Sieg für den Populismus
Auf den Einzug einer rechtsnationalen Partei ins deutsche Parlament reagiert das Ausland. Mehrheitlich sehen Medienvertreter die Flüchtlingskrise als Ursache für den Erfolg der AfD. Glückwünsche an die Wahlsiegerin kamen unter anderem aus Israel.
Bundestagswahl

Sieg für den Populismus

Auf den Einzug einer rechtsnationalen Partei ins deutsche Parlament reagiert das Ausland. Mehrheitlich sehen Medienvertreter die Flüchtlingskrise als Ursache für den Erfolg der AfD. Glückwünsche an die Wahlsiegerin kamen unter anderem aus Israel.

Die Bundestagswahl 2017 ist vorüber: Die beiden Volksparteien Union und SPD fuhren massive Verluste ein und landeten auf ihren niedrigsten Ergebnissen im Bund seit 1949 (CDU/CSU) beziehungsweise in der Nachkriegsgeschichte überhaupt (SPD). In den 1970er Jahren erhielten CDU, CSU und SPD zeitweise gemeinsam mehr als 90 Prozent. Doch noch nie seit Gründung der Bundesrepublik stand der Deutsche Bundestag vor einer so ernsten Herausforderung wie jetzt: Erstmals ist mit der AfD eine rechtspopulistische Partei, mit Überschneidungen zur rechtsradikalen Szene, in dieser Größenordnung in den Bundestag gewählt worden.

Ausland warnt vor AfD

Vor allem der Einzug einer rechtsnationalen Partei ins deutsche Parlament beschäftigt deshalb die internationale Presse. Die französische Zeitung Le Figaro sieht die Flüchtlingskrise als Ursache für den Zuspruch der Wähler für die AfD. Zwar sei der Flüchtlingsstrom abgeebbt, doch die radikale Rechte habe sich etabliert und dürfte „für eine lange Zeit nicht aus der deutschen Politiklandschaft verschwinden“, zitiert Zeit Online das Blatt. Der Meinung ist auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Für ihn sei das Ergebnis wenig überraschend. „Die Flüchtlingskrise ist von vielen Politikern und traditionellen Parteien in Europa nicht ernst genug genommen worden“, erklärt er das Wahlergebnis für die AfD. Die spanische Tageszeitung El País fürchtet, dass die AfD mit mehr als 90 Sitzen im Parlament in Zukunft die politische Debatte dominieren könnte. Die Bundestagswahl sei zwar laut New York Times ein Sieg für die Kanzlerin, aber auch für den Populismus. Die Zeitung warnt vor einem möglichen Werteverfall durch Verhandlungen mit potenziellen Koalitionspartnern.

„Wahlsiegerin kann so nicht weitermachen“

Das Wall Street Journal nennt die Wahl eine gefahrlose Protestwahl. Aus der Neuen Züricher Zeitung: „Das starke Abschneiden der kleineren Parteien FDP und AfD erlaubt es der Wahlsiegerin Merkel nicht, einfach weiterzumachen wie bisher. Die beiden neuen Parteien im Bundestag können die Kanzlerin von rechts unter Druck setzen und die Politik der nächsten Bundesregierung beeinflussen – als Regierungspartner oder von der Oppositionsbank aus.“ Zu diesem Zweck stehe die AfD in der Pflicht, ihren Kurs zu klären und sich als rechtsbürgerliche Partei im Bundestag zu positionieren.

Mit der AfD ziehen Aggression und Rassismus in den Bundestag ein.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern

Auch der Zentralrat der Juden warnt davor, dass die anderen im Bundestag vertretenen Parteien sich von der AfD weder gegeneinander ausspielen noch provozieren lassen dürfen. Zum Wahlergebnis erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: „Ich erwarte von unseren demokratischen Kräften, dass sie das wahre Gesicht der AfD enthüllen und die leeren, populistischen Versprechen der Partei entlarven. Ein Ziel sollte alle demokratischen Parteien vereinen: Den Wählern zu verdeutlichen, dass die AfD keine Alternative ist, damit sie dort landet, wo sie hingehört – unter der Fünf-Prozent-Hürde!“

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, nennt das Ergebnis für die AfD einen „wahr gewordener Albtraum und eine historische Zäsur“. Es verändere die politische Debatte und Kultur und beeinträchtige das Ansehen Deutschlands in der Welt. „Parteiprogramm und Kandidatenlisten zeigen: Sie sind wieder da, die Ungeister, die Hass und Verachtung schüren. Mit der AfD ziehen Ausgrenzung, Abschottung, Aggression, Menschenverachtung, Verschwörungstheorien, völkischer Nationalismus, Neonazismus, Verfassungsbruch, Holocaustleugnung, Antisemitismus, Rassismus, Religionsfeindlichkeit, Medien- und Europafeindlichkeit, Revisionismus und Geschichtsrelativierung in den Bundestag, dessen Ausschüsse und Büros sowie in wichtige nationale und internationale Gremien ein“, sagt Knobloch. Sie erwarte, dass die Demokraten im Bundestag, in den Medien und in der Zivilgesellschaft die rechten und die linken Populisten und Extremisten rhetorisch und politisch stellen und angreifen.

Glückwünsche für die Kanzlerin

Mehrere internationale Staats- und Regierungschefs haben Angela Merkel zum Sieg der Union gratuliert. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sagte: „Wir setzen mit Entschlossenheit unsere wesentliche Zusammenarbeit für Europa und unsere Länder fort.“ Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte Angela Merkel „eine wahre Freundin Israels“ und gratulierte ihr zur Wiederwahl als Kanzlerin von Deutschland. Auch Norwegens konservative Regierungschefin Erna Solberg sagte: „Herzlichen Glückwunsch Angela! Gut für Europa. Freue mich auf vier weitere Jahre ausgezeichneter Zusammenarbeit!“ EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani betonte, Deutschland bleibe mit Merkel der europäischen Idee verbunden. „Jetzt müssen wir Europa gemeinsam reformieren“, fügte er an.

„Gute Konjunktur ist kein Polster“

Die bayerische Wirtschaft plädierte nach der Bundestagswahl für einen baldigen Start der Koalitionsgespräche. „Wirtschaftspolitik und zukunftsentscheidende Themen wie die Digitalisierung müssen wieder mehr in den Vordergrund der Politik rücken. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich die Parteien nun möglichst rasch an den Verhandlungstisch setzen. Die derzeitig gute Konjunktur ist kein Polster, auf dem sich unser Land ausruhen darf“, erklärt Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK).

(dpa/NZZ/RP/AS)