Andrea Lindholz, CSU, ist Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses. (Foto: Tobias Koch)
Regionen

„Es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“

Interview Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Zu den Aufgaben des Bundes gehört zum ersten Mal die Heimatpolitik. Die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz, erklärt, welche Ziele sich damit verbinden.

Frau Lindholz, seit wenigen Monaten gibt es im Bund ein Heimatministerium. Was hat sich seither getan?

Die neue Heimatpolitik des Bundes basiert auf zwei Säulen. Der Bereich „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ mit Themen wie Ehrenamt, Integration oder Religion und dem Bereich „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die mit einer intelligenten Struktur- und Raumordnungspolitik des Bundes erreicht werden sollen. Dafür wurden im Ministerium 22 alte und neue Referate in einer neuen Heimatabteilung zusammengefasst.

Sie sind die Vorsitzende des Ausschusses für Inneres und Heimat im Bundestag. Wie schlägt sich die Erweiterung der Aufgaben in Ihrer Arbeit nieder?

Die klassischen innenpolitischen Themen wie Sicherheit und Migration bleiben natürlich im Fokus. Aber der Bereich gesellschaftlicher Zusammenhalt wird deutlich aufgewertet. Den Bereich Bau und Strukturpolitik bearbeitet der neue Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Das Bundesinnenministerium wird jetzt im Parlament von drei Fachausschüssen kontrolliert: Innen, Bau und Sport

Das Bayerische Heimatministerium ist ein Vorbild für den Bund. Was lässt sich vom Freistaat lernen?

Bayern fördert strukturschwache Regionen durch die Vernetzung unterschiedlicher Politikfelder zu einer breiten Strukturpolitik  zum Beispiel durch vorausschauende Verlagerung von Behörden, den Ausbau des schnellen Internets oder die Förderung von Kulturgütern, um den Tourismus in Schwung zu bringen. Dieses Erfolgsmodell wollen wir auch auf die Bundesebene übertragen. Ziel ist es, die vielfältige Förderansätze des Bund zum Beispiel bei der Städtebauförderung, der Digitalisierung oder dem staatlichen Immobilienmanagements strategisch zu verknüpfen, um schwächeren Regionen systematisch und nicht nur mit Einzelmaßnahmen zu helfen.

Ländliche Räume bieten Menschen und Unternehmen günstige Mieten, bezahlbares Eigentum, Natur und Sicherheit.

Andrea Lindholz

Wo sind die Unterschiede zwischen der bayerischen Heimatpolitik und der Heimatpolitik des Bundes?

Der Bund muss seine Heimatpolitik von Grund auf neu organisieren. Bundesinnenminister Horst Seehofer erarbeitet aktuell den ersten Heimatbericht des Bundes seit über 30 Jahren. Darin werden die sozialen, wirtschaftlichen, finanziellen und demographischen Eckdaten aller Regionen in Deutschland zusammengetragen.  Wo kann zum Beispiel eine neue Hochschule Jugend anziehen und die Überalterung stoppen? Wo braucht es Bahngleise oder schnelleres Internet um Unternehmen anzulocken? Der Bericht soll die Grundlage liefern für eine Gesamtstrategie aller Ressorts der Bunderegierung zur Förderung strukturschwacher Regionen.

In Bayern kann die Staatsregierung beschließen und umsetzen. Inwieweit kann der Bund ähnliche Maßnahmen in den Ländern anstoßen?

Die absolute Mehrheit der CSU ist natürlich der zentrale Garant für die gute Politik aus einem Guss. Bayern steht auch wegen seiner stabilen politischen Verhältnisse so exzellent dar. Im Bund ist es komplizierter, weil dort immer nur Kompromisse möglich sind mit dem Koalitionspartner oder den Ländern im Bundesrat.

