ist entschlossen, Syriens Diktator Bashar Assad zu stützen und im Amt zu halten, vorerst jedenfalls. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York hat er das jetzt betont. Es sei ein „enormer Fehler“, nicht mit Assad zusammenzuarbeiten, um die Dschihadisten zu bekämpfen, so Putin: „Niemand außer den Truppen von Präsident Assad und den kurdischen Milizen kämpft wirklich gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Organisationen in Syrien.“

Niemand außer den Truppen von Präsident Assad und den kurdischen Milizen kämpft wirklich gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Organisationen in Syrien.

Wladimir Putin

Der russische Präsident schlug vor, eine „breite allgemeine Koalition gegen den Terror zu bilden“, ähnlich der Anti-Hitler-Koalition, die im Zweiten Weltkrieg ebenfalls Mächte mit gegensätzlichen Interessen zusammengeführt hatte. Und natürlich soll Assad Teil dieser Koalition sein, ebenso wie Teheran, Bagdad und die schiitische Hisbollah-Miliz.

Mitentscheiden über die Zukunft Syriens und der gesamten Region

Schon ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, hat Putin in Syrien neue militärische – und politische – Fakten geschaffen. Worum geht es Moskau in Syrien? Zunächst schlicht darum, Assad zu retten: vor den Dschihadisten des Islamischen Staates, die zwei Flughäfen bei Aleppo und Deir al-Zur sowie für das Regime überlebenswichtige Gasfelder bedrohen; vor anderen islamistischen Rebellengruppen, die auf die alawitische Kernprovinz Latakia vorrücken; und womöglich auch vor einer Ausdehnung des von den Amerikanern angeführten Luftkriegs gegen den IS auf Assads Truppen.

Damaskus beherrscht kaum noch ein Viertel des Landes – mit allerdings dem größten Teil der in Syrien verbliebenen Bevölkerung.

Tatsächlich rettet die russische Präsenz in Syrien Assads Regime aus tödlicher Gefahr:  Seine Armee ist auf 125.000 Mann zusammengeschmolzen. Damaskus beherrscht kaum noch ein Viertel des Landes – mit allerdings dem größten Teil der in Syrien verbliebenen Bevölkerung. Letzteres muss auch die Europäer interessieren: Wenn der Krieg endgültig auch Latakia und Tartus erreicht, werden sich weitere Millionen auf die Fluchtroute nach Europa begeben.

Dank seiner Syrien-Truppe entscheidet schon jetzt vor allem Moskau darüber, ob Assad bleibt oder geht oder wann er geht − und wer oder was auf ihn folgt.

Putin will mitentscheiden, wenn es um Syriens Zukunft geht. Dank seiner Syrien-Truppe entscheidet schon jetzt vor allem Moskau darüber, ob Assad bleibt oder geht oder wann er geht − und wer oder was auf ihn folgt. Damaskus ist ein alter russischer Verbündeter und derzeit der einzige in der ganzen großen Mittelost-Region. Dort spielt jetzt entscheidende weltpolitische Musik. Moskau will und muss dort präsent sein. Es geht um Russlands Einfluss in der Region und auf deren Zukunft. Moskau wird darum seinen syrischen Verbündeten nicht fallen lassen. Für die Russen steht viel mehr auf dem Spiel als nur die schöne Marinebasis im syrischen Tartus.

Krieg gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Organisationen

Anders als etwa im Fall Saudi-Arabiens darf man Russlands Absicht, den Islamischen Staat zu besiegen und zu beseitigen, ernst nehmen. Denn die IS-Dschihadisten werden für Moskau zur akuten Bedrohung. Nach Angaben des russischen Geheimdienstes FSB kämpfen schon etwa 1700 Dschihadisten mit russischen Pässen − zuallermeist Tschetschenen − für den IS. Beobachter nennen deutlich größere Zahlen.

Wir dürfen diesen Verbrechern, die Blut geleckt haben, keine Rückkehr erlauben.

