Die allermeisten Pflegebedürftigen werden von Angehörigen gepflegt. (Symbolbild: Fotolia/drubig-photo)
Pflege

„Diese Reform nutzt allen“

20 Jahre nach Einführung der sozialen Pflegeversicherung will die Bundesregierung das System umfassend modernisieren. Das Leistungsangebot für Pflegebedürftige und Pflegende soll verbessert, die Zahl der Pflegekräfte aufgestockt werden. Das Bundeskabinett hat nun die zweite Stufe des Pflegegesetzes beschlossen, bei dem der Kernpunkt ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff ist.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, kein Pflegebedürftiger werde durch die Umstellung auf das neue System schlechter gestellt. Das Kabinett hatte zuvor die zweite Stufe seiner Pflegereform verabschiedet. Das erste sogenannte Pflegestärkungsgesetz war Anfang des Jahres in Kraft getreten. Kernpunkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der dementen Patienten den gleichen Zugang zu Pflegeleistungen ermöglicht wie körperlich Behinderten. Die bisherigen drei Pflegestufen sollen auf fünf Pflegegrade erweitert werden.

Diese Reform nutzt allen – den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und unseren Pflegekräften.

Hermann Gröhe, Bundesgesundheitsminister

Zur Deckung der Kosten wird der Beitragssatz zur Pflegeversicherung nach 0,3 Prozentpunkten in diesem Jahr um weitere 0,2 Punkte ab 2017 steigen. Beide Stufen zusammen erhöhen die Beiträge zur Pflegeversicherung von 2,05 Prozent auf 2,55 Prozent im Jahr 2017. Das soll rund fünf Milliarden Euro bringen. Gröhe geht davon aus, dass damit bis 2022 die Reformen finanziert werden können.

„Diese Reform nutzt allen – den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und unseren Pflegekräften. Denn der tatsächliche Unterstützungsbedarf wird besser erfasst. Über die Leistungshöhe entscheidet künftig, was jemand noch selbst kann und wo sie oder er Unterstützung braucht – unabhängig ob durch Demenz oder körperliche Einschränkung“, erklärte der Gesundheitsminister. Mit dem Pflegegrad 1 beginne die Unterstützung deutlich früher. „Außerdem entlasten wir pflegende Angehörige und sorgen dafür, dass sie in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert sind“, so Gröhe.

Lob und Kritik aus Bayern

Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml hat die Verabschiedung der zweiten Stufe der Pflegereform durch das Bundeskabinett begrüßt: „Es war für mich ein wichtiges Anliegen, dass Menschen mit Demenz künftig die gleichen Leistungen wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen erhalten.

Korrekturbedarf besteht jedoch beim Pflege-TÜV.

Melanie Huml, Bayerische Gesundheitsministerin

Außerdem kann mit dem neuen Begutachtungssystem besser auf die tatsächliche Einschränkung der Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen eingegangen werden.“ Die Ministerin unterstrich zugleich: „Korrekturbedarf besteht jedoch beim Pflege-TÜV. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen ein realistischeres Bild von der Qualität einer Einrichtung als bisher bekommen. Deshalb ist es nicht sinnvoll, an der bisherigen Gesamtnote für Pflegeheime festzuhalten.“ Es reiche nicht, den Qualitätsausschuss mit der Erarbeitung eines neuen Qualitätsmessungsverfahrens zu beauftragen. „Bayern fordert konkrete inhaltliche Vorgaben an die Selbstverwaltung im Gesetz“, betonte Huml.

Bis zu einer halben Million Menschen bekommen dadurch neu Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung.

Stephan Stracke, MdB

Der Gesundheits- und Pflegepolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Stephan Stracke, erklärte, die Zusagen aus dem Koalitionsvertrag würden damit umgesetzt: „Wir stärken die Pflege umfassend und sorgen dafür, dass sich die Pflegeleistungen zukünftig besser an den individuellen Bedürfnissen der Menschen orientieren. Mit unserer Reform der Pflegeversicherung sichern wir allen hilfe- und pflegebedürftigen Bürgerinnen und Bürgern auch in Zukunft eine gute Versorgung mit Pflegeleistungen.“

Von den im Gesetzentwurf vorgesehenen zahlreichen Verbesserungen sei insbesondere hervorzuheben, dass im Rahmen der Einführung der neuen Pflegegrade die Leistungsbeträge, die ein Mensch mit Pflegebedarf zur häuslichen Versorgung zur Verfügung hat, erneut erhöht werden. Auch greife die Unterstützung durch die Pflegeversicherung jetzt deutlich früher: mit dem neuen Pflegegrad 1 werden Menschen erreicht, die bislang noch keinerlei Unterstützung bekommen haben. „Bis zu einer halben Million Menschen bekommen dadurch neu Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung“, lobte Stracke. Menschen, die in einem Pflegeheim leben, erhielten nun einen individuellen Rechtsanspruch auf zusätzliche Betreuung. Außerdem müsse durch die nunmehr einheitliche Festlegung der jeweiligen pflegebedingten Eigenanteile niemand mehr befürchten, dass bei steigendem Pflegebedarf der pflegebedingte Eigenanteil steigt. Für die voraussichtlich 2,8 Millionen Pflegebedürftigen, die zum Tag der Umstellung Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, werde mit einer Überleitungsregelung sichergestellt, dass diese Leistungsbezieher ohne erneute Begutachtung reibungslos in das neue System übergeleitet werden. „So geht Pflege!“, meinte der Bundestagsabgeordnete.

Kritik aus Verbänden

Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz greifen die Reformen von Gröhe zu kurz. „Es fehlt ein Konzept, das die Pflege zukunftssicher und generationengerecht macht“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der dpa. „Schon in sieben Jahren geht das Geld aus. Dann drohen den Beitragszahlern von heute Leistungskürzungen im Alter.“ Er bemängelte auch, dass Heimbewohner medizinische Behandlungspflege wie Medikamentengabe oder Verbandswechsel durch examinierte Pflegekräfte weiter selbst zahlen müssten. Bei Pflegebedürftigen daheim komme die gesetzliche Krankenversicherung dafür auf. „Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich bedenklich“, warnte er. Die Stiftung prüfe eine Verfassungsklage.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, kritisierte ähnlich wie zuvor schon der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): „Im Gesetz fehlt eine automatische Anpassung an das Preis- und Einkommensniveau.“