Bayern als Modellregion für Europa
Energiewende

Bayern als Modellregion für Europa

Seit dem Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung aus der Atomenergie 2011 ist sehr viel passiert. Die regenerativen Energien wurden in Bayern und in Deutschland massiv ausgebaut, Bayern hat sogar eine Führungsrolle übernommen. Allerdings ist die Euphorie über die Energiewende in den Anfangsmonaten bis zum heutigen Tag vielfach einer Ernüchterung gewichen. Wurde zu Beginn […]

Seit dem Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung aus der Atomenergie 2011 ist sehr viel passiert. Die regenerativen Energien wurden in Bayern und in Deutschland massiv ausgebaut, Bayern hat sogar eine Führungsrolle übernommen. Allerdings ist die Euphorie über die Energiewende in den Anfangsmonaten bis zum heutigen Tag vielfach einer Ernüchterung gewichen. Wurde zu Beginn der Energiewende der Ausbau mit Windrädern und Biogasanlagen massiv vor­angetrieben, so schlagen diesen Energiearten heute vielfach Bürgerproteste entgegen. Ähnliches gilt für den Ausbau der Stromproduktion aus Wasserkraft. Hier stehen insbesondere Interessen von Fischern und Umweltverbänden entgegen.

Darüber hinaus ist das Stromsystem in Deutschland wesentlich komplizierter geworden. Waren es in der Vergangenheit einige wenige Stromproduzenten, die in großen Kraftwerken Strom erzeugten und über das Land verteilten, haben wir es heute mit nahezu zwei Millionen Stromproduzenten zu tun, die ins Netz einspeisen und so das Stromsystem wesentlich komplexer gemacht haben. Das Problem besteht darin, dass wir bei starkem Sonnenschein oder starkem Windaufkommen eine enorme Überproduktion an Strom haben, dass wir aber beispielsweise an trüben Novembertagen, wenn Haushalte und Industrie in gleicher Weise Strom benötigen, kaum Strom aus regenerativen Energien zur Verfügung haben. Der Energiedialog der Staatsministerin für Wirtschaft und Energie, Ilse Aigner, hat ergeben, dass wir sehr viel stärker die Stromspeicherung und die Kraft-Wärme-Kopplung vorantreiben müssen.

Die Debatte wird von unterschiedlichsten Länder-Interessen überlagert

Überlagert wird die Diskussion der Energiewende von unterschiedlichen Interessen einzelner Bundesländer. So haben beispielsweise die norddeutschen Länder, die in den vergangenen Jahren außerordentlich intensiv in den Ausbau von offshore- und onshore-Stromerzeugungsanlagen investiert haben, nun ein großes Interesse, den Überschussstrom in den Süden zu exportieren. In Bayern dagegen, aber auch in Thüringen und anderen in der geographischen Mitte Deutschlands gelegenen Bundesländern, sind große Widerstände gegen den Bau von Übertragungsstromleitungen zu beobachten.

Der bayerische Ministerpräsident verfolgt das Ziel, möglichst viel Stromproduktion in Bayern sicherzustellen, und zwar mit Gaskraftwerken. Das Dilemma dieser Zielsetzung besteht allerdings darin, dass bereits heute das modernste Gaskraftwerk Europas, nämlich die Blöcke 4 und 5 in Irsching bei Ingolstadt nicht profitabel arbeiten können, da sie nur wenige hundert Stunden im Jahr am Netz sind und damit die Fixkosten der Kraftwerke bei weitem nicht decken können. Der Koalitionsausschuss hat vor wenigen Tagen festgelegt, dass bis Juni eine Lösung gefunden werden muss.

Ein Anreiz zum Bau weiterer Gaskraftwerke entsteht aber nur dann, wenn die stark umweltverschmutzenden Kohlekraftwerke, insbesondere die Braunkohlekraftwerke, vom Netz genommen werden. Aber auch hier stehen Interessen anderer Länder entgegen, da beispielsweise Nordrhein-Westfalen über eine Reihe derartiger Kraftwerke verfügt, die weitgehend abgeschrieben sind und nun zu günstigsten Konditionen Strom produzieren. Damit Bayern überhaupt eine Chance erhält, zwei oder auch drei neue Gaskraftwerke errichten zu können, ist es unabdingbar, dass Umweltgesichtspunkte und dabei insbesondere die Vermeidung der CO2-Emission wesentlich stärker ins Kalkül gezogen werden.

Streitpunkt Stromtrassen

Ein offener Streitpunkt ist, wie viele Leitungen vom Norden in den Süden gebaut werden müssen. Auch hier gibt es verschiedene Lösungen, die etwa darauf hinauslaufen, dass neue Leitungen über weite Strecken, und zwar insbesondere in der Nähe von Siedlungsgebieten oder in sensiblen Landschaftsteilen, in der Erde vergraben werden. Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, bereits existierende Übertragungsleitungen stärker zu nutzen, beispielsweise durch Hochtemperaturleiter. Diese könnten einen Durchfluss bis zur doppelten Strommenge ermöglichen.

Alle diese Lösungen werden jedoch nicht ausreichen, um auch in Zukunft das Stromsystem im Gleichgewicht zu halten. Es wird in hohem Maße erforderlich sein, Strom sehr viel mehr als bisher in den unterschiedlichsten Formen zu speichern. Dies könnte durch Batteriespeicher, beispielsweise in privaten Haushalten oder auch durch chemische Speicher geschehen. Chemische Speicher können beispielsweise mittels elektrolytischer Trennung von Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff realisiert werden.

Bedenkt man, dass Deutschland über ein hervorragendes Gasverteilungs- und Gaslagersystem verfügt und dass allein in den Gaskavernen in Deutschland 200 Terrawattstunden gespeichert werden können, so liegt hier ein gigantisches Speicherpotential. 200 Terrawattstunden entspricht dem deutschen Energieverbrauch über sage und schreibe drei Monate. Damit ist evident, dass wir eine sehr viel stärkere Vernetzung der Strom- und Gaswirtschaft in unserem Lande benötigen.

Stromspeicher in unterschiedlichen Formen: Batterien, Wasserkraft, Wasserstoff, Erdgas

Vorstellbar wäre, dass der Überschussstrom aus den Offshore-Anlagen im Norden nicht via Stromleitungen, sondern über den Umweg der Wasserstoffproduktion über die Gasleitungen in den Süden transportiert wird. Dieser Weg ist zwar mit Effizienzverlusten verbunden, aber die Transportkapazitäten sind bereits durch die existierenden Gasleitungen gegeben. Zentrale Frage wird daher sein, ob sich die bayerische Staatsregierung mit dieser Position auch gegenüber den beiden Koalitionspartnen in der Bundesregierung durchsetzen kann.

Die große Herausforderung besteht darin, dass uns ein optimales Strommarktdesign gelingt, mit dem wir auf der einen Seite das Prinzip der Dezentralität so weit wie möglich weiter verfolgen können, auf der anderen Seite aber soviel Koordination und Steuerung der Energieübertragung so weit wie nötig zulassen. Die Welt schaut bei der Energiewende auf Deutschland, ob wir diese große Herausforderung meistern. Wir sollten in Bayern den Ehrgeiz haben, die Energiewende innerhalb Europas als Modellregion zu meistern.

Siegfried Balleis

Der Autor ist Landesvorsitzender des Arbeitskreises Energiewende (AKE) der CSU.