Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Meinung

Warum Berliner Zentralismus falsch wäre

Kolumne Die Kraft Deutschlands gründet in seiner Vielfalt, schreibt der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber. Er warnt davor, den Föderalismus, der unser Land und unsere Gesellschaft so stark gemacht hat, leichtsinnig aufzugeben.

In Deutschland wird das föderale System nicht mehr so wertgeschätzt wie in der Bonner Republik. Der Trend zur Zentralisierung der politischen Kompetenzen ist unübersehbar und hat in der Berliner Republik noch an Fahrt aufgenommen. Im Zuge der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs ab 2020 mussten die Länder zum Beispiel der Forderung des Bundes nachkommen und diesem die Zuständigkeit für Planung und Bau der Autobahnen überlassen. In der Schulpolitik will sich der Bund über einen „nationalen Bildungsrat“ mehr Mitsprache sichern und verspricht den Ländern Milliarden für Ganztagsbetreuung und Digitalisierung. Und in der Inneren Sicherheit hat vor nicht allzu langer Zeit der frühere Bundesinnenminister de Maizière laut über eine Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bundesverwaltung nachgedacht.

Das Kooperationsverbot ist der SPD ein Dorn im Auge

Treibende Kraft für einen Zentralismus vor allem in der Bildungspolitik ist die SPD. Ihr ist das sogenannte Kooperationsverbot, das eine grundsätzlich strikte Trennung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern in der Bildung vorsieht, seit Langem ein Dorn im Auge. So hat die Fraktionsvorsitzende und künftige Parteichefin Andrea Nahles nach den Sondierungsgesprächen mit der Union eine faktische Abschaffung des Kooperationsverbots bejubelt. Aber auch die Grünen und die FDP sehen das Kooperationsverbot als „Irrtum“ der Geschichte an, die Linken sowieso. So fordert der aktuelle Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, der linke Thüringer Kultusminister Holter, ein stärkeres Mitspracherecht des Bundes in Bildungsfragen, ohne großen Aufschrei seiner Länderkollegen.

Dezentrale Lösungen, die den Sachverstand vor Ort besser nutzen können, sind zentralistischen Lösungen meistens überlegen.

Edmund Stoiber

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich ist mehr Geld für Bildung immer gut. Die vielerorts unzureichenden baulichen Zustände an Schulen und fehlende Lehrerstellen werden mit Recht beklagt. Nicht jedes Land ist in der komfortablen Situation wie Bayern, das von 2008 bis 2018 für neue und zusätzliche Aufgaben über 14.000 Lehrerstellen zur Verfügung gestellt hat. Auch vergleichbare bundesweite Standards etwa beim Abitur sind zu begrüßen. Gemeinsame Bildungsstandards können aber genauso gut über einen Staatsvertrag der sechzehn Länder vereinbart werden, dazu braucht es keine Bundeszuständigkeit. Eine zentrale Steuerung der Standards durch den Bund hätte zur Folge, dass das hohe Ranking der Schulbildung in Bayern möglicherweise absinken würde. Das wäre ja vielen in Berlin und anderswo ganz recht. Das kann aber in Bayern niemand wollen. Dem föderalen Bildungswettbewerb wäre es nicht gedient, wenn die Länder in der Schulfinanzierung vom Bund abhängig wären. Die saubere föderale Lösung, um mehr Geld in das Bildungssystem zu geben, wären mehr Umsatzsteuerpunkte für die Länder. Insgesamt ist es ureigene Sache jedes Landes und seiner Kommunen, gute Bildungschancen sicherzustellen und seine Schulen angemessen zu finanzieren.

