Reine Provokation: Der AfD-Abgeordnete Ralph Müller (vorne), hat sich bei einer Gedenkminute für den erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke nicht von seinem Platz erhoben. (Foto: Picture alliance/ dpa/ Tobias Hase)
AfD-Fraktion

„Eine Schande für den Landtag“

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Die AfD-Fraktion im bayerischen Landtag zeigt sich zutiefst zerstritten, radikal und schädlich für die Demokratie im Lande. Ihre „Politik“ besteht aus Provokationen und bewussten Tabubrüchen.

Was die AfD seit ihrem Einzug Ende 2018 im bayerischen Landtag bietet, lässt sich nicht als „Pleiten, Pech und Pannen“ oder gar als Unbeholfenheit unerfahrener Neu-Parlamentarier abtun. Die AfD-Landtagsfraktion ist vielmehr eine zutiefst zerstrittene Truppe – ein Teil davon mit Tendenzen zum Rechtsradikalismus –, die sich auf Provokationen und Panikmache konzentriert: absolut unfähig zu bürgerlicher und konstruktiver Politik.

Jedem Konservativen muss klar sein, dass die AfD keine bürgerliche Partei ist.

Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag

„Jedem Konservativen muss klar sein, dass die AfD keine bürgerliche Partei ist“, sagt CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer zum BAYERNKURIER. „Ihre stete Radikalisierung schreitet unaufhaltsam voran.“ Kreuzer macht das besonders an zwei Vorkommnissen fest: „Mit ihrem Verhalten beim Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus und wenige Wochen später bei einer Gedenkminute für den ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke im bayerischen Landtag hat die AfD ganz bewusst rote Linien überschritten und ihre extremistische und menschenfeindliche Gesinnung entlarvt.“

Eklat beim Gedenkakt für Nazi-Opfer

In der Tat: Bei einem Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus am 23. Januar 2019 provozierte die AfD bewusst einen Eklat. Ein Großteil der AfD-Fraktion, darunter auch die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner, verließ demonstrativ das Plenum. Sie reagierten damit auf eine Rede der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Nur vier von damals noch 22 AfD-Abgeordneten blieben im Saal. Knobloch hatte in ihrer Rede die AfD direkt attackiert und die Gesellschaft und alle demokratischen Parteien zum Schutz der Demokratie aufgerufen.

Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht – nicht nur für mich – nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung.

Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland

„Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht – nicht nur für mich – nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung“, sagte die Holocaust-Überlebende. Als die AfD-Abgeordneten daraufhin aufstanden und gingen, rief sie ihnen zu: „Kehren Sie zurück zu dem Eid, den Sie auf unser Land geschworen hatten, auf eine freiheitliche Demokratie, und lassen Sie uns dem Hass entgegentreten.“

Missachtung für den ermordeten Walter Lübcke

Ähnlich provokant und im Widerspruch zum parlamentarischen Anstand benahm sich die AfD bei einer Gedenkminute für den mutmaßlich von einem Rechtsextremisten ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) am 26. Juni 2019. Zu Beginn der Sitzung sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner: „Wer mit Worten Tabus bricht, leistet der Verrohung in unserer Gesellschaft Vorschub und hat Anteil daran, wenn es zu Gewalttaten kommt. Unser Umgang miteinander hat Vorbildcharakter.“ Derweil blieb der AfD-Abgeordnete Ralph Müller in der ersten Reihe seiner Fraktion sitzen – nach Auffassung von Beobachtern geradezu demonstrativ. Er stand erst auf, als Aigner bereits einen weiteren Verstorbenen würdigte.

Einem Verstorbenen das Totengedenken demonstrativ zu verweigern, ist ehrverletzend, respektlos und ein beispielloser Fehltritt.

