Edmund Stoiber, CSU-Ehrenvorsitzender und ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. (Foto: Nikky Maier/BK)
Syrien

Dialog statt Eskalation muss die Devise sein

Kolumne Wir befinden uns in einem neuen Kalten Krieg, mit dem Unterschied, dass er nicht mehr vor einem ideologischen, sondern vor einem machtpolitischen Hintergrund geführt wird, schreibt der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber in der BAYERNKURIER-Kolumne.

Die Beziehungen des Westens zu Russland sind nach dem schrecklichen Nervengiftanschlag auf einen ehemaligen russischen Spion und seiner Tochter sowie der mutmaßlich von syrischen Regierungstruppen verübten Giftgasattacke und der Antwort des Westens darauf schlechter denn je. Wir befinden uns in einem neuen Kalten Krieg, mit dem Unterschied, dass er nicht mehr vor einem ideologischen, sondern vor einem machtpolitischen Hintergrund geführt wird. Die unbestrittene Dominanz der Amerikaner nach dem Fall der Berliner Mauer wurde abgelöst von einer multipolaren Welt mit verschiedenen wirtschaftlichen bzw. militärischen Kraftzentren wie China oder Russland. Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern. Wir müssen also mit dieser neuen Realität umgehen. Dazu gehört auch, dass der russische Präsident Wladimir Putin gerade mit großer Mehrheit für weitere sechs Jahre in seinem Amt bestätigt worden ist. Es ist deshalb wenig hilfreich, wenn die europäische Außenpolitik, angeführt von Großbritannien, vor allem auf Konfrontation setzt und Putin nicht mehr als möglichen Partner, sondern mehr als Gegner betrachtet. Dialog statt Eskalation muss die Devise sein. Das ist keine Appeasement-Politik, sondern die Kunst des Möglichen.

Es ist deshalb wenig hilfreich, wenn die europäische Außenpolitik vor allem auf Konfrontation setzt und Putin nicht mehr als möglichen Partner, sondern mehr als Gegner betrachtet.

Edmund Stoiber

Deshalb ist jetzt die Stunde der Diplomatie gekommen. Bisher hat Russland zusammen mit der Türkei und dem Iran in den Verhandlungen im kasachischen Astana den Lauf des Syrienkonflikts maßgeblich bestimmt. Die EU, die am meisten von den Folgen der kriegsbedingten Entwurzelung der syrischen Bevölkerung betroffen ist, hat dort keine Rolle gespielt, auch weil sie – aus moralischen Gründen – Gespräche mit dem syrischen Diktator Assad von Anfang an ausgeschlossen hat. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Russland Assad stützt, sodass ergebnisorientierte Gespräche mit Russland auch den Faktor Assad berücksichtigen müssen. Konkret bedeutet das, dass die EU – so schwer es auch fällt – in der Lage sein muss, sich auch mit Assad an einen Tisch zu setzen. Der Westen hat nach dem Zweiten Weltkrieg auch mit Stalin geredet, dessen Politik mehrere Millionen Menschen in der Sowjetunion das Leben gekostet hatte.

Das Ziel, den syrischen Diktator in möglichst naher Zukunft abzulösen, ist auf jeden Fall beizubehalten. Aber leider gibt es angesichts der chaotischen Lage keinerlei Garantie, dass eine Nachfolgeregierung die politische Ordnung in Syrien wieder herstellen kann. Die neben einem Verbleib Assads schlechteste Lösung wäre sicher die Machtübernahme durch islamistische Kräfte. Damit wäre aus westlicher Sicht nichts gewonnen.

Gerade die SPD sollte sich erinnern, dass die Ostpolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt mit den Grundstein für die deutsche und europäische Wiedervereinigung gelegt hat.

Edmund Stoiber

Voraussetzung für einen erfolgversprechenden diplomatischen Vorstoß der EU ist die politische Rückendeckung aller EU-Mitglieder, vor allem aber Deutschlands und Frankreichs. Dazu braucht es besonders den persönlichen Einsatz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron. Gerade Deutschland als „reluctant hegemon“, als Führungsnation der EU wider Willen, hat wegen seiner besonderen Beziehung zu Russland im 20. Jahrhundert – vom Ersten Weltkrieg über den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion bis zur deutschen Wiedervereinigung – die historische Verantwortung, mit Russland ein neues Kapitel für ein besseres Verhältnis zur Europäischen Union aufzuschlagen. Aufgrund seiner Nichtteilnahme an den Luftschlägen, die von 80 Prozent der Deutschen gutgeheißen wird, kann Deutschland anders als Frankreich oder gar Großbritannien ein glaubwürdiger Vermittler sein. Es ist völlig richtig, dass Angela Merkel bald persönlich mit Präsident Putin reden will. Daran sollte sich auch der amerikanische Präsident Donald Trump ein Beispiel nehmen, der sich trotz aller innenpolitischen Widerstände in den USA zeitnah auf ein persönliches Gespräch mit Putin einlassen sollte.

Ich hoffe, dass die deutsche Außenpolitik den kritischen, aber ausgewogenen Kurs der früheren Außenminister Steinmeier und Gabriel gegenüber Russland nicht aufgibt. Gerade die SPD sollte sich erinnern, dass die Ostpolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt – maßgeblich unterstützt von den USA als damalige Führungsmacht des Westens – mit den Grundstein für die deutsche und europäische Wiedervereinigung gelegt hat. Wenn Außenminister Heiko Maas nach seiner anfänglichen Schroffheit gegenüber Russland nun von einer „besonderen Mittlerrolle“ Deutschlands spricht, ist das ein gutes Zeichen. Auch der mahnende Zwischenruf von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in deinem Interview, das verloren gegangene Vertrauen zwischen dem Westen und Russland zu überwinden und im Dialog zu bleiben, ist ein wichtiges und richtiges Signal.

So wie die EU für eine politische Lösung in Syrien ohne Russland nicht weiterkommt, braucht umgekehrt Russland die EU genauso.

Edmund Stoiber

So wie die EU für eine politische Lösung in Syrien ohne Russland nicht weiterkommt, braucht umgekehrt Russland die EU genauso. Russland ist wirtschaftlich gar nicht in der Lage, einen grundlegenden Beitrag zur Beseitigung der Kriegsschäden zu leisten. Der Wiederaufbau Syriens wird auch wesentlich in der Verantwortung der EU liegen, die mit am meisten von einer Beruhigung der Lage in Syrien profitiert. Man mag es für ungerecht halten, dass die Europäer, die für die Zerstörung des Landes nicht verantwortlich sind, die Hauptrolle beim Wiederaufbau spielen müssen. Aber wer wie die EU mantrahaft die wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen zum höchsten Ziel in der Migrationspolitik erklärt, muss zugeben, dass ein befriedetes Syrien der beste und auf Dauer nachhaltigste Beitrag zur Beseitigung von Fluchtursachen wäre.