Jugendstrafrecht im Fokus: Eine Vergewaltigung in Mülheim sorgt für hitzige Debatten. (Bild: imago images/Thomas Trutschel/photothek.net)
Junge Täter

Machtlos?

Die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen durch fünf bulgarische Kinder und Jugendliche in Mülheim an der Ruhr hat eine neue Debatte über die Altersgrenze für die Strafmündigkeit entfacht. Kinder in den Knast?

Die Vergewaltigung einer 18-Jährigen durch Minderjährige in Mülheim schockiert das Land und hat – neben der Migrationskritik – zu einer Debatte um das Jugendstrafrecht und das Alter für Strafmündigkeit geführt.

Sie ist nicht neu, man erinnere sich beispielsweise an den Fall des jugendlichen Serien-Straftäters „Mehmet“ aus München, der schließlich 1998 mit Vollendung des 14. Lebensjahres ohne Eltern in die Türkei abgeschoben wurde. Das Bundesverfassungsgericht stimmte der Abschiebung zu.

Der Hintergrund

Doch zunächst die Fakten des neuen Falls: Eine fünfköpfige Gruppe Jugendlicher soll im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr eine Frau vergewaltigt haben. Die 18-Jährige wurde laut Medienberichten in ein Waldstück gelockt, zum Oralsex gezwungen, schwer missbraucht und verprügelt. Die Bande soll die Tat gefilmt haben. Die dringend Tatverdächtigen laut Polizeiangaben: zwei Zwölfjährige und drei Vierzehnjährige bulgarischer Nationalität.

Die drei 14-Jährigen wurden festgenommen und waren über Nacht im Gewahrsam, wurden nach der Vernehmung aber wieder freigelassen und ihren Eltern übergeben. Ein 14-jähriger Tatverdächtiger wurde später erneut festgenommen und sitzt wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft, weil er bereits zweimal wegen sexueller Belästigung aufgefallen sein soll.

Die Zähne des deutschen Rechtsstaates enden an der Gegensprechanlage.

Facebook-Kommentar

Die Zwölfjährigen sind strafunmündig. Gegen sie können deshalb keine Strafen verhängt werden. Lediglich das Jugendamt könnte eingreifen und nur bei einer Kindeswohlgefährdung die Kinder vorübergehend bei Pflegeeltern unterbringen – was aber nach polizeilicher Überprüfung hier nicht gegeben ist. Wie die Stadt mitteilte, hat die Familie eines Tatverdächtigen jedes Gespräch mit dem Jugendamt verweigert, ja nicht einmal die Tür geöffnet. Bei dem anderen 12-Jährigen kam es immerhin zu einem Gespräch, Hilfsangebote wurden nicht angenommen. Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärte zudem, dass die Verdächtigen bis zu den Sommerferien ihre Schulen in Mülheim nicht mehr besuchen werden.

Am Wochenende kam es in Mülheim außerdem laut Medienberichten zu einem weiteren sexuellen Übergriff durch Minderjährige auf eine 15-Jährige. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte, soll die Jugendliche von fünf Tatverdächtigen, vier Syrer und ein Libanese im Alter von 11 bis 17 Jahren, eingekreist worden sein. Zwei der fünf sollen das Mädchen dann begrapscht haben, Schlimmeres wurde durch Passanten verhindert.

Heftige Debatte

Nun tobt in den Medien und ihren Kommentarspalten sowie in den sozialen Medien eine teils heftige Diskussion. „Ist man mit zwölf Jahren alt genug, um zu vergewaltigen – aber zu jung, um dafür bestraft zu werden?“, fragt etwa die Bild-Zeitung. „Die Kerle sind nicht mehr zu retten, da ist doch Hopfen und Malz längst verloren“ oder „Diese Klientel hat oft kein Unrechtsbewusstsein und bekommt es mitunter vorgelebt“, heißt es in Facebook-Foren. „Was ist mit dem Satz: Eltern haften für ihre Kinder?“, fragt jemand. „Ich möchte mich nicht damit abfinden, dass ein 18jähriges Mädchen ein Leben lang traumatisiert wird und die Täter grinsend von der Polizei kommen und von ihren Familien freudig erwartet werden“, so geht es weiter. Andere beklagen einen erneuten „Vertrauensverlust in den Rechtsstaat“ oder schreiben ironisch: „Die Zähne des deutschen Rechtsstaates enden an der Gegensprechanlage.“

Was bleibt, ist das Warten auf die nächsten Opfer.

