Franz Josef Strauß bei den Feierlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag 1985. Bild: Winfried Rabanus/Archiv für Christlich-Soziale Politik/HSS
Franz Josef Strauß

Der Weltpolitiker dahoam

Ein Buch von Karl Rösch betrachtet erstmals die Rolle von Strauß als direkt gewähltem Bundestagsabgeordneten im Bundeswahlkreis Weilheim. Diese Funktion hat Strauß am längsten von allen seinen politischen Ämtern ausgeübt: Bei acht Wahlen im Bundeswahlkreis Weilheim war er unangefochten erfolgreich, so dass man heute noch vom "Strauß-Wahlkreis" spricht.

Franz Josef Strauß ist allgegenwärtig: Als Bezugsperson in der Tagespolitik, als Vergleichsperson in der Berichterstattung, in den vielen Versuchen der Medien, seine geschichtliche Bedeutung aufzuarbeiten und zu manchmal großem Amüsement als Wiedergeburt im politischen Kabarett. Auch nach seinem Tod 1988 ist Franz Josef Strauß in der Öffentlichkeit präsent. Es war aber kein bekannter Historiker oder Journalist, sondern der Seniorenstudent Karl Rösch, der den Blick auf ein Thema lenkte, das in der Politik- und Geschichtswissenschaft noch weitgehend unbearbeitet war. Seine nun als Buch erschienene Dissertation fügt dem Phänomen Strauß damit einen neuen Aspekt aus dessen Stimmkreis hinzu. Rösch promovierte erst als 70-jähriger 2013 über Franz Josef Strauß als Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim am Institut für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität. Studiert hat Dr. phil. Karl Rösch bereits in den 60er Jahren auf einem ganz anderen Feld, Experimentalphysik ebenfalls an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit dem Abschluss Diplom. Nach seinem Berufsleben bei der Firma Siemens AG in München begann er 2006 das Promotionsstudium im Fach Bayerische Geschichte.

Das Buch:

Karl Rösch:

„Franz Josef Strauß – Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim 1949 – 1978“

erschienen im:

Herbert Utz Verlag,

Hardcover,

618 Seiten,

ISBN 978-3-8316-4392-9,

Preis: 49 Euro

Strauß im Wahlkreis

Es geht nicht um Strauß als Generalsekretär, Minister, Ministerpräsident oder Parteivorsitzender. Auch die vermeintlichen Skandale spielen darin keine Rolle, um deren korrekte Abhandlung hat sich Professor Horst Möller in seiner 2015 im Piper-Verlag erschienen Biografie „Franz Josef Strauß – Herrscher und Rebell“ verdient gemacht. Vielmehr lautet die übergeordnete Fragestellung: „Wie hat Franz Josef Strauß sein Mandat als Abgeordneter des Bundeswahlkreises Weilheim über fast 30 Jahre gestaltet?“ Diese Funktion hatte Strauß am längsten von allen seinen politischen Ämtern ausgeübt. Die Beantwortung dieser Frage wird durch die Aufgliederung in Detailfragen erleichtert. Wie hat sich Strauß selbst als Abgeordneter gesehen? Wie hat er die Wahlkreisarbeit angesichts der Belastungen aus seiner wachsenden Ämterfülle organisiert? Wie hat Strauß die Bürger erreicht? In welchem Umfang hat er sich an der lokalen Parteiarbeit und an der Kommunalpolitik beteiligt? Die Darstellung der Aktivitäten im vorpolitischen Raum und das Kapitel „Gelder und Finanzen“ ergänzen die Fragestellungen. Kurz: Es wird gezeigt, warum Strauß bei acht Wahlen im Bundeswahlkreis Weilheim unangefochten direkt gewählt wurde, sodass Zeitzeugen heute noch vom „Strauß-Wahlkreis“ sprechen.

