Zentrumsnah Bauen: Kran neben den Türmen - Arbeiten in der Nähe der Münchner Frauenkirche. (Foto: Imago/R. Peters)
Stadtplanung

Weltstadt mit Herz(-Infarkt)

Kommentar Der Zukunftskongress „Langfristige Siedlungsentwicklung“ offenbart den fortgeschrittenen Wahnsinn am Münchner Immobilienmarkt. Verdichten, umstrukturieren, erweitern: Oberbürgermeister Dieter Reiter bekennt sich zur Mutlosigkeit seiner Verwaltung.

München sei ein Ort der Gemütlichkeit, der Bodenständigkeit, so verheißen es die Werbeklischees des Stadtmarketings. Zukünftige Neu-Münchner, glaubt nicht den Lügen! Wenn Ihr zu den Massen gehört, welche Prognosen zufolge die Bevölkerung in der Landeshauptstadt bis 2035 auf 1,85 Millionen anschwellen lassen – vergesst Eure Hoffnung auf das irdische Biergarten-Paradies! Das selbsternannte Millionendorf wächst sich zu Tode.

Wer die alltägliche Gemütlichkeit hautnah erleben will, steigt am besten zu Stoßzeiten in die überfüllten U-Bahnen, befährt mit Auto oder Fahrrad die verstauten Straßen. Die einst beschauliche Stadt entwickelt die Entspanntheit eines Wiesn-Zelts am Samstagabend, da fällt der Watschenbaum schnell mal um. Allein heute früh auf meinem Weg zur Arbeit: In Sendling bepöbelt und bespuckt ein Fußgänger einen Radler, weil der ihn vom Radlweg gebimmelt hat. Im Waggon auf der Linie U3 bricht Tumult aus, weil nachdrängende Fahrgäste mit bereits Hineingepferchten in Streit geraten. Aber ich bin froh, dass ich nicht mit Tausenden im Auto auf dem Mittleren Ring um die Weltstadt mit Herzinfarkt spazierenstehe.

Verdichtungszwergerl unter Immobilien-Riesen

Wie gut, dass am Mittwoch ein so genannter Zukunftskongress unter dem Titel „Langfristige Siedlungsentwicklung“ in der Alten Kongresshalle stattfand. Oberbürgermeister Dieter Reiter skizzierte dort ein Bevölkerungswachstum, das eher auf 2 Millionen zulaufe. Überraschend bekannte er sich zu den Defiziten der Stadtentwicklungspolitik seiner Verwaltung: „Mut, der fehlt uns und anderen Beteiligten bei diesem Thema.“ Allerdings stellte sich heraus, dass er den mangelnden Mut meinte, den Einwohnern noch mehr zuzumuten. Denn die Strategie seines Referats für Stadtplanung und Bauordnung sieht vor, die Stadt weiter zu verdichten, umzustrukturieren, zu erweitern. Ein gewaltiger Sand- und Beton-Spielplatz für Bauriesen.

Dichte und Wichte: Stadtbaurätin Elisabeth Merk trug ihren Wunsch nach einem „Wachstumsvertrag“ mit den Bürgern vor. Für ihre Behörde ist es schon sehr lästig, dass die Notwendigkeit der vielen Neubau- oder Verdichtungsgebiete allen klar sein müsste – aber bei deren Umsetzung ständig die bereits dort Lebenden protestieren und prozessieren. Die gilt es in den Griff zu kriegen. Den entfesselten Kräften am Immobilienmarkt hat sie scheinbar ohnehin nicht viel entgegenzusetzen.

In München gibt es quasi keinen Fleck mehr ohne Baustelle.

Dieter Reiter, Oberbürgermeister

Eine ganze Reihe von Stadtplanern, Urbanisten, Bauinvestoren trat auf und füllte die Kongresshalle mit wolkigsten Wortblasen: Polyzentralität, angemessene Dichte, Quartiere, in denen die Menschen angeblich wohnen und arbeiten. Blöd nur, dass die meisten am einen Ende der Stadt leben und ans andere ins Büro pendeln. Weiters trat auf Daniel Just, Chef der Bayerischen Versorgungskammer, die ihre 70er-Jahre-Blöcke in Fürstenried-West aufstocken und die Rasenflecken dazwischen bebauen will. Platz für 600 neue Wohnungen. Fabelhaft, dachte ich, die künftigen Bewohner fahren dann auch U3. Von ihrer Haltestelle sind es nur drei Stationen, bis die Insassen der 1200 bereits im Bau befindlichen Wohnungen „Am Südpark“ nebst Alt-Anwohnern zusteigen werden. Und wenn ich dann mit Pendlern und den 270 Studenten aus dem gerade eröffneten Edel-Wohnheim „Reserl“ aus meiner Nachbarschaft hineindränge, werden wahrscheinlich die ersten Toten des U-Bahn-Nahkampfs herausgeschleppt. Gemütlich lebt, wer da einen Sitzplatz ergattert.

Rosa Prosa der Visionäre

Reiters Mutlose lassen zwar die Stadt rasant mit Wohn- und Gewerbeimmobilien vollstellen. Neben Mut fehlen den Verantwortlichen allerdings auch Weitsicht, Wille und Kraft, die nötige Infrastruktur im selben Tempo zu erweitern. Öffentlicher Nahverkehr, Schulen, Schwimmbäder, Turnhallen, Kindergärten, Parks. In der rosa Prosa der versammelten Urbanisten beim Zukunftskongress kam davon wenig vor. Als Zauberwort steht die E-Mobilität im Raum. Als ob Elektroautos und E-Bikes, ganz viele davon, den Verkehrswahnsinn entspannen. Einfach weil sie ohne Motorenlärm laufen. Immerhin gasen sie im Stillstand nicht die Straßen voll.

Den Grant, den die Gegenwart im Bauboom der Metropole bei vielen Münchnern erzeugt, wird Stadtbaurätin Merk nicht mit der Worthülse „Wachstumsvertrag“ mildern. Zu verhandeln wäre eher ein Kontrakt, wie der Zuzug zu bremsen wäre. Wieviel Bodenständigkeit Einheimische und Zugereiste in punkto „bezahlbarer Wohnraum“ erwartet, beschrieb Jürgen Büllesbach erfrischend klar. Der Chef der Bayerischen Hausbau, die das Gelände der Paulaner-Brauerei mit 1500 Edelwohnungen entwickelt und mediale Polemik wegzustecken hat („Teuer, teurer – Paulaner“), erläuterte: „Es geht nicht darum, ob die Wohnungen am Nockherberg 10.000, 12.000 oder 14.000 Euro pro Quadratmeter kosten, sondern ob sie im Hasenbergl unter 7.000 Euro kosten.“ Klingt nach echt bayerischer Zen-Gemütsruhe.