15. Mai 1945: Deutsche, die ihr ganzes Leben in Prag gelebt hatten, wurden vertrieben und mit einem Hakenkreuz „markiert“. Oft ging es dabei nicht gerade friedlich zu. Ein ähnliches Schicksal drohte Sudetendeutschen, Ostpreußen, Siebenbürgern, Schlesiern, Pommern und vielen anderen mehr. Bild: Imago/CTK Photo
Flucht und Vertreibung

Zur Versöhnung mahnend

Am heutigen 13. September gedenkt Bayern Flucht und Vertreibung. Gerade der Freistaat nahm viele Flüchtlinge aus dem Osten auf. Trotz vieler Probleme in der Anfangszeit raufte man sich am Ende doch zusammen und spricht heute bei den Sudetendeutschen gerne vom vierten Stamm der Bayern. Doch auch Flüchtlinge aus anderen ehemals deutschen Ostgebieten sehen sich heute als bayerische Stämme.

Anlässlich des am heutigen Sonntag, den 13. September, stattfindenden bayerischen Gedenktags für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation erklärte Bayerns Sozialministerin Emilia Müller: „Vor 70 Jahren begann für Millionen Deutsche das Elend von Flucht, Vertreibung und Deportation. Dieses furchtbaren Leidens zu gedenken, sind wir den Opfern schuldig. Zugleich erinnert uns der Gedenktag daran, die Leistung derjenigen zu würdigen, die Flucht und Vertreibung überlebten und zum erfolgreichen Wiederaufbau unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen haben.“ Was die einheimischen Bürger und die deutschen Heimatvertriebenen gemeinsam geleistet hätten, werde heute als Integrationswunder bezeichnet. „Der Wille der Heimatvertriebenen, sich für unser Land einzusetzen und hier Fuß zu fassen, verdient höchste Anerkennung und Respekt. Vertreibung war, ist und bleibt Unrecht. Deshalb geht von einem solchen Gedenktag auch immer die Mahnung an uns alle aus, Vertreibung zu ächten. Er mahnt zu Versöhnung und zu einem Miteinander auf der Basis von Recht, Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie.“

Kultusminister Spaenle legte Kranz nieder

Der Bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle legte in Vertretung von Ministerpräsident Seehofer anlässlich des Gedenktages einen Kranz an der Gedenktafel für die Opfer von Flucht und Vertreibung am Treppenaufgang zum Vestibül der Bayerischen Staatskanzlei nieder. Nach dem Staatsminister legten die Fraktionen des Bayerischen Landtags und der Bund der Vertriebenen ebenfalls ein Gebinde nieder. Anschließend sprach Spaenle beim Gedenkakt in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz und gab einen Staatsempfang im Kaisersaal der Residenz.

Die Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat im Osten war und bleibt vor der Geschichte ein großes und schweres Unrecht, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!

Ludwig Spaenle, Kultusminister

„Vertreibungen sind Unrecht – damals wie heute. Wir müssen Vertreibungen weltweit ächten. Denn aus der Erinnerung heraus wächst unsere Verantwortung für Gegenwart und Zukunft. Unsere Geschichte verpflichtet uns, laut ‚Nein‘ zu sagen – gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen jede Form von Unrecht und Gewalt“, betonte Spaenle. Der Minister erinnerte in seiner Rede an das Kriegsende vor 70 Jahren: „Die Bilanz des Zweiten Weltkriegs ist einer der Tiefpunkte der Menschheitsgeschichte: 55 Millionen Tote, das beispiellose Verbrechen an den europäischen Juden, millionenfache Deportation in die Konzentrationslager – dies bleibt für immer Teil der deutschen Geschichte und Auftrag, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.“

Bayern ist stolz auf den Leistungswillen, die Ideen, die Schaffenskraft der Heimatvertriebenen.

Ludwig Spaenle

Der Minister machte aber auch klar, dass das Kriegsende vor 70 Jahren auch für den Beginn von Flucht und Vertreibung von mindestens 12 Millionen Deutschen aus den historischen Ost- und Siedlungsgebieten steht: „Die Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat im Osten war und bleibt vor der Geschichte ein großes und schweres Unrecht, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!“ Die deutschen Heimatvertriebenen hätten aber trotz ihres Schicksals mit angepackt für eine bessere Zukunft – für Bayern, für Deutschland, für Europa. „Bayern ist stolz auf den Leistungswillen, die Ideen, die Schaffenskraft der Heimatvertriebenen“, so der Minister. Auch deshalb schaffe der Freistaat mit dem neuen Sudetendeutschen Museum in München einen Ort der Erinnerung und der Begegnung: „Heimat bewahren, Zukunft gestalten: Das ist der Auftrag des neuen Sudetendeutschen Museums. Denn wir wissen: Unsere Zukunft beruht auf Werten und kultureller Identität. Heimat braucht Zusammenhalt und Selbstvertrauen.“