Aus dem Inhalt

Die Bundeswahlkreis-Geschäftsstelle, das „Strauß-Büro“ in Schongau, war Mittelpunkt seiner politischen und organisatorischen Arbeit im Wahlkreis. Nicht erst als Ministerpräsident, schon als Abgeordneter wurde Strauß mit Tausenden von Bittgesuchen überschüttet. Dabei musste Strauß nicht nur bei einfachen Leuten auf die Einhaltung bestehender Gesetze hinweisen: „…Darf ich Sie fragen Herr Minister, gibt es gar keine Möglichkeit für mich, die Maschen des Gesetzes an einer kleinen Stelle so zu dehnen, daß mir ein Erlaß gewährt wird.“

Im Vorfeld der Gemeindefinanzreform 1968, bei der die Stadt Schongau Einbußen erleiden sollte, entspann sich zwischen dem Schongauer Bürgermeister und Bundesfinanzminister Strauß folgender Dialog:

Strauß: „Ich kann wegen Schongau nicht die Gemeindefinanzreform ändern.“

Dr. Ranz: „Sie sind doch ein Schongauer!“

Strauß: „Mit diesem Argument kann ich keine Steuerpolitik machen“.

Strauß sah sich in seiner politischen Laufbahn vielen harten Angriffen ausgesetzt, als Parteivorsitzender, als Minister, als Ministerpräsident und als Privatperson, aber erstaunlicherweise nicht als direkt gewählter Abgeordneter, nicht mal im Magazin „Der Spiegel“. Keine der vier Zeitungen, kein Journalist aus den fünf bis sechs Reportergenerationen brachte Kritik im nennenswerten Umfang aus der engeren Heimat von Strauß, geschweige denn Ansätze von investigativem Journalismus. Dennoch wurde über Strauß von der Lokalpresse natürlich stets ausführlich berichtet, darunter bisweilen visionäre Äußerungen. So verknüpfte FJS schon 1951 den europäischen Einigungsprozess mit einem freien Arbeitsmarkt in Europa und mit einer einheitlichen Währung, er erkannte die Rolle der Flüchtlinge und Vertriebenen für den wirtschaftlichen Aufschwung in Bayern und er thematisierte frühzeitig die notwendige Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft.

Das Ziel: Heimat vertreten, Wiederwahl sichern

Die gesamte Wahlkreisarbeit war neben den Anliegen der Heimatregion ausgerichtet auf das politische Ziel von Strauß, jedes Mal als Direktkandidat gewählt zu werden. Eine Abwahl wäre eine politische Sensation gewesen. Stattdessen gewann er alle Wahlen mit wachsenden Mehrheiten. Seine Erststimmenresultate lagen in der Regel über den Zweitstimmen-Ergebnissen und merklich über den CSU-Ergebnissen in Bayern. In seinem Wahlkreis hatte Strauß all die Jahre keine ernst zunehmenden Gegner.

Der Wahlkreis war das Feld, auf dem Strauß seine Merkmale als charismatischer bayerischer Politiker entwickelte, insbesondere seine Rhetorik, gewürzt mit feinem Humor:

Der Himmel über Bayern soll blau und die Berge weiß und nicht beides rot sein.

Franz Josef Strauß

und bisweilen auch derben Sprüchen:

Sie können Gott danken, dass Sie noch in die Gattung der Menschen geraten sind.

Franz Josef Strauß

Die Untersuchung der Wahlkreisarbeit von Strauß erlaubt laut Rösch drei Perspektiven: die Sicht der Bürger, Petenten und Wähler, die Sicht der Reporter und Redakteure und die Sicht des Parteivolkes. Der erste Personenkreis erfuhr den helfenden Strauß bei Petitionen aller Art und erlebte ihn in der persönlichen Begegnung und bei den Veranstaltungen. Dies schuf die Basis für das in weiten Teilen der Bevölkerung auch heute noch vorhandene hohe Ansehen von Strauß. Die Lokal-Journalisten konnten und wollten sich der Ausstrahlung von Strauß als Politiker und als Mensch nicht entziehen. Das daraus resultierende Presseecho verstärkte das positive Bild von Strauß in der heimischen Öffentlichkeit. Die Parteimitglieder übten trotz vereinzelter Kritik hohe Solidarität mit Strauß. Über diese drei Komponenten entwickelte sich die tiefe persönliche Verwurzelung von Strauß in seinem Wahlkreis, die auch Ironie zuließ: Ende der 1940er Jahre war Strauß zu einer Besprechung mit der US-Besatzungsmacht nach Garmisch-Partenkirchen gerufen worden, bei der es darum ging, Oberammergauer Passionsspieler früher aus der Kriegsgefangenschaft freizulassen, was auch gelang, wie der CSU-Politiker feststellte:

Alle, die wichtige Rollen hatten, waren Mitglied in der NSDAP; außer dem Judas, der war es nicht.