Wladimir Putin

Wenn die zurückkehren, könnte es noch heißer werden in Russlands ohnehin schon islamistisch heißem Kaukasus. In New York hat Putin jetzt verkündet, dass er die Rückkehr der IS-Dschihadisten verhindern will: „Wir dürfen diesen Verbrechern, die Blut geleckt haben, keine Rückkehr erlauben.“

Washingtons Koalition gegen den Islamischen Staat in Gefahr

Russlands militärische Präsenz richtet sich ganz deutlich auch gegen Saudi-Arabien und andere sunnitische Akteure am Persischen Golf, die seit Jahren Islamisten und Dschihadisten in Syrien finanzieren und aufrüsten, auch den sunnitischen Islamischen Staat. Moskau bringt damit aber die USA und deren Koalition gegen den Islamischen Staat in Schwierigkeiten. Bislang hat Washington gleichzeitig gegen den Islamischen Staat gekämpft und gegen das Assad-Regime − wenigstens mit Worten. Das war widersprüchlich und ineffektiv. Denn jeder militärische Schlag gegen den IS hilft Assad und umgekehrt. Aber Washington hatte keine Wahl. Der Kampf gegen den mit Teheran verbündeten Alawiten Assad ist Voraussetzung für die Koalition mit Saudi-Arabien und den anderen sunnitischen Golfstaaten. Denn die wollen vor allem eines: Teheran und den Schiiten Damaskus verweigern.

Die sunnitischen Araber, die schon einen Verrat von historischem Ausmaß riechen, wollen, dass sich Washington darauf konzentriert, schiitische Macht aus Syrien rauszuwerfen.

The American Interest

Wenn Washington jetzt darüber nachdächte, gar verhandelte, Assad im Amt zu belassen, und sei es nur für eine Übergangszeit, dann würden das Amerikas sunnitische Noch-Verbündete als „Verrat von historischem Ausmaß“ verstehen, warnt die US-Politikzeitschrift The American Interest. Denn wenn Washington nur noch gegen den sunnitischen Islamischen Staat Krieg führt, und das zusammen mit den verhassten Schiiten in Teheran und Bagdad, dann werden Washingtons sunnitische Verbündete das schlicht als Krieg gegen die Sunniten begreifen. Das wäre das Ende der ohnehin wankenden Koalition gegen den Islamischen Staat – und wahrscheinlich der Beginn noch größeren Brands zwischen Sunniten und Schiiten.

Noch größerer Brand zwischen Sunniten und Schiiten − in Syrien und der Region

Genau darauf läuft Moskaus bevorstehende Intervention in den syrischen Bürgerkrieg wohl hinaus. Denn „im Kern wird in Syrien ein geopolitischer Wettstreit zwischen Iran und Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft ausgetragen”, beobachtet zutreffend die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im Ringen zwischen Teheran und Riad habe sich Moskau nun eindeutig auf die Seite des Irans gestellt, so das Blatt. Irans und Russlands Interessen in Syrien entsprächen einander „spiegelbildlich”, hat denn auch Irans Präsident Hassan Rouhani jetzt in New York erklärt.

Putin tritt an gegen die gesamte sunnitisch-muslimische Welt, einschließlich der russischen Muslime.

Thomas L. Friedman (New York Times)

Sunnitische Muslime stellen die große Bevölkerungsmehrheit in Syrien und sind die dominierende Glaubensrichtung in der arabischen Welt, erinnert in der New York Times der Kolumnist und Kenner der Region Thomas Friedman. Wenn Putin nun an der Spitze seiner Schiiten-Koalition mit Teheran, Assads Alawiten, der schiitischen Regierung in Bagdad und der schiitischen Hisbollah-Miliz in Syrien eingreift, tritt er an „gegen die gesamte sunnitisch-muslimische Welt, einschließlich der russischen Muslime”, warnt Friedman.

Moskaus Intervention in Syrien verheißt vor allem eines: Eskalation zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien und in der Region. Für die Europäer könnte das bedeuten: noch mehr Flüchtlinge.