Knackpunkt Familiennachzug
In kaum einem Punkt sind die möglichen Jamaika-Partner weiter auseinander als in der Zuwanderungspolitik. Vor allem die Familienzusammenführung entzweit Union und Grüne. Der BAYERNKURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem strittigen Thema.
Migration

Knackpunkt Familiennachzug

In kaum einem Punkt sind die möglichen Jamaika-Partner weiter auseinander als in der Zuwanderungspolitik. Vor allem die Familienzusammenführung entzweit Union und Grüne. Der BAYERNKURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem strittigen Thema.

Der Familiennachzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen ist einer der zentralen Streitpunkte bei den Sondierungsverhandlungen in Berlin. Eine Einigung konnten die Parteien bis jetzt nicht erzielen. Während sich CDU, CSU und FDP in dieser Frage weitgehend einig sind, vertreten die Grünen eine gegensätzliche Position. Darum geht es in der Sache:

Worum dreht sich der Streit?

Strittig ist die Frage, wie mit dem Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz umgegangen werden soll. Die Bundesregierung hat das Nachzugsrecht für Angehörige dieser Gruppe im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Union und FDP wollen diese Regel auch über den März 2018 hinaus beibehalten, die Grünen lehnen das ab. Sie verlangen, dass auch Migranten mit lediglich subsidiärem Schutz ihre Angehörigen nach Deutschland holen dürfen.

Um wie viele Flüchtlinge geht es dabei?

Subsidiärer Schutz gilt, wenn der Person weder der Flüchtlings- noch der Asylstatus gewährt werden kann, ihr dennoch im Heimatland ernsthafter Schaden (etwa durch Verhängung der Todesstrafe oder einen Bürgerkrieg) droht. Die Aufenthaltserlaubnis gilt in diesem Fall für ein Jahr und kann anschließend für jeweils weitere zwei Jahre verlängert werden. Nach fünf Jahren kann eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn Voraussetzungen wie etwa die Sicherung des Lebensunterhalts sowie ausreichende Deutschkenntnisse erfüllt sind. Mitte des Jahres lebten nach Auskunft der Bundesregierung knapp 152.000 Menschen mit subsidiärem Schutz in Deutschland. Die meisten, 112.000 davon, stammen aus Syrien.

Wer kann seine Angehörigen nach Deutschland holen?

Das Recht auf Familiennachzug gilt derzeit für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge. Für sie gilt laut EU-Regeln ein privilegierter Familiennachzug. Das bedeutet, dass sie nicht nachweisen müssen, dass für ihre Angehörigen genügend großer Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt gesichert ist. Ein Asylverfahren für die Nachzügler ist nicht notwendig. Die Kosten für die nötigen Dokumente und die Reise nach Deutschland müssen die Antragsteller beziehungsweise deren Angehörigen selbst tragen. Für die deutschen Städte und Gemeinden bedeutet der Familiennachzug dennoch eine massive finanzielle Belastung. Sie müssen zum Beispiel für die Unterkunft der Migranten, den Sach- und Verwaltungsaufwand, die Kosten für Personal sowie die Kinderbetreuung und die Beschulung aufkommen.

Welche Angehörigen dürfen kommen?

Nachzugsberechtigt sind grundsätzlich nur Mitglieder der Kernfamilie, das heißt Ehepartner sowie minderjährige Kinder. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen dürfen nur die Eltern nachkommen. Geschwister haben kein Recht auf Nachzug, wenn die Eltern nicht bereits in Deutschland sind. Volljährige Kinder oder andere Familienangehörige dürfen nur in besonderen Härtefällen nachziehen, etwa wenn ein pflegebedürftiger Verwandter ohne seine Familie keine Betreuer mehr hätte. Nicht erlaubt ist der Nachzug von minderjährigen Ehepartnern. Das gleiche gilt für Zweit- oder Drittfrauen: Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur für einen Ehegatten des Ausländers erteilt werden.

Wie viele Familienmitglieder werden vermutlich nachziehen?

Nach Angaben der Bundesregierung lebten zur Mitte des Jahres gut 40.000 nach dem Grundgesetz asylberechtigte Ausländer sowie weitere knapp 550.000 anerkannte Flüchtlinge in Deutschland. Sie alle haben das Recht darauf, ihre nächsten Angehörigen nach Deutschland zu holen. Sollten sich die Grünen mit ihrer Forderung durchsetzen, dürften ab April 2018 zusätzlich auch die 152.000 subsidiär Geschützen ihre Familien nachholen.

Zudem hielten sich laut Ausländerzentralregister zum Stichtag 30. Juni gut 550.000 Menschen in Deutschland auf, über deren Status noch nicht rechtskräftig entschieden war, bei denen also noch nicht feststeht, ob sie im Land bleiben dürfen und ob auch sie das Recht erhalten, ihre Angehörigen nachzuholen. Keinen Anspruch auf Familiennachzug haben dagegen die rund 160.000 geduldeten Ausländer in Deutschland.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ging in einer Prognose vom Mai dieses Jahres davon aus, dass alleine etwa eine halbe Millionen Syrer über den Familiennachzug nach Deutschland kommen könnten. Dabei nahm das BAMF an, dass im Durchschnitt jeder anerkannte syrische Flüchtling in Deutschland etwa einen Angehörigen nachholen wird. Der frühere Präsident des Bamf, Manfred Schmidt, war im Jahr 2015 sogar von drei Familienangehörigen je Flüchtling ausgegangen. Die CSU nimmt an, dass durch den Familiennachzug bis zu 750.000 Menschen nach Deutschland kommen könnten.

Wie viele wollen kommen?

Derzeit warten nach Auskunft des Auswärtigen Amtes  insgesamt 70.000 Syrer und Iraker auf ein Visum zum Familiennachzug. In den zweieinhalb Jahren zwischen Januar 2015 und Juni 2017 wurden 102.000 Anträge von Syrern und Irakern auf Familiennachzug vom Auswärtigen Amt bewilligt, weitere 3000 gingen an Afghanen. Auf Basis der Terminbuchungen und bisheriger Erfahrungen schätzt das Außenministerium, dass bis 2018 etwa 100.000 bis 200.000 weitere Visa hinzukommen könnten.