Franz Josef Strauß

Der „Halbgott“

Trotz der „ergebnisoffenen“, für Historiker selbstverständlichen Herangehensweise ergibt sich aus nahezu allen Quellen, das sind die Bittbriefe, das Presseecho und die Zeitzeugen, ein geradezu „strahlendes“ Strauß-Bild. Selbst Georg Kronawitter sprach 1994 in der Chronik des SPD-Ortsvereins Schongau vom Auftreten von Strauß in Schongau als „Halbgott“.

Der Wahlkreis Weilheim war kein schwieriger Wahlkreis. Die Kriegsschäden waren vergleichsweise gering und es gab keine sozialen Brennpunkte. Die unmittelbaren Kriegsfolgen konnten in relativ kurzer Zeit überwunden werden. Die Schließung der Bergwerke in Penzberg, Hohenpeißenberg, Peiting und Peißenberg, die Zusammenlegung der Landkreise Schongau und Weilheim sowie der Kampf um die Selbständigkeit von Altenstadt waren die einzigen größeren Herausforderungen für Strauß im Wahlkreis. Bei den meisten anderen Interessenkonflikten kam Strauß jeweils nahezu ungeschoren davon.

Rösch übt jedoch auch Kritik: „So einnehmend das Bild des Abgeordneten Strauß auch war, es kann nicht übersehen werden, dass Strauß im Wahlkreis kaum kreativ agierte, sondern meist nur reagierte.“ Da wäre doch zu erwarten gewesen, dass irgendwo in seinem Wahlkreis ein Zentrum für eine der vielen Zukunftstechnologien entstanden wäre. Als Vorsitzender von Airbus hätte er manches einfädeln können. Aufgrund seines Wirkens als Bundes- und Landespolitiker blieb jedoch nicht immer ausreichend Zeit für seinen eigenen Landkreis übrig. Dennoch hat Strauß viele Anliegen der Bürger aufgegriffen und unterstützt.

Wider das Klischee

Durch das Presseecho, aus den Dokumenten und Bildern von Zeitzeugen, aus Briefen von Strauß und von Bürgern und durch Material aus bisher unveröffentlichten Privatsammlungen entsteht ein Straußporträt, das so gar nicht zu den immer noch vorherrschenden Klischeevorstellungen passt.

Stimmen zum Buch

Mit dem umfangreichen Buch über Franz Josef Strauß als Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim von 1949 bis 1978 unternimmt Karl Rösch den beeindruckenden Versuch, das Wirken von Franz Josef Strauß in seiner Heimat darzustellen. Das Buch ist eine Fundgrube für wichtige Ereignisse und ist auch eine historische Lehrstunde für die Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe es fast in einem Zug durchgearbeitet, so sehr hat es mich interessiert.

Dr. Theodor Waigel, 23.03.2015

Eine Untersuchung der Wahlkreisarbeit von Strauß und den Beziehungen zu seinem dreißig Jahre vertretenen Wahlkreis fehlte bisher. Insofern schließt die vorliegende, aus einem umfangreichen Quellenstudium erwachsene Arbeit tatsächlich eine Forschungslücke.

Prof. Dr. Horst Möller, ehem. Leiter des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin, 04/2015

Ihr Buch leistet einen wertvollen Beitrag zum Wirken meines Vaters in Wahlkreis Weilheim. […] Haben Sie vielen Dank für Ihre profunde Recherche, denn ohne Sie gäbe es zu dieser Zeit keine genaue Beschreibung des politischen und persönlichen Wirkens meines Vaters.

Monika Hohlmeier, 13.03.2015

Rösch zeigt den lokalen Strauß. Der Weltpolitiker dahoam sozusagen. Dazu hat er lokale CSU-Archive durchforstet und mit Schongauer, Tölzer und Weilheimer Weggefährten des CSU-Riesen gesprochen […].

Münchner Merkur, 9/2015