Für fairen Handel: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller auf einer Kakaoplantage in der Elfenbeinküste. (Bild: Ute Grabowsky/Photothek.net)
Dritte Welt

Menschenrechte sind nicht verhandelbar

Gastbeitrag Viele unserer täglichen Produkte werden unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt. Das zu ändern, liegt in der Verantwortung von Unternehmen und Verbrauchern. Von Gerd Müller. Aus dem BAYERNKURIER-Magazin.

Stellen Sie sich das einmal vor: jeden Tag bis zur totalen Erschöpfung am Webstuhl sitzen. Von Sonnenaufgang bis zum Abend. Kein Wochenende, kein Urlaub. Und das alles für einen Hungerlohn. Die Kinder müssen mit anpacken, damit die Familie überleben kann. Trotzdem herrschen Hunger und Not. Das alles ist nachzulesen bei Gerhart Hauptmann in seinem Drama „Die Weber“. Damals kam es zum Weberaufstand, wenig später wurden Arbeitervereine gegründet und soziale Sicherungen entwickelt. Mittlerweile haben wir in Europa mit die höchsten Standards in der Welt. Arbeitsbedingungen wie bei den Webern sind bei uns Vergangenheit. Aber für Hunderte Millionen Menschen in Entwicklungsländern sind sie noch immer bitterer Alltag!

Beim ersten Schluck Kaffee sollte man wissen, dass auf den meisten Plantagen Kinder schuften müssen.

Gerd Müller

Viele unserer täglichen Produkte werden dort unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt. Das fängt schon morgens beim Anziehen an: 90 Prozent unserer Kleidung stammt aus Südostasien. Oft bedeutet das: 16-Stunden-Schichten in stickigen Fabriken, kein Brandschutz, Kündigung bei Schwangerschaft, fehlende Schutzbekleidung beim Einsatz gefährlicher Chemikalien und Hungerlöhne.

Kinderarbeit für den Kaffee

Das geht beim Kaffee weiter: Beim ersten Schluck sollte man wissen, dass auf den meisten Plantagen Kinder schuften müssen. Ein Kilo Kaffee in Deutschland kostet zehn bis zwölf Euro. Nur 50 Cent kommen davon bei den Bauern an. Davon können die Familien auf den Plantagen nicht leben. Deshalb müssen oft die Kinder mitarbeiten. Allein in Westafrika 2,3 Millionen.

Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen: In unseren Handys, E-Bikes und Autos steckt Kobalt. 60 Prozent stammen aus dem Kongo, wo in den vielen illegalen, einsturzgefährdeten Minen Zwangsarbeit und Umweltzerstörungen an der Tagesordnung sind.

150 Millionen Kinder müssen weltweit arbeiten.

Gerd Müller

Zu Recht würden wir solche Arbeitsbedingungen in Deutschland und Europa niemals akzeptieren. In Entwicklungsländern nehmen wir sie aber weiter hin, als ob die Menschen weniger Wert wären. Viele Unternehmen externalisieren die Probleme: Sie verlagern die Produktion außerhalb der geregelten Zone des europäischen Binnenmarktes, nutzen Regelungslücken und produzieren nach Standards, die bei uns aus gutem Grund schon lange nicht mehr erlaubt sind. Da geht es häufig nur um Maximierung auf Kosten von Mensch und Natur. 150 Millionen Kinder müssen weltweit arbeiten, die Hälfte unter schlimmsten ausbeuterischen Verhältnissen.

Das ist inakzeptabel. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Wohlstand mit der Armut der anderen erkauft ist! Am Anfang eines jeden Produkts steht ein Mensch, der von seiner Arbeit leben muss. Deswegen kämpfe ich für faire Lieferketten, ganz besonders für ein Verbot von Kinderarbeit in unseren Produkten.

Mindeststandards gelten für alle

International verbindliche Sozialstandards sind vorhanden. Alle UN-Mitgliedsstaaten – mit Ausnahme der USA – haben die UN-Kinderrechtskonvention (1989) anerkannt. 144 Staaten haben alle Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert. Mit der Agenda 2030 haben sich alle UN-Mitgliedsstaaten 2015 nochmals zur Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit bekannt. Die Produktionsländer müssen diese Standards jetzt umsetzen. Wir unterstützen die Regierungen hierbei nach Kräften: zum Beispiel Mindestlöhne zu verankern oder Inspektoren für den Brandschutz auszubilden.

Seit 2011 gelten für alle Unternehmen auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie geben klare Mindestanforderungen für Sorgfaltspflichten, Risikoanalysen, Vorsorge und Beschwerdemechanismen vor.

Menschenrechte einhalten darf kein Wettbewerbsnachteil sein!

Gerd Müller

Die Unternehmen müssen sich aber noch stärker engagieren. Viele Unternehmen gehen bereits voran und stellen sicher, dass in ihren Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden. So engagiert sich etwa die Hälfte der Textilbranche in unserem Textilbündnis für faire Löhne und Umweltschutz. Das heißt aber auch: Die andere Hälfte zieht nicht mit. Internationale Mindeststandards müssen aber in allen Lieferketten gelten, die ihren Ursprung in Entwicklungsländern haben, sei es Kaffee, Kakao, Banane, Kupfer oder Textilien.

