Seit 2014 ist Christian Schmidt Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. (Foto: imago/Rüdiger Wölk)
Christian Schmidt

„Die Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft!“

Interview Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, spricht im Interview mit Bayernkurier-Chefredakteur Marc Sauber über die Zukunftschancen der Bauern in einer Gesellschaft, in der die Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln und deren Erzeugern stark zurückgegangen ist. Aus dem aktuellen Bayernkurier-Magazin.

Über Jahrzehnte war die CSU ganz klar die politische Heimat der Landwirte. Ist sie das heute noch?

Ja, und sie wird es auch bleiben. Natürlich sind die Herausforderungen heute andere als vor 50 Jahren: Auf der einen Seite stehen wir vor der Aufgabe, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Auf der anderen Seite gilt es Umwelt und Klima zu schützen. Aber gerade deshalb, braucht es eine starke politische Kraft, die sich um die Themen Landwirtschaft und Ernährung in Deutschland kümmert – und das ist die CSU.

Die finanzielle Situation vieler Landwirte ist derzeit schlecht wie lange nicht, niedrige Erzeugerpreise machen ihnen zu schaffen. Wie steuern Sie gegen?

Die Situation ist schwierig, da gebe ich Ihnen Recht. Mit einem Liquiditätshilfeprogramm habe ich ein Notfallpaket für die besonders betroffenen Land wirte geschnürt. Bis jetzt haben etwa 7.800 Landwirte einen Antrag auf Liquiditätszuschuss gestellt.Das zeigt, wie ernst die Lage ist, aber auch, dass unser Programm richtig konzipiert ist. Um die Preise langfristig zu stabilisieren,müssen wir aber den Wert von Lebensmitteln wieder stärker in den Fokus bringen. Wichtig ist es auch, zu einer fairen Verteilung der wirtschaftlichen Risiken entlang der Produktionskette zu kommen – vom Bauernhof bis zum Supermarkt. Leider liegen die Risiken im Augenblick zu einem wesentlichen Teil bei den Landwirten. Und das muss sich ändern.

Wie sieht Ihr Liquiditätshilfeprogramm konkret aus?

Das Programm richtet sich an Betriebe, die vom Rückgang der Erzeugerpreise besonders betroffen sind. Das sind vor allem Milchbauern und Schweinefleischerzeuger. Wenn sie bereits einen Liquiditätskredit mit einer Laufzeit zwischen vier und sechs Jahren haben, können sie zusätzlich einen Direktzuschuss von bis zu 10.000 Euro erhalten, der nicht zurückgezahlt werden muss. Die Mittel für das Programm belaufen sich auf knapp 70 Millionen Euro. Das ist eine wichtige Überbrückungsmaßnahme.Dauerhaft kann die Landwirtschaft in Deutschland aber nur bestehen, wenn sie auch vernünftige Preise bekommt.

Wie kann das gelingen, wie soll bei den Erzeugern mehr Geld bleiben?

Bei Lebensmitteln sollte der Wettbewerb über die Qualität, nicht über den Preis laufen. Wir haben in Deutschland hochwertige Lebensmittel und wir erschließen ständig neue Märkte für diese Produkte. Derzeit exportiert Deutschland Nahrungsmittel im Wert von 68 Milliarden Euro. Damit sind wir Spitzenreiter.

Inwieweit leiden die hiesigen Landwirte auch unter den Exportbeschränkungen nach Russland?

Mit Russland ist natürlich gerade im Bereich Milch und Schweinefleisch ein verlässlicher Abnehmer weggefallen. Deshalb müssen die russischen Einfuhrverbote dringend aufgelöst werden. Wichtig ist, dass wir mit Russland im Dialog bleiben. Darüber hinaus hat die EU Klage gegen das russische Embargo bei der WTO eingelegt. Vielleicht bringt eine bevorstehende Entscheidung auch etwas Dynamik in die Gespräche mit Russland.

