Justitia hat in Deutschland einen guten Stand. Bild: Imago/Ralph Peters
Landesverrat

Justizminister entlässt Generalbundesanwalt

Schwere Vorwürfe nach schweren Vorwürfen: Generalbundesanwalt Harald Range war heftig kritisiert worden wegen seiner Ermittlungen gegen die Blogger von "Netzpolitik.org" wegen Landesverrat. Nun bekam er eine Weisung aus Berlin – und nannte diese einen "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz". Daraufhin wurde er von Justizminister Heiko Maas in den Ruhestand versetzt.

Generalbundesanwalt Range hatte dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), immerhin sein Dienstherr, in einem in der bundesdeutschen Geschichte bisher einmaligen Vorgang vorgeworfen, in seine Ermittlungen gegen den Blog „Netzpolitik.org“ einzugreifen. Range sagte in Karlsruhe: „Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.“ Konkret bezog er sich auf eine Weisung des Justizministeriums vom Montag, das Gutachten eines Sachverständigen zurückzuziehen, der er auch nachgekommen sei. Dieser externe Sachverständige sei in einer vorläufigen Bewertung zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den am 15. April von „Netzpolitik.org“ veröffentlichten Dokumenten tatsächlich um ein Staatsgeheimnis handele, erläuterte Range. Diese Bewertung habe er dem Ministerium am Montag „unverzüglich“ mitgeteilt. Daraufhin habe er die Weisung erhalten.

Nach diesen heftigen Vorwürfen hat nun Justizminister Maas angekündigt, der Generalbundesanwalt werde wegen Vertrauensverlustes in den Ruhestand versetzt. Das sei mit dem Kanzleramt von Angela Merkel (CDU) abgesprochen und solle noch am Abend beim Bundespräsidenten beantragt werden. Dennoch mehren sich nun auch Stimmen, die das Verhalten des Justizministers kritisieren. Als Nachfolger an der Spitze der Bundesanwaltschaft schlug Maas den Münchner Generalstaatsanwaltschaft Peter Frank vor. Maas erklärte: „Die Äußerungen und das von Generalbundesanwalt Range heute gewählte Vorgehen sind nicht nachvollziehbar und vermitteln der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck.“ Es sei mit ihm am Freitag gemeinsam die Rücknahme des Gutachtenauftrags verabredet worden – und zwar ohne Kenntnis des möglichen Inhalts. Klar ist damit nur eines: Einer der beiden lügt oder irrt sich. Nächsten Februar wäre für den seit 2011 als Generalsbundesanwalt tätigen Range ohnehin der Ruhestand angestanden.

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht – auch nicht im Internet – schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, ist Aufgabe der Justiz.

Harald Range

Der Blog „Netzpolitik.org“ hatte im Februar und im April über Pläne des Verfassungsschutzes berichtet, Online-Netzwerke stärker zu überwachen. Dazu stellten die Journalisten vertrauliche Unterlagen ins Netz. Der Verfassungsschutz erstattete daraufhin Anzeige. Range leitete dann ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten des Blogs ein und gab das externe Gutachten in Auftrag. Das sollte klären, ob es sich bei den veröffentlichten Unterlagen wirklich um Staatsgeheimnisse handelt. Die Ermittlungen wurden naturgemäß in vielen Medien etwas hysterisch als Angriff auf die Pressefreiheit gerügt. Dabei hatte Range seine Mitarbeiter bereits bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens angewiesen, angesichts der Pressefreiheit auf Maßnahmen wie Durchsuchungen zu verzichten. Und letztlich hat Range nur seinen Job gemacht. Eine Ermittlung ist obendrein noch keine Anklage.

Bundeskanzlerin Merkel steht hinter der Entlassung des Generalbundesanwaltes durch den Justizminister. Maas genieße in dieser Frage die volle Unterstützung der Kanzlerin, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz in Berlin.

Pressefreiheit ist nicht schrankenlos

Es sei Aufgabe der Justiz, über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, sagte Range in seiner Erklärung. „Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist.“ Daher sei die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt wie die Meinungs- und Pressefreiheit. Letztere sei ein hohes Gut, gelte aber auch im Internet nicht schrankenlos, verteidigte Range die Ermittlungen. Auch Journalisten müssten sich an die Gesetze halten.

Verständnis für Range

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hat Verständnis für die Kritik des Generalbundesanwalts am Justizminister. „Die ministerielle Weisung, das bereits in Auftrag gegebene Gutachten auf halbem Weg zu stoppen, ist nicht unproblematisch“, sagte Bosbach der Zeitung Die Welt. Der Innenexperte warnte vor möglichen Folgen des Eingreifens durch den SPD-Politiker: „Es könnte der Eindruck entstehen, dass dem Justizminister die Bewertung des Gutachters wegen seiner Intervention politisch unangenehm sein könnte, weil sich der Eindruck dann verstärkt, der Justizminister habe nicht aus rechtlichen, sondern aus politischen Gründen auf das Verfahren Einfluss genommen“, erklärte Bosbach. Es sei „unverständlich, warum man nicht das Ergebnis des Gutachtens abgewartet“ habe, legte er im Handelsblatt nach. Er erwarte eine Antwort darauf, ob nun „die Version Ranges” richtig sei oder die von Maas. Außerdem müsse geklärt werden, wann der Bundesjustizminister erstmals Kenntnis von den Ermittlungen erlangt und wie er darauf reagiert habe.

Ich halte das für überzogen und deswegen auch für falsch.