Föderalismusreform drehte das Rad 2006 zurück

Der Trend zur Zentralisierung ist allerdings nicht neu. Schon in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurden durch zahlreiche Grundgesetzänderungen immer mehr Kompetenzen von den Ländern auf den Bund verlagert. Dafür bekam der Bundesrat als Vertretung der Länder immer größeres Mitspracherecht: Zwischen 1949 und 1998 stieg der Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze von 42 auf 60 Prozent. Erst mit der großen Föderalismusreform 2006 konnte das Rad wieder ein Stück zurückgedreht werden. Damals hatte die Große Koalition 2006 mit Zustimmung der Länder auf Grundlage der Empfehlungen einer von Franz Müntefering und mir geleiteten Föderalismuskommission beschlossen, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern vor allem in der Bildungspolitik zu entflechten und den Bund grundsätzlich herauszuhalten. Dafür stimmten alle Ministerpräsidenten, auch die der SPD. Im Gegenzug wurde die Zustimmungspflicht des Bundesrates deutlich beschnitten. Mit Erfolg: Mittlerweile ist nur noch ein Drittel aller Bundesgesetze von der Zustimmung der Länder abhängig.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten als Lektion aus dem Nationalsozialismus und dessen rücksichtloser Gleichschaltungspolitik in allen Bereichen einen starken föderalen Staatsaufbau in unserer Verfassung verankert. Besonders in der Bildungspolitik und der Medienpolitik, die von den Nazis für Indoktrinationszwecke aufs Übelste missbraucht wurden, war nach dem totalen Zusammenbruch 1945 die Notwendigkeit einer dezentralen Kompetenzverteilung offensichtlich. Auch die Wahl der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn war ein Zeichen für einen Föderalismus, der den Ländern genügend Freiraum für eigenverantwortliches Handeln geben sollte. Natürlich bedeutet Föderalismus auch Wettbewerb und Anstrengung für die bestmöglichen Ergebnisse. Die Unterschiede, die der Wettbewerb hervorbringt, gefallen nicht jedem.

Wir halten regionale Unterschiede und Traditionen nicht für Schwächen, sondern für Stärken, um die uns viele in der Welt beneiden.

Edmund Stoiber

Aber eine föderale Struktur mit vielen verschiedenen Zentren führt insgesamt zu gleichwertigeren Ergebnissen in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft als zum Beispiel im zentral organisierten Frankreich mit seinem Glanzpunkt Paris. Von Städten wie z.B. Stuttgart, München, Hamburg oder Frankfurt gehen Entwicklungsimpulse aus, die das ganze Land voranbringen. Dezentrale Lösungen, die den Sachverstand vor Ort besser nutzen können, sind zentralistischen Lösungen meistens überlegen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Zentralstaaten par excellence in Europa wie Frankreich und Großbritannien in den letzten Jahren mehr Kompetenzen auf ihre Regionen übertragen haben.

Die Kraft Deutschlands gründet in seiner Vielfalt

Der Freistaat Bayern hat sich seit Gründung der Bundesrepublik als „Lordsiegelbewahrer des Föderalismus“ verstanden, in Deutschland und Europa. Gerade für Bayern mit seiner selbstbewussten Bevölkerung und der über tausendjährigen Staatstradition hat ein selbstbestimmter – nicht separatistischer – Gestaltungsföderalismus eine herausragende Bedeutung. Wir halten regionale Unterschiede und Traditionen nicht für Schwächen, sondern für Stärken, um die uns viele in der Welt beneiden. Deshalb muss und wird die CSU immer auch eine klare Kante für einen Wettbewerbsföderalismus zeigen, der die unterschiedlichen Gegebenheiten im ganzen Bundesgebiet berücksichtigt und nicht Gleichmacherei fördert.

Die CSU hat mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und neuen Bundesinnenminister Horst Seehofer und dem Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt in Berlin zwei föderal geprägte Persönlichkeiten an der Spitze, die den zentralistisch ausgerichteten Politikern aus allen anderen Parteien Paroli bieten. Und ich bin sicher, dass der neue Bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Kabinett die Interessen unseres Freistaats und der Ländergesamtheit mit Wucht und Erfolg auf allen Ebenen vertreten werden.