Parteivorsitzender und Bundesinnenminister Horst Seehofer. (Foto: BK/Nikky Maier)
Debatte

„Heimat ist eine grundlegende Erfahrung“

Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht seine Heimatpolitik als Antwort auf die Folgen der Globalisierung. Sie habe viele Menschen enttäuscht und verunsichert. In der Bevölkerung wachse der Wunsch nach Zusammenhalt und Orientierung.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht in den Folgen der Globalisierung eine zentrale Herausforderung für die Politik. Es gehe darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die Heimat zu bewahren. Dazu brauche es einen Staat, der Halt biete und die gemeinsame Werteordnung verteidige.

Den immensen wirtschaftlichen Vorteilen einiger Weniger stehen tägliche Verunsicherungen und Ängste von Millionen von der Globalisierung Betroffener gegenüber.

Horst Seehofer, Bundesinnenminister

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine schreibt der CSU-Vorsitzende, die Globalisierung habe eine „Entgrenzung aller Lebensverhältnisse“ mit sich gebracht. Die Auswirkungen hätten alle westlichen Gesellschaften erfasst und zu politischen Verwerfungen geführt. „Das in den wirtschaftlichen Eliten sich im wahrsten Sinn des Wortes positiv ausgezahlt habende Projekt der Globalisierung ist zum überragenden politischen Problem der kleinen Leute geworden“, analysiert Seehofer. „Den immensen wirtschaftlichen Vorteilen einiger Weniger stehen mehr denn je tägliche Verunsicherungen und Ängste von Millionen von der Globalisierung Betroffener gegenüber.“

Alltagsprobleme im Mittelpunkt

Dies sei die Ausgangssituation der großen Koalition von CDU/CSU und SPD, die deswegen im Titel des Koalitionsvertrages die Forderung nach einem neuen Zusammenhalt erhebe. „Zusammenhalt ist damit eine der wichtigsten Antworten auf das Votum der Wähler“, schreibt der Bundesinnenminister. Alltagsprobleme der Menschen anzupacken und für Zusammenhalt und gleichwertige Lebensverhältnisse in einer immer unübersichtlicheren Lebenswirklichkeit zu sorgen, sei das „Kernanliegen deutscher Innenpolitik“.

Ausgelöst worden sei die rasante Veränderung der Alltagswelt durch den „vermeintlichen Siegeszug des ökonomischen Liberalismus, dessen oberste Maxime die Selbstregulierungsfähigkeit freiheitlicher Systeme auf der Basis möglichst unregulierter und grenzenloser Märkte war“, kritisiert Seehofer. Dies habe zu Ernüchterung und Enttäuschung vielen Wählern und Wählerinnen geführt, was sich im Ergebnis der Bundestagswahl niedergeschlagen habe.

Das Streben nach Halt

Die vorübergehende unkontrollierte Massenzuwanderung nach Deutschland sei „das sichtbarste, aber bei weitem nicht einzige Unruhe und Unsicherheit auslösende Phänomen“ gewesen. Auch immer kurzlebigere Arbeitsverhältnisse, Veränderungen in städtischen Lebensverhältnissen wie Mietpreisanstieg und die Wohnraumverknappung hätten dazu geführt, dass sich Menschen trotz wirtschaftlich guter Lage „überfordert und orientierungslos zurückgelassen“ fühlten.

Heimat ist eine ganz grundlegende und jeden Menschen berührende nachhaltige Erfahrung mit anderen Menschen in mehr oder wenig eingrenzbaren Räumen.

Horst Seehofer

Seehofer fordert in dem Beitrag einen Kurswechsel. Das neoliberale Denken müsse durch ein ordoliberales Denken – bei dem der Staat einen klaren Rahmen vorgibt – ersetzt werden. Die Menschen würden „als Folge von zu viel Entgrenzung, von zu viel Ungewissheit, von zu viel ungeordneter Freiheit“ nach Halt streben.

Diesen Halt, schreibt Seehofer, fände man im Zusammensein mit anderen. „Erlebt wird dieser erste Zusammenhalt in Räumen, die man gewöhnlich das Zuhause im engeren und die Heimat im weiteren Sinn bezeichnet. Heimat ist somit eine ganz grundlegende und jeden Menschen berührende nachhaltige Erfahrung mit anderen Menschen in mehr oder wenig eingrenzbaren Räumen“, so der CSU-Vorsitzende.

Unverhandelbare Werte

Eng verbunden mit dem Heimatbegriff ist für Seehofer das Thema Integration. „Kern meines Denkens ist daher auch der Satz, das die in Deutschland lebenden Menschen aus anderen Teilen und Kulturen der Welt selbstverständlich ein Teil dieses Landes sind“, so Seehofer. „Wenn diese Menschen Deutschland als ihre Heimat betrachten, wenn sie sich mit den Gebräuchen, Traditionen und Denkweisen und Lebensverhältnissen hier identifizieren und sie teilen wollen, dann ist der Prozess der Integration letztlich ein leichter Weg des bewussten und gewollten Dazugehörens.“

Für ihn stehe dabei im Mittelpunkt, „dass das Menschenbild des aufgeklärten Christentums kulturgeschichtlich zu den Wurzeln Deutschlands zählt“. Bestimmte Wertvorstellungen seien daher nicht verhandelbar. Seehofer nennt unter anderem die Menschenrechte, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz, die Freiheit der Person und die Achtung der Rechte anderer, die Freiheit des Glaubens sowie die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Kunst und der Wissenschaft.

Kommissionen für den Zusammenhalt

Um den Zusammenhalt im Land zu stärken, schreibt Seehofer, werde er drei aufeinander aufbauende Formate einberufen: zum einen eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die sich in Abstimmung mit den Ländern „ um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Alltagsprobleme der kleinen Leute“ kümmern solle. Zudem sollten sich die „Fachkommission zur Integrationsfähigkeit“ und die „Deutsche Islamkonferenz“ sich mit der Zuwanderung sowie der Frage nach der „Entwicklung eines nach den Gepflogenheiten des deutschen Religionsverfassungsrechts verfassten deutschen Islams“ widmen. „Alle drei Dialog- und Verhandlungsformate sind von dem Bemühen getragen“, so der Bundesinnenminister, „dass wir unsere offene Gesellschaft erhalten und ihren inneren Zusammenhalt stärken wollen und müssen.“