Das mp3-Format ist aus der Welt der Musik nicht mehr wegzudenken. Bild: Fotolia/thelefty
20 Jahre MP3

Nicht größer als eine Streichholzschachtel

Eigentlich wollten die Forscher am Fraunhofer-Institut in Erlangen nur einen Weg finden, um Musik ordentlich über das Telefon zu übertragen. Sie erfanden dabei ein Format, das die Musikbranche für immer verändert hat. Diese Innovation kam nicht aus dem kalifornischen Silicon Valley, sondern aus Mittelfranken.

Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) tüftelten seit Anfang der 90er Jahre daran, wie Musik in adäquater Tonqualität über Telefonleitungen übertragen werden könnte. Vor genau 20 Jahren erhielt das Format für digitale Musik seinen Namen. „MP3“ lautete die griffige Dateiendung für das Audiokompressionsverfahren mit der komplizierten technischen Bezeichnung ISO Standard IS 11172-3 „MPEG Audio Layer 3“. Den Wissenschaftlern gelang es damals, Audiodateien so zu komprimieren, dass die digitale Musik deutlich weniger Speicherplatz als zuvor einnahm. Die Entwicklung ermöglichte den Siegeszug des MP3-Players und des iPod, verbannte in vielen Haushalten die Musikkassette oder CD aus den Regalen und krempelte die Musikindustrie komplett um. MP3 komprimiert und speichert Musik. Im Vergleich zum Original benötigt eine MP3-Datei nur rund 10 Prozent des Speicherplatzes. So kann Musik schnell über das Internet übertragen und auf MP3-Playern gespeichert werden. Ein moderner MP3-Player speichert je nach Speichergröße zwischen 2.000 und 200.000 Minuten Musik, das sind über 130 Tage ununterbrochene Musikwiedergabe.

Auslöser einer Revolution

„MP3 hat die Art wie wir Musik kaufen und hören verändert. Heute tragen wir unsere gesamte Musiksammlung auf Musikspielern nicht größer als eine Streichholzschachtel mit uns spazieren. Lieder im MP3-Format spielen immer und überall, kein Gerät, das MP3 nicht unterstützt. Wir kaufen Musik online über das Internet und nicht mehr im Kaufhaus. Die Technologie, die eine gesamte Industrie revolutioniert hat, nahm ihren Anfang in Erlangen. Und nur dank der unermüdlichen Entwicklungsarbeit und dank langjährigen Vermarktungsbemühungen wurde MP3 letztlich zu dem, was es heute ist: Ein kulturelles Phänomen made in Germany“, so schildert es Heinz Gerhäuser, einer der MP3-Entwickler.

Eine Erfolgsgeschichte aus Erlangen

Die Idee der Audiokompression und erste grundlegende Arbeiten in diesem Bereich entstanden an der Universität Erlangen-Nürnberg. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen wurde ab 1987 das MP3-Verfahren dann von einem großen Team entwickelt. Maßgeblich zum Erfolg beigetragen haben unter anderen Karlheinz Brandenburg, Ernst Eberlein, Heinz Gerhäuser, Bernhard Grill, Jürgen Herre und Harald Popp. Viele weitere Personen und Forschungseinrichtungen haben ebenfalls zur Entwicklung und Vermarktung beigetragen.

MP3 ist eine Erfolgsgeschichte für die Fraunhofer-Gesellschaft, aber auch für den Innovationsstandort Deutschland. Denn Deutschland gehört auch dank MP3 zur weltweiten Spitze in der Entwicklung von Audiotechnologien. So werden Einnahmen in Millionenhöhe erwirtschaftet und in neue Forschungsprojekte investiert. Und der deutsche Staat profitiert von Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen. Die durch MP3 induzierten Steuereinnahmen summieren sich für Bund und Länder auf jährlich mindestens 300 Millionen Euro. Mindestens 9.000 Arbeitsplätze sind in Deutschland direkt bedingt durch MP3, zum Beispiel im Handel oder bei Herstellern von MP3-Playern. Die Lizenzerträge der Fraunhofer-Gesellschaft aus den MP3-Patenten summieren sich jährlich auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. „Die erheblichen Lizenzerträge, die wir aus der Verwertung der Schutzrechte zur MP3-Technologie erzielen, bieten uns die einmalige Chance, ausgewählte Eigenforschungsvorhaben zur Generierung von neuen IP-Clustern zu fördern“, betont Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. „Aufgabe unserer Unternehmenspolitik muss sein, eine langfristig angelegte Vorlaufforschung in den Technologiefeldern zu ermöglichen, die den gezielten Aufbau von umfassenden Patentclustern erlauben.“ Mit insgesamt 700 Mitarbeitern und 80 Millionen Euro Budget ist das Fraunhofer IIS auch dank MP3 heute das größte Institut der Fraunhofer-Gesellschaft.

