AfD und Linkspartei haben Einiges gemeinsam: Beide sind gegen die EU, die USA und die Globalisierung. Und: Beide agitieren sozialpopulistisch. (Foto: Imago/IPON)
AfD und Linke

Hauptsache dagegen

Gastbeitrag AfD und die Linkspartei haben viel mehr gemeinsam, als der gängige mediale Mainstream wahrhaben will, schreibt der renommierte Politikwissenschaftler und Parteienforscher Eckhard Jesse im neuen BAYERNKURIER-Magazin. Ein Auszug.

Die Zahl der Studien über die 2013 ins Leben gerufene Alternative für Deutschland (AfD) ist Legion. Alle möglichen Aspekte kommen dabei zur Sprache. Doch ein Vergleich zur Partei Die Linke fehlt. Dabei kann ein solcher aufschlussreich sein. Aber für viele verbietet es sich, auf Parallelen hinzuweisen. In der Politik, der Publizistik und der Politikwissenschaft wird die AfD in der Regel negativer gesehen als Die Linke. In dem einen Fall zielt die Analyse auf Ausgrenzung, in dem anderen betont sie eher den Integrationsmechanismus.

Eine verbreitete Konsenspolitik drängt demokratische Streitbarkeit zurück.

Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler

Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit bremste lange das erfolgreiche Aufkommen einer dezidiert rechten politischen Kraft, und die Existenz einer starken linken Protestpartei bildete zusätzlich ein Hemmnis. Der nicht nur subkutane Wandel der Union (mehr der CDU als der CSU) zu einer Partei, die Positionen aus dem konservativen Lager nicht länger angemessen auffängt, hat eine Repräsentationslücke entstehen lassen, die nun eine neue Kraft füllt. Zudem drängt eine verbreitete Konsenspolitik demokratische Streitbarkeit zurück.

Wie die Wahlforschung zeigen konnte, profitierte von der höheren Wahlbeteiligung überproportional die AfD, jedenfalls 2016. Offenbar sieht ein Teil der bisherigen Nichtwähler in ihr eine „echte“ Alternative zu den Etablierten. Der Erfolg der AfD fußt auf ökonomisch wie kulturell bedingten Ursachen. Ihren Repräsentanten, ausgesprochenen Anti-68ern, widerstrebt der gesellschaftliche Wandel, etwa in der Familienpolitik. Sie begehren trotzig gegen einen Elitenkonsens auf. Die AfD kritisiert mithin nicht nur die zeitweise weithin unkontrollierte Einwanderungspraxis, wiewohl dieses Thema, das Emotionen beflügelt, im Vordergrund steht.

Potenzial im Osten

Das Wählerpotential der AfD und der Partei Die Linke ist jeweils im Osten am stärksten – situations- und sozialisationsbedingt. Während die AfD im Osten radikaler als im Westen agiert, ist es bei der Partei Die Linke umgekehrt. Was die Mitgliedschaft angeht (Die Linke: 59.000; AfD: 27.000), so ist die AfD, anders als Die Linke, im Osten weitaus schwächer als im Westen. In Sachsen-Anhalt erreichte sie mit ihrem Rekordergebnis von 24,3 Prozent 25 Mandate – bei sage und schreibe circa 500 Mitgliedern.

Die Wählerschaft beider Parteien ist männerdominiert, bei der AfD noch stärker als bei der Linken, wie die repräsentative Wahlstatistik zeigt. Hingegen fallen die altersspezifischen Eigentümlichkeiten weniger markant aus. Die AfD ist in der Tendenz eine junge Kraft (im Osten stärker als im Westen), Die Linke in der Tendenz eine alte (im Osten stärker als im Westen). Das Elektorat besteht überproportional jeweils aus sozial schwächer Gestellten.

Gemeinsame Feindbilder

Rechts- (fixiert auf Antiimmigration) und Linkspopulismus (fixiert auf Antifaschismus) weisen Affinitäten auf – in den Feindbildern (etwa Globalisierung, USA, EU) und im Politikstil: durch Versprechungen mit Blick auf das Füllhorn sozialer Wohltaten. Die Linke avancierte durch die Hartz IV-Reformen zu einer gesamtdeutschen Partei am Rand des Spektrums. AfD und Die Linke hegen die größten Vorbehalte gegenüber der Sanktionspolitik mit Blick auf Russland. Mitunter sind Repräsentanten dieser Parteien, zumal aus denen der AfD, nicht frei von verschwörungstheoretischen Annahmen.

Die Linke scheint das Debakel vom Göttinger Parteitag 2012 – eine Spaltung lag in der Luft – überwunden zu haben. Den beiden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ist der Zusammenhalt der Partei einigermaßen gelungen. Gleichwohl stehen sich systemüberwindende (vor allem im Westen) und reformerische, stärker pragmatisch ausgerichtete Kräfte (vor allem im Osten) nach wie vor gegenüber. Durch die Flüchtlingskrise ist ein weiterer Konflikt ausgebrochen: Die Richtung um Sahra Wagenknecht, lange Protagonistin der Kommunistischen Plattform, befürwortet ein stärkeres Eingehen auf die Ängste der Bevölkerung, auch der eigenen Wählerschaft, und sieht sich nun dem Vorwurf ausgesetzt, rechten Populismus zu fördern.