Die Pflicht der Unternehmen

Deswegen haben wir in der Bundesregierung den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ beschlossen. Große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern müssen jetzt zeigen, wie sie Sorgfaltspflichten in ihrer gesamten Lieferkette nachkommen. Derzeit startet eine repräsentative Umfrage unter ihnen. Die Ergebnisse liegen Anfang 2020 vor. Wir werden dann innerhalb der Bundesregierung entscheiden, ob die freiwilligen Ansätze ausreichen oder eine gesetzliche Regelung erforderlich ist. So haben wir es im Koalitionsvertrag festgelegt.

Deshalb sage ich auch ganz klar: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Das sollte Konsens in der Wirtschaft sein. Ich lasse die Kritik der Wirtschaftsverbände nicht gelten, dass Unternehmen die Bedingungen in den Produktionsstätten nicht kon­trollieren können. Selbst kleine Start-ups schaffen das. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung und der „Just in time“-Produktion.

Denn letztlich müssen gleiche Spielregeln für alle Unternehmen gelten. Menschenrechte einhalten darf kein Wettbewerbsnachteil sein! Viele Unternehmen wie Kik oder Tchibo rufen daher bereits nach einem verbindlichen Rechtsrahmen. Frankreich und Großbritannien haben solche Gesetze schon erlassen.

Menschenrechte durchsetzen und Vorreiter-Unternehmen schützen bedeutet daher auch, dass wir das Thema nach Europa bringen müssen. Gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil werden wir faire Lieferketten zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 machen. Denn wir brauchen einheitliche Regeln in Europa. Und wenn Manfred Weber zum neuen Kommissionspräsidenten ernannt wird, dann bekommt dieses Thema auch in Brüssel einen ganz neuen Auftrieb.

Freiwillige Ansätze bleiben aber weiterhin wichtig. Wir brauchen beides: Mindeststandards für alle und freiwillige Vorreiter-Initiativen, die darüber hinausgehen. Unser Textilbündnis oder das Forum Nachhaltiger Kakao zeigen: Es geht, Verbesserungen sind möglich! So konnte der Anteil zertifizierten Kakaos bereits von drei Prozent in 2011 auf über 60 Prozent im letzten Jahr gesteigert werden. Unser Ziel sind 100 Prozent. Und in unserem Textilbündnis wurden im letzten Jahr 160 giftige Chemikalien aus dem Produktionsprozess verbannt. 70 Prozent der Baumwolle soll zudem bis 2025 aus nachhaltiger Produktion stammen.

Verbraucher entscheiden mit ihrem Einkauf jeden Tag.

Gerd Müller

Deswegen werden wir auch künftig mit freiwilligen Vorreiter-Initiativen vorangehen und zum Beispiel wirklich existenzsichernde Einkommen für die Näherinnen, Plantagenarbeiter und Bauern verankern.

Im Textilbereich gehen wir jetzt den nächsten Schritt: Im Sommer werden wir den Grünen Knopf einführen – ein staatliches Siegel für sozial und ökologisch produzierte Textilien. Wer künftig ein faires T-Shirt kaufen möchte, kann bald auf den Grünen Knopf achten.

Kaufen mit gutem Gewissen

Denn Verbraucher entscheiden mit ihrem Einkauf jeden Tag. Durch den Griff zu fairen Produkten im Supermarkt kann jede und jeder von uns mithelfen, Kinder und Arbeiter in Produktions­ländern zu schützen. Deswegen wünsche ich mir, dass noch mehr Kunden fragen: Wurde meine Kleidung, meine Lebensmittel fair produziert?

Ein Beispiel: Zu Ostern wurden 100 Millionen Schoko-Osterhasen verkauft. Ein fair produzierter Schoko-Osterhase macht Kinder bei uns und in Afrika glücklich. Wenn die Eltern auf den Plantagen Westafrikas ein ausreichendes Einkommen bekommen, können die Kinder in Afrika zur Schule gehen und müssen nicht in den Plantagen schuften und schwitzen. Ich glaube, immer mehr Verbraucher verstehen das und sind auch bereit, etwas mehr zu zahlen.

In einer globalisierten Welt liegt es somit an uns allen, soziale und ökologische Mindeststandards für unsere Produkte zu verankern. Dazu müssen wir jetzt anpacken: den Nationalen Aktionsplan entschieden umsetzen, die freiwilligen Initiativen stärken und den fairen Einkauf voranbringen – und wenn erforderlich, auch gesetzlich handeln.

Denn Afrikas Jugend wird nur dann in der Heimat bleiben, wenn sie dort Arbeit und Zukunftsperspektiven hat. Globalisierung gerecht gestalten: Das ist unser Ziel, dafür kämpfe ich.

Der Autor

Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.