Markus Söder (CSU), bayerischer Ministerpräsident

Hinterher spielte Müller die verfolgte Unschuld: „Ich kann in dem Verhalten keine Schuld sehen“, sagte er. Dass er sitzen geblieben sei, liege an einer „Unachtsamkeit“, da er noch an einer Rede gearbeitet habe. Eine Entschuldigung, wie sie die Abgeordneten aller anderen Fraktionen forderten, kam Müller sehr spät über die Lippen – erst, als Aigner ausdrücklich darum bat. Dennoch sagte er: „Diese moralingetränkte Hexenjagd weise ich zurück, weil sie auch nicht angebracht ist.“ Ministerpräsident Markus Söder (CSU) platzte daraufhin der Kragen: „Einem Verstorbenen das Totengedenken demonstrativ zu verweigern, ist ehrverletzend, respektlos und ein beispielloser Fehltritt im bayerischen Landtag aus den Reihen der AfD.“ Dieses Verhalten zeige „wieder einmal die wahre Gesinnung“ der AfD. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte: „Diese AfD und ihre Vertreter sind eine Schande für den bayerischen Landtag.“

Zutiefst gespaltene und zerrissene Truppe

Die AfD-Fraktion ist tief gespalten und reibt sich auf im Grabenkampf zwischen den wenigen moderat-bürgerlichen Abgeordneten und der Mehrheit der rechtsnationalen Höcke-Jünger, auch „Flügel“-Anhänger genannt. Diese beiden Lager innerhalb der AfD-Fraktion dürfen mittlerweile als verfeindet gelten. Auch die beiden bisherigen Austritte aus der AfD-Fraktion sowie ein gescheiterter Rauswurfversuch sind ein Zeichen dieses Konflikts. Am 27. März 2019 trat der 69 Jahre alte Abgeordnete Raimund Swoboda aus der AfD und der Landtagsfraktion aus. Landtagsbeobachter nennen den „provokanten Kurs“ der Fraktion und Swobodas Nichtberücksichtigung bei der Besetzung des Innenausschusses als wahrscheinliche Ursache. Der pensionierte Polizeibeamte Swoboda bezeichnete seine ehemaligen Fraktionskollegen als „rechtsradikale Gesinnungshasardeure“.

Anfang April nahm AfD-Fraktionschefin Ebner-Steiner, die dem rechtsnationalen Höcke-Flügel zugerechnet wird, ihren Antrag zurück, den gemäßigten Abgeordneten Franz Bergmüller aus der Fraktion zu werfen. Sie hatte Bergmüller „mangelnde Loyalität“ vorgeworfen, weil er Raimund Swoboda nach dessen Austritt argumentativ unterstützt hatte. Bergmüller seinerseits beklagte einen Rechtsrutsch der AfD, das Aufgeben der konservativ-bürgerlichen Mitte und attestierte der Fraktionsvorsitzenden Ebner-Steiner eine „offensichtliche Überforderung“ sowie schlechte Führungsqualitäten. Zum Bayerischen Rundfunk sagte Bergmüller: „Es entsteht zusehends der Eindruck, dass hier die Protagonisten eines Höcke-Flügels die Mehrheit kriegen oder haben.“

AfD-Fraktionschef tritt spektakulär aus Partei und Fraktion aus

Noch deutlicher kritisierte der frühere Co-Fraktionsvorsitzende Markus Plenk die Partei nach seinem Austritt im April 2019. „Ich habe es satt, die bürgerliche Fassade einer fremdenfeindlichen Partei zu sein“, zitierte ihn der Spiegel. In einer Pressemitteilung schrieb Plenk: „Es tut mir Leid, dass ich nun meinerseits all jene vernünftigen AfD-Mitglieder enttäusche, die weiterhin hoffen, dass sich innerhalb der bestehenden Organisations- und Personalstrukturen noch etwas zum Guten wenden lässt. Das habe ich als Fraktions- und Bezirksvorsitzender selber versucht. Nun aber möchte ich keine weitere Energie in das Bemühen stecken, die AfD-Fraktion vor einem Rechtsruck zu bewahren.“ Sein Austritt sei „sicherlich ein Signal“ und werde aus seiner Sicht kein Einzelfall bleiben.

Zudem erklärte Plenk, er wolle Mitglied der CSU werden. „Bei der CSU wäre ich kein Rechtsaußen, sondern in der Mitte anzusiedeln“, sagte er zur SZ. Wie die CSU-Landesleitung dem BAYERNKURIER allerdings mitteilte, ist bislang noch kein Mitgliedsantrag von Markus Plenk eingegangen. „Wenn es einen Mitgliedsantrag gibt, werden wir diesen genau prüfen“, erklärte CSU-Generalsekretär Markus Blume dazu. Voraussetzung für eine Aufnahme in die CSU sei „eine klare Distanzierung von der AfD und ein Bekenntnis zu unseren Werten“.