Rainer Wendt, Deutsche Polizeigewerkschaft

Angeführt wird, dass man zwar mit 18 als volljährig gilt, ab 16 Autofahren dürfe – eine immerhin nicht ganz ungefährliche Tätigkeit – und vielfach auch das Wahlrecht schon ab 16 gefordert wird. Das normale Strafrecht greife aber erst mit 21 Jahren. Andere fordern, die Strafmündigkeit ab 14 abzusenken. Wenn schon keine Haft, so solle es zumindest andere spürbare Sanktionsmöglichkeiten für Straftäter unter 14 geben, etwa Sozialarbeit, das wird ebenfalls verlangt.

Das Unrecht begreifen

Hintergrund der Strafunmündigkeit ist, dass Kinder unter 14 noch nicht die Reife besitzen, um für das Unrecht einer strafbaren Handlung einstehen zu können. In Gefängnissen ist zudem die Rückfallquote höher und Insassen werden dort oft erst recht kriminell. Auch bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren muss vor einer Strafe die Schuldfähigkeit festgestellt werden. Damit ist unter anderem gemeint: die sittliche und die geistige Reife, den Grund von Verboten zu erkennen, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Zudem gilt: Erziehungsmaßregeln sollen vor der Freiheitsstrafe gehen.

Laut den Statistiken sinkt die Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen seit Jahren deutlich. Die Zahlen für 2018: Von den 8047 Verdächtigen waren im Bereich Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall laut BKA-Bericht 69 Kinder unter 14 Jahren und 895 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren. 3102 tatverdächtige Vergewaltiger hatten 2018 keinen deutschen Pass. Das sind 38,5 Prozent, also deutlich mehr als der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung, der bei etwa 12 Prozent liegt. Bei anderen Straftaten ist der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger zudem deutlich niedriger. Der Anteil der Gruppenvergewaltigungen an der Gesamtzahl der Vergewaltigungen liegt seit Jahren bei etwa drei Prozent und bewegt sich zwischen 300 und 600 Fällen jährlich. Hier liegt der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen sogar bei 56 Prozent, berichtet die Bild-Zeitung.

Jugendämter sind machtlos

Ermittler machen oft die Erfahrung, dass Jugendämter bei jungen Intensivtätern wenig ausrichten können. Oft können oder wollen die Eltern die Hilfe nicht annehmen, wie auch in Mülheim. Auch die Einweisung in ein Heim bringe meist nichts. Allerdings könnten die jungen Täter schon früh ihre Taten als strafbar einordnen und sie wüssten überdies, dass ihnen unter 14 Jahren nichts passieren wird. Zugleich setze die Pubertät immer früher ein. Gerade für solche Fälle braucht es Lösungen – Ausnahmen von der Strafunmündigkeit sind aber rechtlich wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes so gut wie unmöglich.

Die Gleichung mehr Strafrecht gleich weniger Kriminalität geht bei den Jugendlichen nicht auf.

Jens Gnisa, Deutscher Richterbund

Empörung allein sei kein guter Ratgeber, sagte die neue Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Strafrechtliche Verantwortung setze einen bestimmten Entwicklungsstand voraus, der bei Kindern unter 14 Jahren regelmäßig nicht gegeben sei. Auch der Deutsche Richterbund hat sich gegen die Senkung der Altersgrenze ausgesprochen. „Die Gleichung mehr Strafrecht gleich weniger Kriminalität geht bei den Jugendlichen nicht auf“, begründete dessen Vorsitzender Jens Gnisa gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Vielmehr habe sich das Jugendstrafrecht bewährt. „Es hat durch den darin niedergelegten Erziehungsauftrag zu einem deutlichen Rückgang der Jugendkriminalität geführt“, so Gnisa. Zudem gebe es über Jugendämter und Familiengerichte die Möglichkeit, gegebenenfalls einzuschreiten.