Es liegt also nicht an den Sanktionen gegen Russland wegen der Völkerrechtsverletzungen?

Nicht direkt. Es handelt sich um eine Art politische Schikane von russischer Seite, die als Antwort auf die EU-Sanktionen zu verstehen ist. Fakt ist: Wenn Russland das Minsker Abkommen erfüllt, kann man auch weitaus besser über ein Ende sämtlicher Handelsbeschränkungen sprechen. Sanktionen sind aber auch ein wichtiges politisches Instrument, wie das Beispiel Iran zeigt: Soweit wir das überblicken, ist der Iran seinen Verpflichtungen nachgekommen. Er hat die militärische Nutzung seines Atomprogramms aufgegeben und wir können jetzt wieder Handelsbeziehungen aufnehmen. So etwas stelle ich mir dieses Jahr auch mit Russland vor.

Sie haben am Klimagipfel in Paris teilgenommen. Immer wieder kommt der Vorwurf, gerade die Viehzucht produziere klimaschädliche Gase.

Wir dürfen Landwirtschaft und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen. Die wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft ist die Ernährungssicherung. Aber natürlich kann man heute keine Landwirtschaft mehr betreiben, ohne auch an den Klimaschutz zu denken. Ich setze dabei auf Innovation: Ein Ansatzpunkt sind zum Beispiel Veränderungen bei der Viehhaltung. Allein durch anderes Futter kann der Ausstoß von Methan um ein Drittel gesenkt werden. Und auch beim Ammoniak-Ausstoß müssen wir handeln. Eine neue Technik erlaubt es, dass die Nährstoffe beim Ausbringen der Gülle direkt bei den Pflanzen ankommen und nicht in die Luft entweichen. Das kann die Ammoniak-Belastung der Luft massiv reduzieren. Deshalb unterstützt mein Ministerium Bauern bei der Anschaffung dieser Technik.

Inwieweit betrifft der Klimawandel schon heute die Bauern?

Die Landwirtschaft ist bereits heute wie keine andere Branche von den Folgen des Klimawandels betroffen. In Unterfranken hatten wir diesen Sommer sehr wenig Regen und Temperaturen über 40 Grad. Deshalb müssen alle Landwirte ein Interesse daran haben, einen Beitrag zu leisten, um den Klimawandel zu stoppen. Das ist eine der zentralen Fragen der Landwirtschaft in den nächsten Jahren, und aus diesem Grund setzen wir am Thünen-Institut dazu einen Forschungsschwerpunkt. Die Wissenschaftler dort untersuchen das Zusammenwirken von Klimawandel und Landwirtschaft. Und sie greifen dabei auch praktische Erkenntnisse auf, um dann Handlungsvorschläge zu machen.

Welche Rolle wird die Landwirtschaft langfristig bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien spielen?

Schon heute bauen Landwirte nicht nur Lebensmittel an. Sie sind auch Energiewirte, die Biomasse und nachhaltige Rohstoffe liefern. Bioenergie ist bei uns in Deutschland eine bedeutende Energiequelle. Sie trägt aktuell fast ein Drittel zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bei. Deshalb setze ich mich mit Nachdruck dafür ein, dass im kommenden Erneuerbare-Energien-Gesetz auch der Biogaserzeugung eine Zukunftsperspektive geboten wird.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der Landwirte? Was raten Sie einem Jugendlichen, der vor der Frage steht, den elterlichen Hof zu übernehmen?

Heute müssen Landwirte die Produktion nach den Märkten richten – und neue Konzepte entwickeln. Um den landwirtschaftlichen Nachwuchs mache ich mir dabei aber wenig Sorgen: Gerade die jungen Bauern, die kurz vor einer Hofübernahme stehen, haben unheimlich viele innovative Ideen, besonders im Bereich der Digitalisierung. Deswegen würde ich dem Jugendlichen sagen: Wenn Du Lust an Natur, Technik und Tieren hast und dazu den Mumm, die neuen Innovationen umzusetzen, dann mach das! Die Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche – gerade auch mit Hinblick auf die steigende Weltbevölkerung.