Strafanzeige gegen Ebner-Steiner

Zum vorläufigen Höhepunkt des Machtkampfs der beiden verfeindeten Lager kam es Anfang Juli 2019: Mehrere AfD-Abgeordnete sollen bei der Staatsanwaltschaft München eine Strafanzeige gegen ihre Fraktionschefin Ebner-Steiner gestellt haben – wegen der Veröffentlichung des privaten E-Mail-Verkehrs von sieben AfD-Abgeordneten. Laut Bayerischem Rundfunk besprachen in diesen Mails unter anderem die AfD-Abgeordneten Franz Bergmüller und Uli Henkel die Möglichkeiten, die Fraktionschefin von einem Rücktritt zu überzeugen. Geplant war, Ebner-Steiner eine Unterschriftenliste von 13 AfD-Abgeordneten zu überreichen, die sie zum Rücktritt aufrufen sollten.

Noch bevor es allerdings zum Sammeln der Unterschriften kam, veröffentlichte Ebner-Steiner den E-Mail-Verkehr in einer AfD-internen Facebook-Gruppe, wie der BR berichtete. Ebner-Steiner kommentierte die Veröffentlichung dort mit den Worten, sie sei „menschlich bestürzt und enttäuscht“. Mit den Drahtziehern sei „nicht mal mehr ein Hauch konstruktiven Umgangs“ möglich, es dürfe keine Zusammenarbeit mehr mit ihnen geben. Ebner-Steiner behauptete, ihr seien die Mails von anonymer Seite zugespielt worden.

Im Landtag fallen die AfD-Abgeordneten mit internen Machtkämpfen und Provokationen statt durch inhaltliche Arbeit auf.

Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion im Landtag

Laut BR entstand während einer AfD-Fraktionssitzung Ende Juni eine heftige Debatte über den Inhalt der Mails und deren Veröffentlichung. Mehrere Abstimmungen über den Ausschluss einzelner Abgeordneter und auch Ebner-Steiners Vertrauensfrage endeten mit einem Patt. AfD-Abgeordnete wie Anne Cyron und Franz Bergmüller riefen daraufhin auch öffentlich Ebner-Steiner dazu auf, von ihrem Amt als Fraktionschefin abzutreten. Die Abgeordnete Cyron sagte: „Ich denke, die Fraktionsvorsitzende hat sich eigentlich so zu benehmen, dass die Fraktionsmitglieder keinen Grund für eine Anzeige haben.“

„Im Landtag fallen die AfD-Abgeordneten mit internen Machtkämpfen und Provokationen statt durch inhaltliche Arbeit auf“, kommentiert dies der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion im Landtag, Tobias Reiß. „Für uns Christsoziale bleibt jede Art der Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen“, betont Reiß.

Undurchschaubare Machtverhältnisse

Nach einer Analyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Sommer waren damals die beiden Lager innerhalb der AfD-Landtagsfraktion – die eher gemäßigt Bürgerlichen und die rechtsnationalen Anhänger von Höckes Flügel mit Ebner-Steiner an der Spitze – etwa gleich stark. Vom ursprünglich stärkeren „Flügel“-Teil seien kurz zuvor mehrere Abgeordnete zu den Ebner-Steiner-Kritikern übergelaufen, nicht weil sie deren politische Richtung kritisieren, sondern ihre Amtsführung. In einem internen Kassenbericht sei von überzogenen Ausgaben die Rede, etwa von einem 20.000 Euro teuren Bürosofa. Ihre Kritiker hätten in dem E-Mail-Verkehr daraufhin auch von „Großmannssucht“ gesprochen – also das Gegenteil dessen, „was die Basis von uns erwartet“.

Bei der vorgezogenen Neuwahl der Fraktionsspitze Ende September waren nur zwölf der 20 verbliebenen AfD-Abgeordneten anwesend, die übrigen acht boykottierten die Abstimmung. Die Versammlung war also nur knapp beschlussfähig. Die wiedergewählte Ebner-Steiner und ihr neuer Co-Vorsitzender Ingo Hahn sahen sich sogleich scharfen innerparteilichen Attacken ausgesetzt: In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten drei AfD-Abgeordnete – im Namen aller acht fehlenden Abgeordneten – unter anderem den vorgezogenen Wahltermin. Der Termin für die Neuwahl sei kurzfristig angesetzt worden, die Wiederwahl des Vorstands abgesprochen gewesen, heißt es in dem vom Abgeordneten Franz Bergmüller verbreiteten Brief.

