Mammutaufgabe Kohleausstieg: Kraftwerk Neurath bei Grevenbroich, NRW. (Bild: Imago/C.Hardt/Future Image)
Kohlekraft

Ausstieg mit Bedacht

Das Ringen um den Kohleausstieg ist vorerst beendet: Die Kohlekommission hat den Ausstieg bis 2038 beschlossen. Das Augenmerk gilt neben den Strompreisen, der Energiesicherheit und dem Klimaschutz auch den betroffenen Regionen.

Aktualisiert am 27. Januar

Die von der Bundesregierung im vergangenen Sommer eingesetzte Kommission hat den Kohleausstieg bis spätestens 2038 beschlossen. Von Beginn galt es als unklar, ob die 28-köpfige Verhandlungsrunde sich auf einen Abschlussbericht einigen kann. Am Ende stimmten 27 der 28 Mitglieder dafür. Nach der Einigung ist nun die Politik am Zug.

Als schneller Einstieg in den Ausstieg sollen nun bis 2022 insgesamt sieben Gigawatt Kohlekapazität zusätzlich vom Netz, davon drei Gigawatt Braunkohle, deren CO2-Bilanz besonders klimaschädlich ist. Konkrete Kraftwerke wurden bewusst nicht genannt. Ende 2017 waren Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 42,6 Gigawatt (GW) am Markt, dazu kommt eine Reserve für den Winter, wenn es kaum Solarstrom gibt.

Alle Folgen bedacht?

Ziel der Kommission war ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Der Kohleausstieg bedeutet nicht nur für die Energiebranche eine schnellere Umstellung auf Ökostrom und Gaskraftwerke, sondern vor allem für die Braunkohleregionen Lausitz, Mitteldeutsches Revier und Rheinisches Revier einen umfassenden Strukturwandel.

Im Gegensatz zum übereilten Verzicht auf Atomkraft sollen nun beim Kohleausstieg alle Folgen bedacht und nach Möglichkeit Härten abgemildert sowie Probleme vermieden werden. In dem Gremium waren deshalb Vertreter aller Beteiligten von Industrie, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Wissenschaft. Die Notwendigkeit, den Treibhausgas-Ausstoß zu senken, ist der Grund für den Kohleausstieg. Deutschland will bis 2050 diese Emissionen um 80 bis 95 Prozent senken und schon bis 2030 um 55 Prozent.

Den Strukturwandel abfedern

Vor allem in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier und im Rheinischen Revier hängen rund 20.000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle, indirekt sind es noch deutlich mehr. Die Kommission nennt eine Zahl von rund 60.000 Arbeitsplätzen alleine für die Braunkohle. In einem Entwurf für den Abschlussbericht sind darum Hilfen für die Beschäftigten der Kohlebranche vorgesehen.

Die Lausitz soll auch künftig Energieregion bleiben.

Peter Altmaier

Da geht es um schnelles Internet in den Regionen, die gezielte Ansiedelung von Behörden und Forschungseinrichtungen sowie einen Schwerpunkt auf Zukunftstechnologien und moderne Energie. Die Lausitz zum Beispiel könnte eine Modellregion werden für klimafreundliche Mobilität oder ein Entwicklungsstandort für künstliche Intelligenz. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte: „Die Lausitz soll auch künftig Energieregion bleiben mit hochinnovativen Technologien in Energieerzeugung und Speicherung.“ In Betracht kämen zum Beispiel neue Gaskraftwerke, Speichereinrichtungen, Reallabore bis hin zu Komponenten einer Batteriezellproduktion.

Kosten in Milliardenhöhe

Nach dem Konzept sollen Privathaushalte und die Wirtschaft ab 2023 von möglichen steigenden Strompreisen entlastet werden, was zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten könnte. Dazu kommen weitere Subventionen der energieintensiven Industrie sowie Hilfen für Kohle-Kumpel, die früher aus dem Job ausscheiden und diejenigen, die einen neuen Job brauchen. Die Kohleländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen sollen vom Bund über 20 Jahre insgesamt 40 Milliarden Euro Hilfe für den Strukturwandel bekommen, dazu soll die Verkehrsanbindung der Kohleregionen über ein zusätzliches Programm verbessert werden. Die betroffenen Bundesländer bekommen – wenn die Politik der Kommission folgt – eine gesetzliche Absicherung der Bundeshilfen per Staatsvertrag. Schon Ende April sollen Eckpunkte für ein „Maßnahmengesetz“ vorliegen, das festschreibt, wie der Bund den Strukturwandel genau fördern will. 5000 neue Arbeitsplätze durch die Bundesregierung bis 2028 hält die Kommission für „angemessen“. Es soll auch ein „Anpassungsgeld“ für Beschäftigte ab 58 Jahren geben, die die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen, sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Geschätzte Kosten: bis zu fünf Milliarden Euro.