Attraktiv für Glücksritter und Sektierer

Bei der AfD sind die internen Konflikte noch stärker, zum Teil durch persönliche Animositäten hervorgerufen, zum Teil durch inhaltliche Gegensätze. So musste die als gemäßigt geltende Bundessprecherin Frauke Petry im April auf dem Kölner Bundesparteitag mehrere schwere Niederlagen kassieren. Eine neue politische Kraft zieht Glücksritter und Sektierer an.

Die Spitzenkandidaten der beiden Parteien für die Bundestagswahlen repräsentieren jeweils unterschiedliche Flügel. Bei der AfD ist mit Alexander Gauland der nationale, zum Teil fundamentalistische Flügel ebenso repräsentiert wie mit Alice Weidel der wirtschaftsliberale. Bei der Partei Die Linke sind dies die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag: der reformorientierte Dietmar Bartsch, der auf eine Koalition mit der SPD wie den Grünen setzt, und die Linkspopulistin Wagenknecht, die eben das zu verhindern trachtet.

Rot-Rot-Grün als Option

Für die AfD, nur zum Teil dezidiert antikommunistisch orientiert, ist der Hauptgegner nicht die Linke, sondern die Partei Die Grünen, für die Linke, strikt antifaschistisch ausgerichtet, hingegen die AfD. Diese besetzt folglich bei der sozio-kulturellen Konfliktlinie den einen Pol, Die Linke bei der sozio-ökonomischen Konfliktlinie den anderen. Die Linke ist diejenige Kraft, die am stärksten staatliche Interventionen fordert. Hingegen bezieht die AfD, die zwischen wirtschaftsliberalen und sozialpopulistischen Positionen laviert, auf der sozio-ökonomischen Achse ebenso keine Extremposition wie Die Linke, die Vorbehalte gegenüber libertären Maximen hegt, auf der sozio-kulturellen.

SPD und Grüne schließen ein Bündnis mit der Partei Die Linke keineswegs grundsätzlich aus, wobei nicht zuletzt wegen deren außenpolitischer Haltung, etwa gegenüber dem Russland Putins, die Chancen für ein Linksbündnis geschrumpft sind. Zudem wissen SPD und Grüne: Mehrheitsfähig ist eine solche Konstellation kaum. Hingegen lassen Union und FDP glasklare Präferenzen erkennen: Eine Koalition mit der AfD kommt nicht in Frage, wobei diese ebenso ein Regierungsbündnis ablehnt. Vollmundige Äußerungen aus ihren Reihen lauten: Koalition ja, aber nur als stärkster Partner.

AfD und Linke konkurrieren um Protestwähler

AfD und Die Linke weisen zwar viele Differenzen auf, aber sie stehen sich nicht wie Feuer und Wasser gegenüber. Die Linke wurde durch die AfD geschwächt, da ein Teil ihres Elektorats beim Rechtspopulismus Unterschlupf gefunden hat. Bei der AfD ist angesichts ihre Vorbehalte gegen „die da oben“ und der Berufung auf „das Volk“ das populistische Element stärker ausgeprägt als das extremistische, bei der Partei die Linke gilt dies umgekehrt.

Der Verfassungsschutz spricht von offen extremistischen Strukturen innerhalb der Partei Die Linke, die in ihrem Grundsatzprogramm von 2011 einen „Systemwechsel“ fordert. Er nennt die „Kommunistische Plattform“, sie umfasst etwa 1200 Mitglieder und kooperiert eng mit der DKP, die „Sozialistische Linke“, die „Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí“, die „Antikapitalistische Linke“, das „Marxistische Forum“ sowie das trotzkistische Netzwerk „marx 21“. Einzelne Bundestagsabgeordnete gehören diesen Zusammenschlüssen an.

Koalitionen mit AfD und Linke verbieten sich gleichermaßen

Bisher beobachtet der Verfassungsschutz selbst Teile der AfD nicht. Radikale Strömungen wie der Höcke-Flügel (Thüringen) und der Poggenburg-Flügel (Sachsen-Anhalt) unterstützen Pegida. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der Partei in Thüringen, gegen den ein Ausschlussverfahren läuft, sprach in einer Rede im Januar 2017 davon, die Deutschen seien „das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. Ließ Höcke dabei ganz bewusst offen, was mit „Schande“ gemeint ist, so war seine provokante Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ unmissverständlich. Und Vertreter der „Patriotischen Plattform“ mit ihrem Sprecher Hans-Thomas Tillschneider sind mehrfach durch rechtsextreme Positionen aufgefallen.

Koalitionen mit diesen Parteien verbieten sich. Weder altes Konsensdenken noch neue Polarisierung nützt unserer Demokratie. Wer Missstände zur Sprache bringt und sie zu beseitigen sucht, stärkt die Volksparteien. Und wer Toleranz, Offenheit, Fairness und Liberalität fordert, fördert gleichermaßen den Abbau von Konsensdenken und Polarisierung. Dies käme einer Schwächung der AfD wie der Partei Die Linke gleich.

Eckhard Jesse ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz und seit 1989 Herausgeber des Jahrbuches Extremismus & Demokratie.