Christof Bruscher bewirtschaftet die Zipfelsalpe seit 1975. (Bild: AS)
Heimat

Sehnsuchtsort Alpe

Was zeichnet das Leben in den Bergen aus? Familie Brutscher muss es wissen: seit 1975 sind sie auf der Zipfelsalpe daheim. Der BAYERNKURIER hat die Hütte besucht und erfahren, was der Alltag mit Tieren und Touristen bedeutet.

Christiane Höß blickt über die saftig grünen Hänge. In der Ferne sieht sie Rudi. Genüsslich kratzt sich der junge Ochse mit dem Hinterhuf zwischen den Hörnern. Tränen laufen Höß über die Wangen. „Das ist einfach meine Heimat hier“, seufzt sie bei dem Gedanken daran, bald Abschied nehmen zu müssen. Bereits als Säugling krabbelte die 41-Jährige durch den Biergarten vor der Zipfelsalpe. Ihre Eltern, Marga und Christof Brutscher, bewirtschaften seit 1975 von Frühjahr bis Herbst die Alpe in Hinterstein im Allgäu. In diesem Jahr ist es ihr letzter Sommer auf 1526 Höhenmetern. „Ich muss jetzt so vernünftig sein und nach 42 Jahren Platz für die Jugend machen“, sagt Brutscher senior.

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Letzter Sommer auf der Zipfelsalpe im Allgäu

Kuh stürzt ins Abflussrohr

Mit 66 Jahren fällt dem Hirten die körperliche Arbeit zunehmend schwer. Er trägt die Verantwortung für 200 Jungtiere von insgesamt 18 Landwirten aus der Region. Von Mitte Juni bis Ende September grasen sie auf einer Fläche, die etwa so groß ist wie 230 Fußballfelder.

Jeden Abend kontrolliert Brutscher, ob die Tiere vollzählig sind und der auf einer Strecke von insgesamt rund zehn Kilometer gesteckte Weidezaun in Ordnung ist. Junghirte Lukas Kotz unterstützt ihn während der Sommerferien. Der 16-Jährige verbringt bereits den siebten Sommer auf der Alpe. „Für mich ist das einfach das größte Glück, wenn du am Berghang die Tiere siehst und die Schellen hörst“, sagt er. Jedes Rindvieh kann Lukas seinem Besitzer zuordnen. Sein ständiger Begleiter ist ein kleines Büchlein. Darin stehen die Initiale der Landwirte und dahinter Nummern. Diese Nummern trägt das Jungvieh am Ohr. Lukas hakt sie bei seinen abendlichen Kontrollgängen ab.

Tourismus im Allgäu boomt

Marga Brutscher und ihre Tochter Christiane kümmern sich auf der Alpe um die Gäste. „Früher haben wir das locker zu zweit geschafft. Aber inzwischen brauchen wir während der Sommermonate noch zusätzliche zwei Aushilfen“, sagt Brutscher. Auch der 11-jährige Florian – der Älteste der drei Enkel – packt mit an. Jede helfende Hand ist gefragt: An sonnigen Tagen kehren bis zu 300 Wanderer im Biergarten der Alpe ein.

Für den Aufstieg werden sie mit kühlen Getränken, Brotzeit und natürlich frischer Kuhmilch belohnt. „Ein Besuch hier oben ist jedes Jahr Pflicht“, sagen Michael und Doris Stich. Seit 42 Jahren besucht das Paar aus Sonthofen die Familie. Auch die beiden stellen fest, dass mit den Jahren die Terrasse immer voller wurde. Vor allem immer mehr junge Leute und Familien begeistern sich für Ausflüge in der Heimat. Magneten für Bergfreunde sind insbesondere Schwaben und Oberbayern. Schwaben verzeichnete im ersten Halbjahr 2017 9,3 Prozent mehr Gästeankünften als im Vorjahr. Zu den  beliebtesten Orten zählen Oberstdorf, Füssen und Bad Hindelang. Dort übernachteten im Jahr 2016 knapp eine Millionen Gäste. Von dort ist es auch nicht weit zur Zipfelsalpe.

Immer mehr Wildcamper

Brutscher glaubt, dass sich die Sehnsucht nach den Bergen und das Reisen im Inland noch verstärken werden. „Die Unruhen im Ausland tragen dazu bei, dass die Leute lieber Urlaub in der Heimat machen, als beispielsweise in die Türkei zu fliegen“, sagt er.

Auf der Zipfelsalpe gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. „Wenn abends Ruhe einkehrt und ich alleine oder mit meiner Familie beim Abendessen vor der Hütte sitze und wir anschließend vor dem Schlafen noch miteinander quatschen – das ist das Schönste vom ganzen Tag“, sagt Marga Brutscher. „Der Zusammenhalt auf der Alpe ist unglaublich wichtig. Jeder hat hier seine Aufgaben“, sagt Christiane Höß. Um zu lernen, was zum Hirtenleben dazu gehört, hat Christof Brutscher seinen Enkeln zwei Milchkühe geschenkt. Josepha und Lena geben zusammen pro Tag rund 50 Liter Milch. Die landet nicht nur in den Gläsern der Gäste, sondern die Brutschers machen daraus auch Quark und Butter.

Ab auf die Klank-Alpe

Im kommenden Monat heißt es packen. „20 Kisten werden da schon zusammen kommen“, schätzt Brutscher. Nach dem Almabtrieb Ende September hat die Zipfelsalpe noch bis zum ersten November für Gäste geöffnet. Ganz auf Höhenluft verzichten müssen die Brutschers im kommenden Jahr aber nicht. Tochter Christiane Höß übernimmt mit ihrer Familie die Bewirtschaftung der Allgäuer Klank-Alpe. Ihre Eltern wollen ihr dabei unter die Arme greifen. „Auf meiner neuen Hütte möchte ich es eigentlich nicht anders machen als wie hier“, sagt Höß. Mit dieser Perspektive fällt allen der Abschied auch nicht so schwer.

Warum heißt die „Alm“ im Allgäu „Alpe“?

Einem gebürtigen Oberallgäuer tut es in der Seele weh, wenn er im Zusammenhang mit einer Viehweide im Hochgebirge das Wort „Alm“ hört. In der Schweiz und im Allgäu, also im alemannischen Siedlungsraum, heißt dieses Weidegebiet „Alp“. Das Wort hat vermutlich keltischen Ursprung. Die Römer nannten das Gebirge mit solchen Weiden „alpes“, daraus wurde im Mittelalter „alpun oder alpi“ (= mittelhochdeutsch). Im bayrischen und österreichischen Raum hieß es dementsprechend albn, wobei b und n beim Sprechen zu einem „m“ zusammengeschliffen wurden. Daher heißt es dort „Alm“.