Die Kosten für diese Hilfen, für die Investitionen in die Kohleregionen und die Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber liegen im hohen Milliardenbereich – 40 Milliarden Euro wurden allein für die Regionalhilfe geschätzt. DIHK-Präsident Eric Schweitzer hatte vor exorbitanten Kosten gewarnt: „In Summe ergeben sich durch einen vorzeitigen Kohleausstieg gesamtgesellschaftliche Mehrkosten von bis zu 170 Milliarden Euro“, sagte er dem Handelsblatt. Auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft hatten erst kürzlich vor hohen Mehrkosten aus Strompreissteigerungen gewarnt. Die Energiewirtschaft lobte nun dennoch, der Kompromiss biete Planungssicherheit für die Firmen. Die Eigentumsrechte der Firmen würden gewahrt, so der Branchenverband BDEW.

Viele ungeklärte Fragen

Probleme gibt es noch beim notwendigen Ausbau der Stromnetze. Von 5900 Kilometern Leitungsausbau und -verstärkung, die 2013 beschlossen wurden, sind gerade einmal 150 Kilometer fertig. Zum Problem wird auch die Frage, was mit dem letzten noch im Bau befindlichen, Steinkohlekraftwerk Datteln wird. Der Energieversorger Uniper (früher Eon) fordert rasche Klarheit – auch mit Blick auf Entschädigungen. Das 1,2 Milliarden Euro teure Kraftwerk am Rande des Ruhrgebiets sollte nach derzeitigen Planungen 2020 ans Netz gehen.

Weniger als 30 Braunkohle-Meiler laufen in Deutschland – 1400 werden derzeit weltweit gebaut.

Bild-Zeitung

Unklar ist noch, wie der Ersatz für die grundlastfähigen Kohlekraftwerke aussehen soll. Mehr als ein Drittel des Stroms in Deutschland (Fraunhofer: 49 Prozent) stammt zurzeit noch aus Kohlekraftwerken. Im Bundesland NRW stammen sogar 70 Prozent des Stroms aus Kohle. Die Abschaltung könnte also die Sicherheit der Stromversorgung beeinträchtigen. Denn Deutschland steigt bis 2022 auch aus der Kernenergie aus. Es soll mehr Strom aus Gaskraftwerken geben – zudem soll das Speichern von überschüssigem Wind- und Solarstrom verstärkt werden. Die Auswirkungen des schrittweisen Ausstiegs sollen 2032 überprüft werden: ob das Ausstiegsdatum angesichts der Lage und im Einvernehmen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden kann, auch eine Verlängerung scheint aber nicht ausgeschlossen. Auch 2023, 2026 und 2029 soll der Ausstiegsplan auf den Prüfstand kommen.

Ein weiteres Problem dabei ist: Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, muss Deutschland Strom aus dem Ausland importieren, aus schmutzigeren Kohlekraftwerken, aus unsicheren Atomkraftwerken oder aus Gas und Öl, gekauft von Diktaturen wie Russland und Saudi-Arabien. Jedenfalls, solange die Speichertechnik nicht entscheidende Fortschritte macht. Und dann das Dilemma mit dem Blick auf den Rest der Welt: „Weniger als 30 Braunkohle-Meiler laufen in Deutschland – 1400 werden derzeit weltweit gebaut“, berichtete die Bild-Zeitung.

Auswirkungen auf Bayern

„Deutschland braucht in der Energiewende endlich ein Gesamtkonzept. Der angestrebte Kohleausstieg muss durch eine klimafreundliche Energiegewinnung vor Ort ermöglicht werden“, sagt Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (FW). „Regionale Gaskraftwerke sind eine gute Ergänzung zum Ausbau erneuerbarer Energien. Wir müssen nun die Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Gaskraftwerke am Markt rentabel werden.“ Besonders wichtig sei auch die Akzeptanz. „Können Bürger die Energiewende aktiv mitgestalten, schafft das nicht nur mehr Akzeptanz, sondern auch eine Wertschöpfung vor Ort. Die Braunkohleregionen brauchen Strukturhilfen, jedoch müssen diese in einem angemessenen Verhältnis zu den wegfallenden Arbeitsplätzen stehen“, so Aiwanger.

Bayern hat nur wenige Kohlekraftwerke, darunter in Zolling, Schweinfurt (inklusive Müllverbrennung) und in Unterföhring bei München. Letzteres soll aber einem Bürgerentscheid zufolge bis 2022 stillgelegt werden. Die meisten Kohlekraftwerke in Bayern wurden schon vor Jahren stillgelegt und rück- oder umgebaut, etwa in Schwandorf, Aschaffenburg, Erlangen und Würzburg. Auch die Tagebaue wie das Oberpfälzer Braunkohlerevier wurden verfüllt oder geflutet (Oberpfälzer Seenland).

Aber der Industriestandort Bayern ist durch die Veränderungen der Energieversorgung stark betroffen. Die 2022 wegfallende Kernenergie und der geplante Kohleausstieg dürfen nach den Worten Aiwangers die Versorgungssicherheit mit Energie für die bayerische Wirtschaft nicht gefährden. Deshalb müssten rechtzeitig die richtigen Weichen für Bayern gestellt werden.

(dpa/BK)