Landtagspräsidentin Barbara Stamm erinnerte nochmals an die Bedeutung dieses Tages: „Bayern will die Erinnerung an die Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg für künftige Generationen lebendig halten. Gleichzeitig mahnt uns das Gedenken zu Verantwortung und Versöhnung. Hinter jedem einzelnen der Millionen Einzelschicksale verbirgt sich Leid, Entbehrungen und Trauer. Von einem Tag auf den anderen mussten Menschen ihr Haus, ihre Heimat verlassen und damit alles, was sie sich über Generationen hinweg hart erarbeitet hatten.“

Wir können uns heute daran erinnern, wie wir einst damit umgegangen sind, auch wenn es uns oft viel abverlangt hat.

Barbara Stamm

Gleichzeitig verwies Stamm auf die erstaunliche Integrationsleistung, die in Bayern und Deutschland ab 1945 gelungen ist: „Millionen Vertriebene und Flüchtlinge waren eine immense Herausforderung nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Solidarität mit denen, die alles verloren hatten, war selbstverständlich.“ Nicht zuletzt mit Blick auf die aktuellen Ereignisse sollte man diese Erfolgsgeschichte zum Vorbild nehmen und sich von der Haltung der Menschen damals inspirieren lassen. „Auch heute fliehen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen aus ihrer Heimat. Der Gedenktag bietet eine Möglichkeit, uns die Situation dieser Menschen zu vergegenwärtigen. Flucht und Vertreibung bleiben – leider – ein Thema in der tagespolitischen Diskussion. Wir können uns heute daran erinnern, wie wir einst damit umgegangen sind, auch wenn es uns oft viel abverlangt hat“, so Stamm weiter.

 

Gerade der Freistaat sah sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten, über die heute gerne hinweggesehen wird, immer auch als Vertreter der Vertriebenen, insbesondere der Sudetendeutschen. Der Widerstand gegen die bis heute in Tschechien geltenden Benes-Dekrete, die das Unrecht der Vertreibung legitimierten, wurde stets in Bayern und da von der CSU aufrecht gehalten. Bis heute gibt es in der CSU die Arbeitsgemeinschaft UdV, die Union der Vertriebenen.

Die Vertreibung der Deutschen

Ab Anfang 1945 wurden beim Anrücken der Roten Armee, aber auch noch Jahre nach Kriegsende, geschätzt 14 Millionen Deutsche aus den Ostgebieten vertrieben und suchten in endlosen Trecks bei eisiger Kälte einen Weg in den Westen. BdV-Landesvorsitzender Christian Knauer nannte beispielhaft zwei besonders tragische Ereignisse: den Todesmarsch von Brünn, den mindestens 2000 Menschen nicht überlebten, und die Versenkung des mit über 10.000 Flüchtlingen beladenen Kreuzfahrtschiffes „Wilhelm Gustloff“, bei der 9243 Menschen den Tod in der eisigen Ostsee fanden.

Die Fliehenden wurden ermordet, vergewaltigt und seelisch verletzt. Sie verhungerten, wurden enteignet, traumatisiert, verhaftet, zur Zwangsarbeit herangezogen, in Arbeitslager verschleppt und misshandelt. Später wurden die gewachsenen Kulturräume zerstört und fast jede Erinnerung an die einstigen deutschen Besitzer durch die regierenden kommunistischen Regime ausgelöscht. Es war letztlich das Ergebnis nationalsozialistischer Besatzungs- und Vernichtungspolitik: Die Deutschen hatten während des Krieges ebenfalls Millionen zur Flucht gezwungen oder ermordet, nun erging es ihnen genauso. Knauer erinnerte an den „Generalplan Ost“ der Nazis, wonach ganze Völker zu sogenannten „Untermenschen“ deklariert, von der Landkarte getilgt oder ermordet werden sollten. Eine Aufrechnung kann es aber nicht geben, denn Unrecht bleibt Unrecht.

Verlust der Heimat

Den Verlust der Heimat haben viele Vertriebene nie verwunden. Sie haben sie aber auch nie vergessen und oft schon vor der Wende 1989 als Touristen besucht. So wurde dem „Ostpreußenlied“, dessen Text der 1945 gestorbene Königsberger Schriftsteller Erich Hannighofer verfasste, nach dem Krieg eigens eine fünfte Strophe hinzugefügt, auch wenn diese nur selten gesungen wurde:

Heimat wohlgeborgen
zwischen Strand und Strom,
blühe heut‘ und morgen
unterm Friedensdom.

