Multikulturelles Seniorenzentrum des DRK. (Bild: Imago/Joker)
Integration

Chancen für Türkinnen

Besonders für Frauen mit Migrationshintergrund besteht die Gefahr, in Altersarmut zu landen. Eine neue Ausbildung in der Altenpflege soll sie für den Beruf qualifizieren - ein Beitrag sowohl für die Integration, als auch gegen den Fachkräftemangel.

Die Kinder besuchen eine Schule oder sind bereits aus dem Haus, der Ehemann hat einen Job, die Frau sucht nach einer Beschäftigung. Doch ohne Schulabschluss und nur mit geringen Deutschkenntnissen ist es für viele Frauen aus anderen Kulturkreisen schwierig, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Doch wer nichts oder nur wenig erwirtschaftet, für den steigt das Risiko, im Alter in Armut zu leben. Dieser Gefahr will Kerstin Schreyer, Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, vorbeugen. Gemeinsam mit dem Kultusministerium, der Hans-Weinberger-Akademie und der Arbeitsagentur hat sie eine Berufsausbildung in der Altenpflege konzipiert, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen mit türkischem Migrationshintergrund zugeschnitten ist. „Nur etwa 15 Prozent von den hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind als Flüchtling zu uns gekommen. Ich will mich besonders um Frauen mit Migrationshintergrund kümmern, die hier auch nach dreißig Jahren noch kein Deutsch sprechen und von ihren Familien oder Teilen ihrer Community an gesellschaftlicher Teilhabe und Integration gehindert werden“, sagt sie.

Uns ist wichtig, dass sich die Frauen in ihrem Berufsfeld wohl fühlen.

Kerstin Schreyer, Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung

Warum eine Ausbildung in der Altenpflege?

Das Ausbildungsprojekt wendet sich zunächst an Frauen mit türkischem Migrationshintergrund. Dafür gibt es mehrere Gründe. Sie zählen zur größten Zuwanderungsgruppe: In Bayern leben rund 336.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Allein in München machen sie mit knapp 40.000 Einwohnern die größte Ausländergruppe aus. Zudem gilt die Altenpflege als ehrenwerter Beruf. Und gerade Frauen mit Migrationshintergrund, die in ihrem Familienleben wertvolle Kompetenzen erworben haben, können sich in der Altenpflege verwirklichen.

Außerdem sind ein Großteil der türkischstämmige Menschen, die einst als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, mittlerweile im Rentenalter. Unter ihnen werden in den kommenden Jahren immer mehr pflegebedürftige Senioren sein, deren Betreuung auch in ihrer Muttersprache wichtig ist. „Die Zufriedenheit der Senioren hängt eng mit der Zufriedenheit der Pfleger zusammen. Uns ist daher wichtig, dass sich die Frauen in ihrer Ausbildung und ihrem Berufsfeld wohl fühlen“, sagt Schreyer. Gleichzeitig bietet ihnen der Bereich der Altenpflege einen gesicherten Arbeitsplatz. Denn der demografische Wandel betrifft die Pflege gleich doppelt. Mit der Alterung der Bevölkerung steigt die Nachfrage nach Pflege. Zugleich sinkt die Zahl der Berufstätigen, also derer, die in der Pflege arbeiten können. Das Bundesgesundheitsministerium prognostiziert: Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte bis 2060 auf 4,7 Millionen steigen.

Wie ist die Ausbildung konzipiert?

Die kostenfreie Ausbildung ist vergleichbar mit einer klassischen dualen Ausbildung in der Altenpflege. Im Unterschied zur einjährigen Berufsausbildung zur Altenpflegehilfe, die in Bayern bereits angeboten wird, benötigen Bewerberinnen keinen Mittelschulabschluss oder gute Deutschkenntnisse. Das nötige fachliche und theoretische Know-How sowie die Sprache erlernen sie in Modulen während der Ausbildung, die sich an den Inhalten der Berufsintegrationsklassen orientieren. Die Initiatoren haben die Ausbildung deshalb auf eine Dauer von zwei Jahren ausgelegt. Auch ein vorbereitender Sprachkurs ist vorgesehen. „Wir richten uns zunächst an türkischstämmige Frauen, aber das Konzept eignet sich natürlich auch für Menschen aus anderen Kulturkreisen“, sagt die Integrationsbeauftragte.

Teilnehmer besuchen die Berufsfachschule für Altenpflegehilfe der Hans-Weinberger-Akademie und für den Praxisanteil Pflegeeinrichtungen. Neben einem Netzwerk von rund 200 Kooperationspartnern in der Altenpflege hat die Akademie in den vergangenen Jahren immer mehr Erfahrungen mit Auszubildenden mit Migrationshintergrund gesammelt. Ihr Anteil unter den Absolventen liegt inzwischen bei knapp zwei Drittel.

Familienbild im Wandel

Für das neue Ausbildungsprojekt stehen zunächst zwanzig Plätze zur Verfügung. Start ist August 2018. Die größte Herausforderung sehen die Initiatoren darin, das Angebot ab sofort zu kommunizieren und Ängste abzubauen. Um die Zielgruppe zu erreichen, gibt es einen zweisprachigen Infoflyer und für Interessenten steht eine Dolmetscherin bereit. „Ich sehe in der türkischen Community einen großen Bedarf an solchen Ausbildungsmöglichkeiten“, sagt Vural Ünlü, Chef der Türkischen Gemeinde in Bayern (e.V.). „In der jungen Generation ändert sich das einst sehr konservative Familienbild und viele türkische Frauen wollen sich für einen Beruf qualifizieren.“

Etabliert sich das Modellprojekt als Erfolg, soll es auch in Augsburg und Nürnberg angeboten werden. „Wenn es anschließend deutschlandweit Nachahmer findet, leisten wir zusätzlich einen Beitrag gegen Fachkräftemangel“, spekuliert Schreyer. Jetzt geht es ihr aber zunächst darum, die Integration von Frauen mit Migrationshintergrund in Bayern voran zu bringen.

Wo geht’s zur Ausbildung?

Die Ausbildung erfolgt in der Berufsfachschule für Altenpflegehilfe der Hans-Weinberger-Akademie der AWO e.V. und in Pflegeeinrichtungen der Altenpflege. Nach zwei Jahre absolvieren die Teilnehmerinnen ihren Abschluss zur staatlich geprüften Pflegefachhelferin. Die jährlichen Ausbildungskosten von rund 10.000 Euro pro Teilnehmerin übernimmt die Bundesagentur für Arbeit.

Ausbildungsbeginn ist der 1. August 2018. Interessierte Bewerberinnen oder Kooperationspartner in der Altenpflege können sich ab sofort an die Projektleiterin der Akademie, Hannah Leßner, wenden: h.lessner@hwa-online.de