Per App können Gastronomen Reste des Tages verkaufen. (Bild: Too good to go)
Nachhaltigkeit

Weg aus der Wegwerfgesellschaft

Ob Joghurt oder Reisgericht - tonnenweise Lebensmittel landen unnötig im Müll. Die App "Too good to go" könnte da Abhilfe schaffen. Und auch die bayerische Einzelhandelskette AEZ hat ein Projekt gegen Lebensmittelverschwendung gestartet.

Marokkanisches Rinderragout oder altbayerische Kartoffelsuppe mit Wienerle? In beiden Suppentöpfen ist noch genau eine Portion übrig. Lukas Balsam, Mitgründer des Suppenrestaurants Gusto, tut es im Herzen weh, Reste am Ende des Tages wegzukippen. „So wie wir kochen – ohne Konservierungsstoffe und mit regionalen, hochwertigen Zutaten – ist es jammerschade, wenn wir nicht alles verkaufen können“, sagt er. „Als wir von der App ‚Too good to go‘ gehört haben, haben wir das sofort ausprobiert“, erinnert Balsam sich. Das war vor einem halben Jahr, im Frühjahr 2017.

Gratis-Werbung für Gastronomen

Das Konzept ist einfach: die App bringt Gastronomen und Sparfüchse zusammen. Sie können eine halbe Stunde vor Ladenschluss Gerichte zum halben Preis abholen. Beispielsweise ein Curry-Gericht, eine Pizza, ein Sandwich oder eben einen Becher Suppe. „Der entscheidende Vorteil dabei ist, dass wir als Gastronomen entscheiden, was wir anbieten – sprich das, was schließlich übrig ist“, sagt Balsam. Kunden bestellen nämlich stets eine Portion in dem jeweiligen Restaurant oder in der Bäckerei. Was schließlich für sie heraus springt, hängt vom täglichen Geschäft ab. Der Preis beträgt mindestens die Hälfte des Originalpreises und maximal 3,90 Euro. Ein Euro geht als Provision an das Start-up. „Unsere günstigste Suppe kostet 4,60 Euro und wir bieten die Portion für drei Euro an. An dem Angebot verdienen wir also so gut wie nichts, aber es passt in unser Nachhaltigkeitskonzept. Es beruhigt unser Gemüt zu wissen, dass wir nichts wegschmeißen müssen“, sagt Balsam. Außerdem sieht er die App als kostenlose Werbung für den Betrieb. An einigen Tagen kommen bis zu sieben Kunden und fragen nach vergünstigten Portionen. Manchmal kommt aber auch eine Woche lang niemand, der von dem Angebot weiß.

Hinter dem öko-sozialen Start-up stecken fünf Dänen, die für das Konzept bereits seit 2015 in Europa Partner gewinnen. Seit Anfang diesen Jahres bringen die Geschäftsidee 16 Mitarbeiter in Deutschland voran. Eine von ihnen, Franziska Rohe, geht seit September in München auf die Suche nach interessierten Gastronomen. Über 70 Betriebe in der Landeshauptstadt, darunter auch Metzgereien, Hotels und Gemüseläden, sind inzwischen Teil des Netzwerkes. Auch in anderen Städten in Bayern, darunter Augsburg, Nürnberg und Würzburg haben Unternehmer das Angebot in ihren Alltag implementiert. Europaweit konnten die Start-up-Gründer zwei Millionen App-Nutzer und 4000 Partnerbetriebe gewinnen. Nicht nur die Zusammenarbeit mit Gastronomen treiben die Mitarbeiter voran. Auch Kooperationen mit den Tafeln sind geplant.

Kooperation mit der Tafel

In München setzt Wenka Russ, Mitarbeiterin der Tafel, in erster Linie auf eine noch intensivere Zusammenarbeit mit der Lebensmittelindustrie, vor allem wenn es um Fleischprodukte geht. Die kann das Team der Tafel palettenweise abholen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum von Würsten beispielsweise innerhalb der kommenden zehn Tage abläuft und der Handel sie nicht abruft. „Eine Kooperation mit der Gastronomie ist bei unseren Absatzmengen schwierig und funktioniert nur in Einzelfällen. Jede Woche verteilen wir rund 120.000 Kilo Lebensmittel in München, im Jahr sind das circa sechs Millionen Kilo“, sagt Russ. Dabei bietet die Münchner Tafel ihren durchschnittlich 20.000 Gästen pro Woche ausschließlich Lebensmittel an, deren Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist, oder am selben Tag abläuft. „Bei uns hat die Würde des Gastes und die Lebensmittelsicherheit Priorität“, betont Russ.