Eine Aufgabe der Heimatstrategie ist es, das Auseinanderdriften Deutschlands in boomende und abgehängte Regionen zu verhindern. Ist dieses Ziel angesichts der zum Teil seit Jahren anhaltenden Entwicklungen in verschiedenen Regionen noch realistisch?

Ich halte das für realistisch und für notwendig. Ländliche Räume bieten Menschen und Unternehmen günstige Mieten, bezahlbares Eigentum, Natur und Sicherheit. Das sind handfeste Vorteile gegenüber den Boomregionen, die aus allen Nähten platzen. Wenn wir heute die Weichen vorausschauend stellen und die Möglichkeiten der Digitalisierung intelligent nutzen, können wir die Städte entlasten und auf dem Land neue Perspektiven schaffen.

Wie lassen sich die Interessen und Bedürfnisse von zunehmend menschenleeren Regionen im Osten und finanzschwachen Großstädten etwa im Ruhrgebiet unter einen Hut bringen?

Die Länder tragen weiterhin die Verantwortung für ihre Kommunen und der Bund unterstützt und koordiniert. Pauschallösungen funktionieren sowieso nicht. Es braucht individuelle und kreative Ansätze, um für die jeweiligen Probleme vor Ort passgenaue Lösungen zu entwickeln. Das ist gerade eine Stärke des Föderalismus.

Schon derzeit werden jedes Jahr Milliarden zwischen Bund und Ländern umverteilt. Was soll sich daran ändern?

Den Bund-Länder Finanzausgleich haben wir bereits in der letzten Wahlperiode grundlegend reformiert. Ab 2020 überweist der Bund jährlich zusätzliche 9,7 Milliarden Euro an die Länder. Dafür erhält Bund neue Kompetenzen zum Beispiel beim Fernstraßenausbau oder bei der Einrichtung eines einheitlichen Online-Bürgerportals.

Heimat kann für mich ein gutes Gespräch bei einem Glas unterfränkischer Wein sein, genauso wie eine schöne Bergwanderung in den Alpen.

Andrea Lindholz

In Bayern unterstützt die Staatsregierung über den kommunalen Finanzausgleich die Städte und Gemeinden allein in diesem Jahr mit 9,5 Milliarden Euro. Das können wirtschaftsschwächere Bundesländer nicht. Können Programme des Bundes hier einspringen?

Der Bund unterstützt die Kommunen längst sehr massiv und geht dabei weit über seine Zuständigkeiten hinaus. Im Haushalt 2018 stellt der Bund knapp 29 Milliarden Euro mit direktem oder indirektem kommunalen Bezug zur Verfügung. Allein aus dem Baubereich des BMI fließen über 4,5 Milliarden zum Beispiel in die Städtebauförderung. Wir sollten erst einmal die Effizienz und die Effektivität dieser Bauförderprogramme prüfen, bevor wir noch mehr Geld fordern.

Der Soli soll auch nach dem Wunsch der CSU ganz abgeschafft werden. Widerspricht das nicht dem Ziel, schwache Regionen weiter zu stärken?

Nein ganz und gar nicht. Nach bald 30 Jahren Soli haben die ostdeutschen Gemeinden im Durchschnitt nur 50 Prozent der Finanzkraft der westdeutschen Gemeinden. Eine intelligente Strukturpolitik ist deutlich effektiver als konditionslose Transfers. Der ehemalige Agrarstaat Bayern ist dafür das beste Beispiel.

Was bedeutet für Sie Heimat?

Der Begriff Heimat existiert ja angeblich nur in der deutschen Sprache. Heimat ist für mich daher mehr als nur ein Ort, sondern hat viele Dimensionen. Eine sprachliche Dimension, eine geographische, eine soziale, eine kulturelle, eine wirtschaftliche oder auch eine kulinarische. Heimat kann für mich daher ein gutes Gespräch bei einem Glas unterfränkischer Wein sein, genauso wie eine schöne Bergwanderung in den Alpen.

Das Interview führte Thomas Röll.