Hans-Peter Uhl

CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl kritisierte Ranges Entlassung. Er gehe davon aus, dass das Bundesjustizministerium vom Generalbundesanwalt in den vergangenen drei Monaten in die Vorbereitungen für die Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“ eingebunden gewesen sei, sagte Uhl ebenfalls dem Handelsblatt. In dieser Zeit habe es offenbar keine Beanstandungen gegeben. „Wenn Herr Maas jetzt plötzlich den Generalbundesanwalt entlässt, ist das ein merkwürdiges Verhalten. Ich halte das für überzogen und deswegen auch für falsch”, so Uhl.

Generalbundesanwalt Range hat bei den eingeleiteten Maßnahmen mit Augenmaß gehandelt und nur wenig Spielraum, auf ein Ermittlungsverfahren zu verzichten.

André Schulz, BDK

Kritik kam auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Die Anzeige des Verfassungsschutzes wurde von einem internen Rechtsgutachten gestützt, welches den Anfangsverdacht des Verrates von Staatsgeheimnissen durch die Betreiber von Netzpolitik.org stützt. Generalbundesanwalt Range hat bei den eingeleiteten Maßnahmen mit Augenmaß gehandelt und nur wenig Spielraum, auf ein Ermittlungsverfahren zu verzichten“, sagte der BDK-Bundesvorsitzende André Schulz und forderte Konseqeuenzen. Bundesjustizminister Maas trage die volle politische Verantwortung. Mit seinem Handeln habe er die beispielhafte Karriere eines Vorzeigejuristen unschön beendet, die Arbeit der Staatsanwaltschaft öffentlich diskreditiert und das Vertrauen in die objektive Strafverfolgung beschädigt.

Auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, sprach sich entschieden gegen ein externes Weisungsrecht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aus. Eine solche Weisung hatte Maas offenbar gegenüber Range erlassen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière äußerte sich dagegen skeptisch, ob die Blogger die Absicht gehabt hätten, die Bundesrepublik zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, wie es beim Landesverrat Voraussetzung ist. Einwandfrei sei dagegen die Strafanzeige gegen Unbekannt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte Zweifel an der Erfüllung des Tatbestandes des Landesverrats. Hier bedürfe es einer sehr sensiblen Abwägung.

Hysterie ist unangebracht

Die Abneigung der Deutschen und insbesondere der Medien gegen die Geheimdienste rührt aus verschiedenen aktuellen Skandalen wie der Abhöraffäre und den Beziehungen zum amerikanischen „Big Brother“-Geheimdienst NSA oder dem Versagen bei den NSU-Morden. Sie ist aber auch historisch bedingt, einmal durch die Diktatur der DDR sowie des Naziregimes, zum anderen durch die „Spiegel-Affäre“ von 1962, als der Artikel „Bedingt abwehrbereit“ ebenfalls ein Verfahren wegen Landesverrat auslöste. Die Republik hat sich jedoch seit damals wesentlich geändert. Die Geheimdienste machen Fehler, sind jedoch keinesfalls Feinde der Demokratie, wie manche Äußerungen von Linkspolitikern nahe legen. Ganz im Gegenteil ist ihre Aufgabe die Bekämpfung von Verfassungsfeinden, was Ihnen auch immer wieder gelingt. Nur hört von den Erfolgen zwangsläufig kaum jemand, denn das ist eben die Natur von geheimen Diensten. Es bleibt die Frage, ob der Verfassungsschutz einfach tatenlos zusehen soll, wenn irgendwelche Blogger geheime Dokumente veröffentlichen. Ein verantwortungsloser Umgang von Medien mit solchen Dokumenten kann schließlich nicht nur das Leben beispielsweise von V-Leuten gefährden, sondern auch die Sicherheit der ganzen Republik. Und eine Ermittlungsbehörde ist gesetzlich verpflichtet, zu ermitteln. Ihr das zum Vorwurf zu machen, scheint doch bedenklich. Range ist außerdem ein erfahrener Strafverfolger: Vor seinem Karlsruher Amt war er Generalstaatsanwalt in Celle. Ihm zu unterstellen, Journalisten einschüchtern zu wollen, ist deshalb unangebracht.

Die Bundesanwälte in Karlsruhe

Geht es um Terrorismus oder Spionage, kommt die Bundesanwaltschaft ins Spiel. Die Bundesanwaltschaft mit ihren 200 Mitarbeitern verfolgt Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit. Ihr Leiter ist der Generalbundesanwalt, ein politischer Beamter, der seinen Amtssitz beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat. Der Bundespräsident ernennt ihn auf Vorschlag des Bundesjustizministers und nach Zustimmung des Bundesrates. Er untersteht der Dienstaufsicht des Ministers, der die politische Verantwortung trägt, und kann ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.

Die Erklärung von Generalbundesanwalt Harald Range im Wortlaut:

„Zur Wahrung und Sicherung der Objektivität der Ermittlungen habe ich am 19. Juni 2015 ein externes Gutachten in Auftrag gegeben. Der unabhängige Sachverständige sollte klären, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige teilte mir gestern mit, dass es sich – nach seiner vorläufigen Bewertung – bei den am 15. April 2015 veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige hat damit die Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Verfassungsschutz insoweit vorläufig bestätigt.

Die Bewertung des unabhängigen Sachverständigen habe ich dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gestern unverzüglich mitgeteilt. Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten sofort zu stoppen und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen. Dieser Weisung habe ich Folge geleistet.

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht – auch nicht im Internet – schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, ist Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist. Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt wie die Presse- und Meinungsfreiheit.

Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.

Mit Blick auf die im Raum stehenden Vorwürfe habe ich mich gehalten gesehen, die Öffentlichkeit hierüber zu informieren.“

(avd/dpa)