88 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll

In Deutschland landen jährlich insgesamt rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Der Großteil von davon, knapp sieben Millionen, stammt aus Privathaushalten. Dabei sind viele Produkte noch genießbar. Doch das abgelaufene Haltbarkeitsdatum suggeriert, dass beispielsweise der Frischkäse nicht mehr gegessen werden kann. So schmeißt jeder Deutsche Joghurt, Salami, Käse und andere abgepackte Nahrung im Wert von rund 240 Euro pro Jahr weg.

Europaweit sind es sogar 88 Millionen Tonnen Lebensmittel, die jährlich verschwendet werden. Das macht rund 173 Kilo Lebensmittel pro Kopf. Das EU-Parlament will deshalb Spenden erleichtern, beispielsweise durch den Wegfall der Mehrwertsteuer für gespendete Lebensmittel. Ziel: bis 2030 rund 50 Prozent der heute verschwendeten Lebensmittel einsparen oder besser verteilen.

Verschenken statt wegwerfen

Doch bisher hält die Steuerpflichtigkeit von Lebensmittelspenden und die vorhandene Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der Spenderhaftung viele Unternehmen vom Verschenken ab. Anders ist es neuerdings in Fürstenfeldbruck bei München. Dort finden Kunden im Kassenbereich der Niederlassung Buchenau von der Einzelhandelskette AEZ einen Kühlschrank und ein Regal. Darin deponieren Mitarbeiter Molkereiprodukte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum am selben Tag, oder Konserven und andere abgepackte Lebensmittel, deren Datum am Ende des Monats abläuft. Kunden können sich die Lebensmittel kostenlos mitnehmen. Manchmal sind die Ablagen voll, manchmal steht nur eine Packung Milch im Kühlschrank – abhängig davon, wie viel übrig bleibt.

Das Angebot spricht nicht nur Bedürftige an. Jeder ist eingeladen, über sein Konsumverhalten nachzudenken. „Solch eine Aktion gibt es nur einmal in Deutschland. In Baden-Württemberg und in Norddeutschland gibt es zwar Läden, die ihre Ware nach Ablauf des MHD verschenken, aber damit gehen sie auch das Risiko ein, verklagt zu werden“, sagt Udo Klotz, AEZ-Geschäftsführer dem Münchner Merkur. Wie das Konzept ankommt, testen die Mitarbeiter seit September in einer der elf Filialen für insgesamt zwei Monate. Dann entscheidet Klotz, ob es Kühlschränke mit Gratis-Ware künftig auch in den anderen Läden gibt. In Buchenau sind Kunden sowie Marktleiter Michael Schipper von der Aktion bislang begeistert. „Lieber verschenke ich die Lebensmittel, als sie in die Tonne zu werfen“, sagt Schipper.

Was ist das Mindesthaltbarkeitsdatum?

Bei Produkten wie Salz oder Zucker, die dauerhaft genießbar sind, müsste heute schon kein Haltbarkeitsdatum mehr auf der Verpackung stehen, sondern nur noch das Herstellungsdatum. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist in Deutschland seit mehr als 30 Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt an, bis zu welchem Datum mindestens das ungeöffnete und richtig gelagerte Lebensmittel seine spezifischen Eigenschaften wie Geschmack, Geruch, Farbe, Konsistenz und Nährwert behält. Es ist also kein Verfallsdatum, sondern lediglich die Garantie des Herstellers für bestimmte Qualitätseigenschaften.

Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) fordert eine Abschaffung des Haltbarkeitsdatums auf allen Lebensmittelverpackungen, damit Verbraucher noch essbare Produkte seltener wegschmeißen. Stattdessen soll ein Verfallsdatum auf Verpackungen gedruckt werden, also bis wann die Produkte ohne Gesundheitsbedenken verzehrt werden können. Schmidt geht im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung sogar noch einen Schritt weiter. Er denkt daran, „intelligente Verpackungen“ einzuführen. Das sind beispielsweise elektronische Chips, die in Joghurtbecher eingebaut sind. Sie ermitteln, wie sich das Produkt von Tag zu Tag verändert und zeigen per Farbskala an, wie es um die Verzehrbarkeit steht. Jeder Verbraucher könne dann selbst entscheiden, bis zu welchem Grad er das Nahrungsmittel noch verwenden will. Dazu hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen. Mit Ergebnissen wird in etwa drei Jahren gerechnet.

Bis dahin soll die Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ des Ernährungsministeriums Verbraucher für die Wertschätzung von Lebensmitteln in der gesamten Kette von der Landwirtschaft über die Industrie und den Handel sensibilisieren. Lesen Sie dazu auch das Interview von Ernährungsminister Christian Schmidt mit dem BAYERNKURIER: „Die Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft!“.