Kann es Bayern sich leisten, tausende Tonnen Kartoffeln nach Hessen zu liefern oder bleibt dann zu wenig für die eigene Bevölkerung im Land? Und wem haben die Schüler im Freistaat zu verdanken, dass sie für ihre Bildung an öffentlichen Schulen nichts bezahlen brauchen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen der ersten Nachkriegsjahre geben die Ministerratsprotokolle der Bayerischen Staatskanzlei, die seit Anfang Juli im Internet öffentlich zugänglich sind (www.bayerischer-ministerrat.de).
Die damaligen Ansichten würden Politikern heute teilweise den Kopf kosten.
Karl-Ulrich Gelberg, Geschäftsführer der Historischen Kommission bei der Akademie der Wissenschaften
Die 536 Sitzungsprotokolle von Juni 1945 bis Dezember 1951 dokumentieren den demokratischen Neuanfang in Bayern und zeigen, welche politischen Fragen zur damaligen Zeit im Zentrum der Diskussionen standen. „Der Umgang mit bestimmten Themen erstaunt. Die damaligen Ansichten würden Politikern heute teilweise den Kopf kosten“, sagt Karl-Ulrich Gelberg, Geschäftsführer der Historischen Kommission bei der Akademie der Wissenschaften, die verantwortlich für die Online-Edition ist. Damit bezieht sich Gelberg beispielsweise auf den Stellenwert, den einige Politiker der Aufarbeitung der Kriegsgeschichte einräumten. Dabei belegen die Protokolle viele Fakten, darunter die NS-Belastung von Amtsträgern.
Wie tickten die Minister?
Neun Monate brauchten die Wissenschaftler, um die Texte online zu stellen. Ein aufwendiges Verfahren: Leser können nicht nur die Originale studieren, zu den Protokollen gibt es eine Einleitung, Kommentare, Personen-, Orts- und Sachregister sowie Verweise zu weiterführenden Links. Das vereinfacht etwa Recherchen zur Landesgeschichte. Und Interessierte können einiges über die Charaktere der damaligen Politiker erfahren. So stand beim Großteil der Minister das Interesse ihres eigenen Ressorts im Vordergrund.
Anders bei Hanns Seidel, der von 1947 bis 1954 Wirtschaftsminister und von 1957 bis 1960 Bayerischer Ministerpräsident war. „Hanns Seidel hat sich nicht nur zu Wirtschaftsthemen geäußert, sondern oft zu allgemeinen politischen Fragen Stellung bezogen“, sagt Gelberg. Zurückhaltend in den Debatten waren hingegen die bekannten CSU-Politiker Alois Hundhammer und Josef Müller, auch bekannt als „Ochsensepp“. Dabei galten sie schon damals als gewiefte Strippenzieher.
Die Debatten drehten sich immer wieder darum, wie die knapp zwei Millionen Flüchtlinge in Bayern integriert werden können. Die meisten von ihnen kamen aus dem Sudetenland und Schlesien. „Ihre Integration geschah anfangs nur unter dem Druck der amerikanischen Militärregierung“, sagt Gelberg. Das größte Problem war die Unterbringung: Flüchtlingskommissare sollten helfen. Sie ordneten unter anderem an, welche Familien Zimmer für Flüchtlinge bereitstellen mussten.
80 Pfennig fürs Helle
Aber auch der Wohnungsbau und die Schulpolitik standen schon damals ganz oben auf der Agenda. Im Januar 1946 diskutierten die Minister über die Wiedereinführung der 9. Klasse am Gymnasium, die dann 1951 umgesetzt wurde. Auch über die Maut stritten die Politiker schon im Jahr 1951. Und die Diskussionen über die Höhe des Bierpreises erhitzte immer wieder die Gemüter. So schlug Wirtschaftsminister Hanns Seidel nach einer Senkung der Biersteuer 1950 vor, den „Bierkrieg“ dadurch zu beenden, dass man den Brauern und Gastwirten ein Preisopfer nur bei Vollbier zumute. Spezialbiere hingegen sollten nur um den Betrag der Steuersenkung im Preis ermäßigt werden. Nach seinem Vorschlag würde sich der Ausschank-Preis für Vollbier von bisher einer Deutschen Mark auf 80 Pfennig für Helles und 78 Pfennig für Dunkles ermäßigen. Für diesen Preis bekommt man heutzutage noch nicht einmal eine Brezn.
Woher kommen die Texte?
Textgrundlage der Edition sind die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München aufbewahrten hektographierten Exemplare der Protokolle. Bei dieser Serie, die aktuell bis in das Jahr 1976 reicht, handelt es sich um das Dienstexemplar des Protokollführers des Ministerrats. Schritt für Schritt sollen auch die späteren Protokolle bis zum Beginn der Ära Goppel im Jahr 1962 im Internet veröffentlicht werden. Das hat die Staatsregierung so beschlossen. Die wissenschaftliche Verantwortung für die Edition liegt bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.