Lösungswege

Anders sieht das Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der gesetzlichen Änderungsbedarf anmahnt – jedoch nicht vorrangig zur Bestrafung. Es gehe nicht um „Wegsperren“ oder „Kinder in den Knast“, betont Wendt auf Facebook. Trotzdem ist die frühzeitige Intervention wichtig, um Unrechtsbewusstsein zu schaffen und Verhaltensänderung zu bewirken.“ Wenn sie sich in einem Gerichtsverfahren vor einem Richter verantworten müssten, würde das auf junge Täter mehr Eindruck machen, als wenn sich das Jugendamt einschalte und einen Mitarbeiter vorbeischicke. „Das Jugendgerichtsgesetz bietet eine ganze Fülle an Möglichkeiten, auf Jugendliche mit Nachdruck einzuwirken und eine kriminelle Karriere erst gar nicht beginnen zu lassen. Diese Möglichkeiten auch auf diejenigen auszuweiten, die infolge ihres niedrigen Lebensalters (12-14) davon nicht erreicht werden können, genau darum geht es.

Bleibt die amtlich verkündete Höchststrafe: Eine Woche zusätzliche Ferien.

Rainer Wendt

Wendt weiter: „Wir fordern seit Jahren, dass das Alter für die Strafmündigkeit in Deutschland herabgesetzt wird. Ein Vorteil wäre, dass die Jugendämter mit den 12- und 13-Jährigen nicht mehr alleingelassen werden und den Kindern über die Jugendgerichtshilfe frühzeitig geholfen werden kann.“ Die Jugendbehörden seien obendrein oft zu schwach aufgestellt. Und wie man in Mülheim sehen könne, habe sich das System eben nicht bewährt, weil der 14-Jährige ja bereits wiederholt aufgefallen sei und alle Interventionen nichts gebracht hätten. Bei dem Zwölfjährigen sei das Amt nur bis zur Gegensprechanlage gekommen. „Das Gericht, das eventuell eine Kindeswohlgefährdung zum Anlass nehmen könnte, die Verdächtigen aus der Familie zu nehmen, wird gar nicht erst bemüht. Wenn Kinder zu brutalen Vergewaltigern erzogen werden, ist ihr ‚Kindeswohl‘ nicht erkennbar gefährdet. Zumindest in Mülheim ist das so.“ Ein Woche zusätzliche Ferien sei auch keine Strafe.

Warnung vor dem Nichtstun

Der DPolG-Chef warnte: „Im Moment haben sich wieder diejenigen durchgesetzt, die nichts verändern wollen. Zurück zur Tagesordnung, bis zum nächsten Schrecken.“ Er verwiest darauf, dass in anderen europäischen Ländern die Strafmündigkeitsgrenze schon jetzt niedriger sei: „In England bereits ab zehn, in Schottland ab 8 Jahren – das sind bekanntlich keine finsteren Diktaturen, sondern europäische Rechtstaaten.“ In Frankreich liegt die Grenze bei 13 Jahren, in der Schweiz bei 10, in den Niederlanden können Zwölfjährige zumindest festgenommen und durchsucht werden. Wenn man nichts verändere, bleibe aber nur „das Warten auf die nächsten Opfer“, so Wendt.

Am Ende wird vor lauter „Kindeswohl“ der Täter meist das Wichtigste vergessen: Die durch die Vergewaltigung verletzte und für ihr Leben traumatisierte junge Frau.

Ausweisung von EU-Bürgern

Diese Möglichkeit besteht, hat jedoch wegen dem Freizügigkeitsgrundsatz des EU-Rechts (Reise- und Niederlassungsfreiheit) hohe rechtliche Hürden. Nur wer aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung, die Sicherheit oder Gesundheit „tatsächlich und hinreichend schwer“ gefährdet, kann ausgewiesen werden. In verschärfter Form gilt das auch für Minderjährige, etwa bei gravierenden Straftaten.