Manuela Schwesig möchte eine großzügige Regelung beim Familiennachzug. Die SPD-Wähler sehen das anders. (Foto: Imago/F. Boillot)
SPD

Wen kümmern die Wähler?

Kommentar Führende SPD-Politiker kritisieren die Regelung beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Damit ignorieren sie den Willen der Bevölkerungsmehrheit – und ihrer eigenen Anhänger. In Umfragen stürzen die Sozialdemokraten immer weiter ab.

Für die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig ist es ein „schmerzhafter Kompromiss“. Juso-Chef Kevin Künert kritisiert, was ausverhandelt worden sei, sei „für ganz viele in der SPD noch zu wenig“. Und Parteivize Ralf Stegner beklagt, die SPD habe „weitergehende Regelungen“ gewollt. Die Rede ist von der Einigung beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus. Union und SPD haben sich in den Koalitionsgesprächen auf eine Lösung verständigt und dies im Bundestag auch so beschlossen. Demnach bleibt der Familiennachzug für die subsidiär Geschützten bis Ende Juli ausgesetzt. Ab August dürfen dann pro Monat 1000 Familienmitglieder einreisen, plus einer eng gefassten Härtefallregelung – alles innerhalb der von der CSU durchgesetzten Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Zuwanderern pro Jahr.

Klare Mehrheit für begrenzten Familiennachzug

Es ist wieder einmal ein äußerst zerrissenes Bild, das die Sozialdemokraten abgeben: einerseits einer Lösung zustimmen, anderseits kein gutes Haar an ihr lassen. Dabei stellt sich die Frage, in wessen Namen die Parteifunktionäre ihre Kritik äußern. Eine Gruppe können sich nicht im Kopf haben: ihre Wähler. Deren Haltung zu diesem Thema ist nämlich eindeutig: 66 Prozent der SPD-Wähler halten die jetzt getroffene Entscheidung für richtig, ebenso viele wie bei den Anhängern von CDU und CSU. Das zeigt der aktuelle „Deutschlandtrend“ von ARD und Welt. Demnach begrüßen auch 54 Prozent aller Bundesbürger die Regelung zum Familiennachzug. Nur 38 Prozent sind dagegen – darunter aber auch die AfD-Wähler, die gar keinen Familiennachzug wollen. Und ein guter Teil der AfD-Anhänger wählte früher SPD.

Irre, dass die SPD ihre Zukunft an den Familiennachzug für Flüchtlinge knüpft – mal im sozialdemokratischen Herzland nachgefragt: in Duisburg, Essen oder Dortmund?

Miriam Lau, Korrespondentin der „Zeit“

Entsprechend verständnislos fällt die Reaktion von professionellen Polit-Beobachtern aus: „Irre, dass die SPD ihre Zukunft an den Familiennachzug für Flüchtlinge knüpft – mal im sozialdemokratischen Herzland nachgefragt: in Duisburg, Essen oder Dortmund?“, wundert sich etwa Zeit-Korrespondentin Miriam Lau. Und Welt-Chefreporter Ansgar Graw kommentiert, die Sozialdemokraten hätten „nicht ihre (seit 1998 von 40,9 Prozent auf 20,5 Prozent halbierte) Wählerschaft im Blick gehabt, sondern ihre (auf stabilem Niveau) politisierenden Funktionäre“.

Politik gegen den Wählerwillen

Wie die Stimmung in der Bevölkerung und bei den eigenen Wählern tatsächlich ist, müssten die SPD-Politiker längst wissen. Immer wieder haben Umfragen zum Thema Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik sehr klare Ergebnisse erbracht. Bereits im Dezember zeigte beispielsweise eine Befragung des renommierten Institutes für Demoskopie Allensbach, dass die Bundesbürger mehrheitlich nicht wollen, dass Flüchtlinge ihre Familien nach Deutschland nachholen dürfen. Lediglich 23 Prozent waren dafür, ergab die Erhebung. Auch die Mehrheit der SPD-Anhänger lehnte den Familiennachzug ab. „Die Politik schätzt hier teilweise nach wie vor die Stimmungslage falsch ein“, erklärte damals Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher.

Nicht nur in der Frage des Familiennachzugs zeigt sich eine tiefe Kluft zwischen den Funktionären der SPD und ihren Wählern. So befürwortet eine überwältigende Mehrheit der Deutschen, dass Asylbewerber, die als potenziell gefährlich gelten oder in Deutschland schwere Straftaten begangen haben, in ihre Heimatländer abgeschoben werden – auch wenn es sich dabei um Syrien oder Afghanistan handelt. Acht von zehn Befragten stimmen dem zu, unter den Anhängern der SPD sind es sogar 86 Prozent. Wie lautet dagegen ein Parteitagsbeschluss der SPD? Abschiebungen nach Afghanistan solle es grundsätzlich nicht geben.

SPD auf Rekordtief

Ähnlich groß ist die Diskrepanz bei Themen wie Grenzkontrollen oder der Verpflichtung der Zuwanderer auf eine Leitkultur. Stets hat sich auch eine deutliche Mehrheit der SPD-Anhänger für diese Forderungen der CSU ausgesprochen, um von führenden Repräsentanten der Partei erklärt zu bekommen, dass mit diesen Vorschlägen lediglich ein „Lederhosen-Publikum bespaßt“ (SPD-Vize Ralf Stegner) oder dem Land ein „rechter Seitenscheitel“ gezogen werden solle (Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher) und es so etwas wie eine „spezifisch deutsche Kultur“ sowieso nicht gäbe (die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz, SPD).

Die Quittung für dieses wählerfeindliche Verhalten erhalten die SPD-Funktionäre derzeit beinahe täglich neu. In Umfragen stürzt die Partei auf immer niedrigere Werte ab. Laut „Deutschlandtrend“ wollen derzeit nur noch 18 Prozent der Deutschen die SPD wählen. So wenige wie nie zuvor.