Wenn man ehrlich ist – die gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber den Landwirten ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Woran liegt das?

Die finanziell unter Druck stehenden Landwirte werden häufig zum alleinigen Sündenbock für Klimawandel und Skandale gemacht. Das muss sich ändern. Meiner Meinung nach hängt die mangelnde Wertschätzung mit einer gewissen Entfremdung vieler Menschen von der Lebensmittelproduktion zusammen: Wir gehen in den Supermarkt und kaufen dort abgepackte Produkte ein. Doch wo diese Lebensmittel herkommen – das wissen die wenigsten. Das gilt übrigens nicht nur für Städter! Deshalb müssen wir bei der Erziehung, bei der Information, bei der Begegnung mit der Landwirtschaft ansetzen. Dazu muss sich die Landwirtschaft ein Stück weit öffnen, zum Beispiel mit einem „Tag des offenen Hofes“. Das ist wichtig, um Vorurteile abzubauen. Anstatt übereinander zu urteilen, müssen wir wieder miteinander reden. Die Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft!

Wie würde sich Bayern ohne Landwirtschaft verändern?

Unser Dank gilt der Land- und Forstwirtschaft! Ohne Landwirtschaft könnten wir die einzigartige bayerische Landschaft gar nicht halten. Neben der Nahrungsmittelproduktion ist die Erhaltung der Landschaft und Natur eine der wichtigsten Aufgaben der Landwirtschaft. Und gesunde Wälder sind CO2-Reservoires – hier wird schädliches CO2 in enormen Mengen gebunden.

Sie haben jüngst den Ernährungsbericht 2015 vorgestellt – wie essen die Deutschen?

Die gute Nachricht ist: Die Deutschen wollen sich bewusst ernähren. Aber ich stelle fest, dass die Zahl der Übergewichtigen in Deutschland steigt. Hinzu kommt, dass gerade bei Schülern und Jugendlichen die Wegwerfmentalität leider stärker ausgeprägt ist. Die Kenntnisse und Wertschätzung unserer Nahrungsmittel könnten besser sein. Deshalb wollen wir Schüler und Jugendliche besser informieren und dazu motivieren, ihr Verhalten zu verändern. Ich fordere die Bundesländer dazu auf, ein Schulfach Ernährungsbildung einzuführen. Nicht nur der Satz des Pythagoras gehört in den Unterricht, sondern auch das Einmaleins der Ernährung.

Als Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises haben Sie unter anderem die Aktion „bewusst christlich“ ins Leben gerufen. Mit welchem Ziel?

Zwar diskutieren momentan viele Menschen über Religion, zum Beispiel über den Islam und den Umgang miteinander. Aber ich habe den Eindruck, über christliche Werte und Traditionen wissen die wenigsten Menschen Bescheid. Unser Ziel ist ein größeres Werteverständnis und eine christliche Leitkultur. Dazu gehören für mich auch ganz klar die Themen Welternährung, Schöpfungsschutz und Tierwohl.

Die CSU setzt sich unter anderem für eine klare Begrenzung der Flüchtlingszahlen ein – wie christlich ist die aktuelle Flüchtlingspolitik?

Sie ist durch und durch christlich – auch deshalb, weil sie den Anspruch erhebt, Dinge zu hinterfragen. Es ist völlig klar, dass Menschen, deren Leib und Seele bedroht sind, bei uns bleiben dürfen. Fakt ist, dass wir als Gesellschaft erwarten müssen, dass sich Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier zu leben, auch integrieren. Der Philosoph Robert Spaemann sagt, dass die Bereitschaft zur Hilfe zwar unbeschränkt sein kann, die tatsächlichen Möglichkeiten dazu oft aber endlich sind. Dem schließe ich mich grundsätzlich. Deshalb ist die Diskussion um eine Begrenzung des Asylrechts legitim – auch aus christlicher Sicht.