Gerade angesichts der aktuellen Flüchtlingslawine aus Syrien, Irak und anderen Staaten bekommt das Thema Flucht und Vertreibung wieder eine starke Aktualität hierzulande. Verschwunden war es nie von der Tagesordnung, dafür sorgten auch Ereignisse wie die jugoslawischen Bürgerkriege der 90er Jahre mit dem Völkermord von Srebrenica oder der Vertreibung von Kroaten (die später wiederum Serben vertrieben) und Kosovaren durch serbische Truppen.

Im Gedenken

Das Bundeskabinett hatte am 27. August 2014 beschlossen, dass ab dem Jahre 2015 jährlich am 20. Juni der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht werden soll – anknüpfend an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen. Der Bayerische Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation wird seit 2014 am zweiten Sonntag im September begangen. Mit ihm wird insbesondere die gelungene Integration und Aufbauleistung der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Bayern gewürdigt und ihrem Schicksal gedacht. Dieser Gedenktag soll als Beitrag zum demokratischen Bewusstsein und dem Auftrag der Völkerverständigung in Europa dienen, nicht jedoch das Gedenken an andere Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Zweiten Weltkrieges relativieren. Einen ähnlichen Landesgedenktag gibt es nur noch in Hessen und Sachsen.

Diesen Gedenktag war Deutschland diesen eigenen Opfern schuldig, hatten sie doch eine Sonderlast für die Folgen des von Deutschland über ganz Europa gebrachten Leids zu tragen, die ausschließlich auf der geographischen Lage ihrer Heimatorte beruhte.

Christian Knauer, BdV

BdV-Chef Knauer: „Lebendiger Teil des Ganzen“

BdV-Landesvorsitzender Christian Knauer hat sich beim Staatsakt unter dem Eindruck der Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte und jüdischen Einrichtungen für einen verstärkten Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus aufgerufen. Wörtlich meinte er: „Gerade die Heimatvertriebenen hätten schmerzhaft erfahren, wozu Totalitarismus in letzter Konsequent führen könne. Für die jüngeren Generationen im BdV, die in einem Rechtsstaat aufgewachsen sind und nur in ihm Erfahrungen sammeln konnten, erscheint es heute als völlig unbegreiflich, dass es auch in den Heimatgebieten der Deutschen aus dem Osten nur wenige gab, die in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur die beispiellosen Exzesse, insbesondere an der jüdischen, polnischen und slawischen Bevölkerung, anprangerten und sich nicht trauten aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Die Situation der heutigen Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsländern könne niemand besser nachvollziehen, als die deutschen Heimatvertriebenen. Hier zu helfen, sei eine zutiefst humanitäre und christliche Aufgabe.“

Für die meisten Bundesbürger ist es nicht mehr vorstellbar, innerhalb kürzester Frist, seine Heimat mit 30 Kilogramm für immer verlassen zu müssen. Millionenfach war dies vor sieben Jahrzehnten in Mitteleuropa Realität.

Christian Knauer, BdV

Nachdrücklich setzte sich der Vorsitzende noch einmal für eine „längst überfällige Anerkennung des besonderen Schicksals der deutschen Zwangsarbeiter“ nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Er sei den Fraktionen von CSU und Freien Wählern im Bayerischen Landtag für ihre entsprechende parlamentarische Initiative dankbar. Zur Lösung des Problems habe sein Verband die Errichtung eines Entschädigungsfonds vorgeschlagen. Wichtig sei nunmehr eine schnelle parlamentarische Entscheidung, damit die Staatsregierung, gestärkt durch ein klares Votum des Landtages, auf Bundesebene erneut aktiv werden könne.

Lob auch für Sudetendeutsches Museum

Begrüßt hat der BdV-Landesvorsitzende die zahlreichen Verbesserungen des Freistaats mit Blick auf die Kulturpflege der Vertriebenen. Durch die Schaffung eines neuen Titels im Staatshaushalt werde es nunmehr möglich, dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen im Kunstforum der Ostdeutschen Galerie in Regensburg und im Egerlandkulturhaus in Marktredwitz in Angriff zu nehmen. Den Bau des Sudetendeutschen Museums in München bezeichnet Knauer als „herausragendes Zukunftsprojekt“. Die Heimatvertriebenen fühlten sich dank der Unterstützung durch die Bayerische Staatsregierung und den Fraktionen im Landtag voll angenommen und als „lebendigen Teil des Ganzen“.