Die Regensburger CSU-Landtagsabgeordnete Sylvia Stierstorfer ist Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene. (Foto: StMAS)
Aussiedler

Einzigartige Erfolgsgeschichte

Interview Seit gut 100 Tagen fungiert die CSU-Landtagsabgeordnete Sylvia Stierstorfer als Beauftragte der Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene. Auch über 70 Jahre nach dem Krieg ist diese Aufgabe hochaktuell, wie sie im BAYERNKURIER-Interview betont.

BAYERNKURIER: Der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung der Deutschen liegen mittlerweile über 70 Jahre zurück. Inwiefern ist denn der Posten einer Vertriebenenbeauftragten nach so langer Zeit noch nötig? Denn besondere soziale Probleme, die mit der Vertreibung zusammenhingen – etwa extreme Wohnungsnot, Versorgungsengpässe und Familienzusammenführung, die direkt nach dem Krieg vordringlich waren – gibt es ja nicht mehr.

Sylvia Stierstorfer: Die Einrichtung des Amtes einer Aussiedler- und Vertriebenenbeauftragten in Bayern war richtig und zeitgemäß. Fast zeitgleich haben übrigens Niedersachsen und Nordrhein-West­falen ein vergleichbares Amt in ihren Ländern neu eingerichtet, und auch in Hessen, Sachsen und Baden-Württemberg gibt es Beauftragte für Vertriebenen- und Aussiedlerfragen. Um letztere kümmert sich mein Amt auch ganz praktisch, denn es kommen noch immer Menschen als Spätaussiedler zu uns. Da geht es dann um die Anerkennung von Schulabschlüssen und beruflichen Qualifikationen, um Rentenansprüche und Hilfe bei der Eingliederung. Ich kümmere mich im Rahmen meiner Beratungsaufgabe für die Staatsregierung um diese Fragen, bearbeite auch ganz konkrete Eingaben und Bürgeranliegen.

Genauso wichtig wie mein Einsatz für die Anliegen der Aussiedler sind mir auch die Heimatvertriebenen. Schließlich haben sie ganz erheblich zum Wiederaufbau und zum Wohl­stand Bayerns beigetragen. Dabei stammt jeder dritte Bayer aus einer Familie von Heimatvertriebenen und die größte Gruppe unter den Vertriebenen, die Volksgruppe der Sudetendeutschen, ist längst unser „Vierter Stamm“ in Bayern. Mir geht es in meinem neuen Amt vor allem darum, das Bewusstsein von den großartigen Leistungen der Heimatvertriebenen lebendig zu halten, die Erinnerung an ihre Geschichte zu wahren und ihr Kulturerbe zu pflegen – in Bayern selbst wie auch in den Herkunftsländern. Dabei sind die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler längst zur Brücke nach Ostmittel- und Südosteuropa avanciert, und eröffnen durch ihren Einsatz und ihre Kontakte ganz neue Perspektiven für politische Verständigung, kulturellen Austausch und enge wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Eine erstaunliche Entwicklung hin zur Versöhnung hat sich im Verhältnis zur Tschechischen Republik ergeben, an dem die Sudetendeutschen und die Bayerische Staatsregierung maßgeblichen Anteil haben. Nichtsdestoweniger haben die Tschechen die Benesch-Dekrete immer noch nicht aufgehoben, also die rechtliche Grundlage für Entrechtung, Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen. Wie sehen Sie diese Gemengelage?

Das Verhältnis Bayerns zu Tschechien ist heute so gut wie nie zuvor. Das liegt auch daran, dass eine junge Generation in unserem Nachbarland sich zunehmend für die deutsche Geschichte und Kultur ihrer Heimat zu interessieren beginnt. Diese Menschen sind viel offener als ihre von der Nachkriegszeit und dem Kommunismus geprägten Eltern und Großeltern und stehen auch dem Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen mit mehr Empathie gegenüber.

Deshalb bin ich optimistisch, dass sich die tschechische Seite die Frage der Benesch-Dekrete in Zukunft selbst stellen wird. Leider sind wir heute noch nicht so weit, und deshalb ist es wichtig, weiter auf dieses Unrecht hinzuweisen und die Aufhebung der Benesch-Dekrete zu fordern. Sie waren und sind Unrecht, und haben – wie die Av­noj-De­krete des einstigen Jugoslawiens – nichts zu suchen in einer europäischen Wertegemein­schaft. In dieser Frage dürfen wir nicht nachlassen, denn es geht um Gerechtigkeit.

Ein besonderes Thema sind die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, die man oft als Russlanddeutsche zusammenfasst. Sie oder ihre Vorfahren wurden unter Stalin nach Zentralasien oder Sibirien deportiert und durften jahrzehntelang kein Deutsch sprechen. Manche hiesigen Kommunalpolitiker klagen darüber, dass die Russlanddeutschen auch heute meist untereinander kommunizieren, sich abkapseln und kaum den Kontakt zu den Einheimischen suchen. Wie beurteilen Sie die Integration der Russlanddeutschen in Bayern?

Aus meiner Sicht ist die Eingliederung der Russlanddeutschen in Bayern ausgesprochen gut gelungen. Sie sind deutsche Landsleute, teilen unsere Werte, Sprache und Kultur und bekennen sich ausdrücklich zu Bayern und Deutschland als ihre Heimat. Keine andere Gruppe von Zugewanderten hat sich nur annähernd so gut in unsere Gesellschaft eingefunden, niemand ist beruflich und schulisch erfolgreicher als die Deutschen aus Russland. Dabei suchen sie den Kontakt zu den Alteingesessenen, stoßen mit ihren Anliegen und ihren historischen Erfahrungen als die Volksgruppe, die am längsten unter den Folgen des von Hitler entfesselten Krieges leiden musste, aber nicht immer auf Verständnis.

Das heißt nicht, dass sie sich „abkapseln“ würden oder „unter sich“ bleiben wollten. Im Unterschied etwa zu Teilen der türkischen Community bestehen die Deutschen aus Russland darauf, in Deutsch – und eben nicht in der Sprache ihres Herkunftslandes – angesprochen zu werden. Dass sie manchmal untereinander und vor allem im Umgang mit zugewanderten Russen Russisch sprechen, ist für mich kein Zeichen fehlender Integrationsbereitschaft, son­­dern völlig normal. Das tun Ungarndeutsche zum Beispiel auch. Ich finde, dass die Eingliederung der Deutschen aus Russland eine einzigartige Erfolgsgeschichte ist, und die Volksgruppe durch ihre Altersstruktur, ihre hohe Qualifikation und ihr Engagement einen her­vorragenden Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels leisten kann.

Das Interview führte Wolfram Göll.