Die Entstehung eines Welterfolges

„Es ist doch der Traum jedes Forschers, etwas Nützliches für die Menschheit zu entwickeln“, sagt der Elektrotechniker Karlheinz Brandenburg. „Wir träumten damals vom digitalen Hör-Rundfunk und Millionen von Nutzern. Jetzt sind es viele Milliarden Geräte, die mit dem Format arbeiten, das übersteigt die damaligen Träume noch deutlich.“ Nachdem das insgesamt um die acht Entwickler umfassende Fraunhofer-Team den technischen Durchbruch geschafft hatte, war lange Zeit nicht klar, ob sich das Format auch wirklich am Markt durchsetzen wird. „Die Anfangszeiten waren sehr schwierig“, sagt Popp. Die Pessimisten fragten, ob es je Geräte geben werde, die eine Musiksammlung im Mini-Format wiedergeben könnten.

Wir träumten damals vom digitalen Hör-Rundfunk und Millionen von Nutzern. Jetzt sind es viele Milliarden Geräte.

Karlheinz Brandenburg

Nach ursprünglichen Plänen war die Encoder-Software, die Musikstücke ins MP3-Format wandelte, vor allem für die Musikindustrie gedacht und sollte teuer sein. Doch 1997 kaufte ein australischer Student ein solches Programm, durchschaute den Mechanismus dahinter und stellte den Encoder für alle frei verfügbar ins Netz. „Er hat unser Geschäftsmodell weggegeben“, beschwerte sich Brandenburg in einem Interview mit dem US-Rundfunksender NPR 2011. Fortan konnte jeder CDs in handliche MP3-Dateien umwandeln, die auch für damals noch langsame Internet-Verbindungen nicht zu groß waren. 1998 tauchten die ersten MP3-Player in den Läden auf. Allerdings erst als Apple-Chef Steve Jobs im Herbst 2001 den ersten iPod präsentierte, begann der richtige Siegeszug der MP3-Abspielgeräte. Mittlerweile übernimmt meist das Smartphone auch die Aufgabe eines MP3-Players.

MP3 hat das Leben verändert

Das MP3-Format veränderte damals das Leben der Musikfreunde: Sie konnten ihre Lieblingssongs einfacher denn je unterwegs hören. Keine CD-Hüllen mehr, die man neben dem Discman noch ins Handgepäck stopfen muss. Ganz einfach konnte jeder sich seine Lieblingslieder von einem Album in eine Playlist sammeln. Weil sich diese revolutionäre Entwicklung nicht auf Musikplayer beschränkte, sondern auch das Musikhören im Internet möglich machte, wurde Karlheinz Brandenburg als Miterfinder des MP3-Standards im vergangenen Jahr in die „Internet Hall of Fame“ aufgenommen. Dank MP3 war es leichter geworden, Musik zu versenden und zu kopieren. Diese Entwicklung wurde auch missbraucht: 1999 ging die Musiktauschbörse Napster online, zwei Jahre später wurden dort Monat für Monat rund zwei Milliarden Songs (meist illegal) getauscht.

Klangverluste

Der MP3 hängt auch aus anderen Gründen ein schlechter Ruf nach: Das Format habe die Klangqualität der Musik verschlechtert, heißt es. Das Kompressionsverfahren funktioniert nämlich nicht verlustfrei, das heißt, es gehen Teile des Klangspektrums verloren – der Frequenzbereich in einem Song wird zusammengeschrumpft. Die Wissenschaftler machten sich dafür die Eigenschaften des menschlichen Gehörs zunutze: MP3 stellt nur die Teile der Musik besonders genau dar, die für den Menschen auch gut hörbar sind. Wird etwa eine Flöte von einer Trompete übertönt, wird das Musiksignal der Flöte nach der Kompression abweichend dargestellt. Alle verzichtbaren Töne werden also gefiltert – und so Daten gespart. Über die Frage, wie stark die Audioqualität unter der Kompression zu leiden hat, können sich Audiophile die Köpfe heißreden. Für viele Hörer dürften die Einbußen häufig kaum wahrnehmbar sein, insbesondere wenn höhere Datenraten bei der Umwandlung der Musik verwendet werden. Die Klangqualität hängt aber auch von anderen Faktoren ab, etwa den verwendeten Verstärkern, Lautsprechern oder Kopfhörern.

Ein Blick in die Zukunft

Die aktuelle Entwicklung der Audio-Kompression hat die Ära der MP3-Player schon hinter sich gelassen. Zum Musikhören unterwegs braucht man heute nicht mehr unbedingt viel Speicherplatz, sondern Bandbreite fürs Streaming. Auch hier spielt die Erfindung aus Erlangen ein maßgebliche Rolle: „MP3 steht ja nicht nur für Musik auf dem PC“, sagt Grill. Vielmehr sei MP3 der Standard für Musik überall. „Auch heute sind vermutlich Zehntausende Streamingdienste mit MP3 aktiv.“ Die meisten anderen verwendeten das Nachfolgeformat AAC, das ebenfalls von Grill und Kollegen entwickelt wurde. Weil in Zukunft immer mehr Bandbreite zur Verfügung stehen wird, fragen Experten schon jetzt, wann MP3 durch verlustfreie Formate verdrängt wird. Immerhin können Musikfreunde darauf vertrauen, dass ihre in MP3 codierten Songs nicht obsolet werden. MP3-Miterfinder Grill prophezeit: Auch in 100 Jahren werde man die Dateien von heute noch immer abspielen können.

(dpa/avd)