Sympathien mit Zulagen erkauft?

Darin wird der Fraktionsspitze auch indirekt Veruntreuung vorgeworfen. „Durch die Auslobung weiterer hoher Zulagen“ sei das bisherige Patt in der Fraktion von zehn zu zehn zu einem Verhältnis elf zu neun verändert worden. Diese „Spaltung der Fraktion“ sei ausschließlich auf Ebner-Steiner zurückzuführen. Weiter warfen die drei Unterzeichner der Fraktionsspitze vor, das Versprechen gebrochen zu haben, „Dinge anders zu machen als die Altparteien“. So lasse es sich die Fraktionsführung gut gehen „mit völlig überzogenen Zulagen“, die zu Lasten des Fraktionsbudgets und auf Kosten der Steuerzahler gezahlt würden.

Bei der Prüfung der buchhalterischen Unterlagen war eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvorstand leider zu keiner Zeit möglich.

Franz Bergmüller und Anne Cyron, zurückgetretene interne Kassenprüfer der AfD-Fraktion

Wie zur Bestätigung dieser Vorwürfe erklärten die beiden internen Kassenprüfer der AfD-Fraktion, Franz Bergmüller und Anne Cyron, Anfang Oktober ihren Rücktritt. Bergmüller, der ja schon mehrfach als Ebner-Steiner-Kritiker aufgetreten war, und Cyron sprachen in einer gemeinsamen Erklärung von „mangelnder Kooperationsbereitschaft“ seitens des Fraktionsvorstands Steiner. Man sehe sich außerstande, die Arbeit in gewissenhafter Weise weiterzuführen. Bereits zuvor war der interne Kassenprüfer Ulrich Singer zurückgetreten, wie Bergmüller erklärte. Mittlerweile ist das dreiköpfige Gremium verwaist. Ein Fraktionssprecher wies die Vorwürfe zurück. Die Buchhaltung der Fraktion werde extern von einem Steuerbüro erledigt. „Ein Wirtschaftsprüfer hat für das erste Halbjahr 2019 bestätigt, dass die Buchführung einwandfrei und ordnungsgemäß ist“, erklärte der AfD-Fraktionssprecher schriftlich. „Im Übrigen können alle Abgeordneten jederzeit alle Dokumente einsehen.“

Gefälschte Fotos mit Aigner und AfD-Logo

Nach Einschätzung des BR birgt die Rücktritts-Begründung von Bergmüller und Cyron dennoch neues Konfliktpotenzial. „Bei der Prüfung der buchhalterischen Unterlagen war eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvorstand leider zu keiner Zeit möglich“, erklärten Bergmüller und Cyron. Die „insgesamt ungeordnete Buchhaltung“ der Fraktion sei „in desolatem Zustand“. Bergmüller und Cyron beklagten auch, dass ihre Verbesserungsvorschläge nicht „als Ausgangspunkt für konstruktive Zusammenarbeit“ aufgenommen worden seien. Stattdessen seien sie „zunehmend persönlichen Angriffen ausgesetzt“. Ebner-Steiner habe zudem wahrheitswidrig behauptet, dass die Kommission sich für höhere Fraktionszulagen ausgesprochen habe. Laut Bergmüller ist das eine „dreiste Lüge“.

Wie wenig sich die AfD um politischen Anstand schert, hatte sich nochmals kurz vor der Sommerpause des Landtags im Juli gezeigt. Landtagspräsidentin Ilse Aigner sah sich gezwungen, gegen den niederbayerischen AfD-Abgeordneten Ralf Stadler Strafanzeige zu stellen. Anlass ist ein Bild in einem Facebook-Beitrag von Stadler. Auf dem hochgeladenen Foto war Aigner mit einer Kindergruppe zu sehen. Sie halten viele blaue Luftballons in die Luft, auf die jeweils ein AfD-Logo montiert wurde. Sie ziehe mit dem Strafantrag „eine Linie als klar erkennbares Zeichen für alle, die sich hier im Landtag nicht an die Regeln halten wollen“, sagte Aigner und lehnte alle Entschuldigungen Stadlers ab.