Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt ihr Amt als CDU-Chefin ab. (Bild: Imago/Jürgen Heinrich)
Angela Merkel

Zeit für ein neues Kapitel

Kommentar Angela Merkel gibt nach den massiven Verlusten ihrer Partei bei der Landtagswahl in Hessen den CDU-Parteivorsitz ab. Bundeskanzlerin will sie nur noch bis 2021 bleiben. Ein echter Befreiungsschlag für die CDU ist das noch nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt den CDU-Parteivorsitz ab. Kanzlerin will sie noch bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Dabei hatte sie erst kürzlich noch bekräftigt, beide Ämter gehörten zusammen. Nun also doch nicht.

Die Union hatte bereits bei der Bundestagswahl Ende 2017 das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erhalten. Und nun fuhr in diesem Jahr, wie am 14. Oktober schon in Bayern die CSU, bei der Landtagswahl in Hessen auch die CDU zweistellige Verluste von mehr als 11 Prozent ein, was auch Angela Merkel angelastet wurde.

Selbstkritik der Kanzlerin

Sie habe das „sichere Gefühl“, es sei an der Zeit, ein „neues Kapitel aufzuschlagen“, sagte Merkel und lieferte eine Begründung für ihren Rückzug: „Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel.“

Der große Befreiungsschlag ist Merkels Ankündigung jedoch nicht. Denn gerade für das Erscheinungsbild der Regierung trägt sie maßgebliche Mitverantwortung. Das liegt zum einen an den ganz normalen Abnutzungserscheinungen nach 18 Jahren als CDU-Chefin und 13 Jahren als Kanzlerin. Das liegt aber auch an ihrer Politik des Abwartens und Wegmoderierens von Problemen, die klare Entscheidungen erfordern. Was in Situationen wie der Finanzkrise 2008 sinnvoll war, weil unnötiger Aktivismus hier nicht die besten Ergebnisse lieferte, wirkt in den Zeiten von fehlendem Wohnraum, Dieselkrise, Sicherheits-, Bildungs- und Infrastrukturmängeln nicht nur schwerfällig, es ist auch falsch. Zumal viele dieser Probleme sich seit Jahren oder gar Jahrzehnten abzeichnen.

Dabei hat auch Merkel Erfolge vorzuweisen, in der Finanz- und Bankenkrise, mit einer beispiellosen Erfolgsgeschichte auf dem deutschen Arbeitsmarkt und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Die Folgen der Flüchtlingskrise

Ihre folgenreichste Entscheidung traf Merkel im Jahr 2015: die Aufnahme von vielen hunderttausend Migranten in ein Land, das trotz unzähliger Warnungen nicht darauf vorbereitet war. „Wir schaffen das“, sagte sie damals. Aber wie? Diese Frage hat Merkel Monate lang hauptsächlich dem Erstankunftsland Bayern, seinen Kommunen und Bürgern überlassen. “Hals-über-Kopf”-Migrationspolitik, so nannte das jetzt die New York Times. Grenzen zu erkennen, sei eine essentielle Aufgabe konservativen Regierens, so die Zeitung weiter.

Diese Situation hat zweifellos das Land und seine Gesellschaft gespalten, hat Populisten wie der AfD einerseits und den Grünen andererseits enormen Auftrieb gegeben und die Volksparteien entscheidend geschwächt. Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2015 stand die Union bundesweit bei über 40 Prozent – jetzt erreicht sie gerade noch 25 Prozent der Wähler.

Die Migrationswelle hat zudem Europa gespalten und geschwächt, weil auch die EU es nicht geschafft hat, sie aufzuhalten oder wenigstens in geordnete Bahnen zu lenken. Der Brexit ist auch eine Folge davon.

Konflikt mit der CSU

Die CSU, die im Erstankunftsland Bayern die Regierung stellte, hat 2015 erst gebeten, dann immer offensiver gefordert, den Kurs zu ändern. Hier machte Merkel die nächsten Fehler: Erst blockierte sie die CSU-Forderungen, stellte sich sogar öffentlich gegen sie –  um im Laufe der Zeit doch still und leise auf die CSU-Ideen einzuschwenken. Das hat erst die CSU schlecht aussehen lassen und dann die erzielten Erfolge geschmälert.

Merkel wollte ihre Kurswechsel nie öffentlich eingestehen, stattdessen forderte sie kürzlich, einen Schlussstrich unter die Asyl-Debatte zu ziehen. Wenn man sich weiter so stark damit beschäftige, was in der Flüchtlingspolitik 2015 vielleicht anders hätte laufen müssen, statt zukunftsorientierte Politik zu machen, „dann werden wir den Charakter einer Volkspartei verlieren“, sagte sie. Viele Jahre zuvor klang das noch anders: „Nur auf einem wahren Fundament kann Zukunft entstehen.“ Diesen Satz schrieb Merkel 1999 in ihrem berühmten FAZ-Gastbeitrag, der Kohls Abgang und ihren Aufstieg einleitete.

Nein, Angela Merkels Rückzug vom Amt der Parteivorsitzenden ist noch kein Befreiungsschlag für die Volkspartei CDU. Bestenfalls der Anfang eines Neubeginns.