Symbol des Berliner Versagens und ewige Baustelle: Der Flughafen BER in Schönefeld. (Bild: Imago/Jürgen Ritter)
Berlin

Tegel soll bleiben

Berlin hat es schwer: Es ist arm, selten sexy, und hat eine Flughafen-Baustelle, die weltweit zur Lachnummer geworden ist. Und dann hat es noch einen anderen Flughafen namens Tegel, der funktioniert und den die Bürger behalten wollen.

Die Zukunft des Berliner Flughafens Tegel ist ungewiss. Nein, Tegel ist nicht die Dauerbaustelle BER, sondern der Berliner Flughafen, der (noch) funktioniert. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat kürzlich vorgeschlagen, Tegel weiter zu betreiben, auch wenn der Flughafen BER in ferner Zukunft doch noch in Betrieb gehen sollte. 1996 wurde vereinbart, Tegel zu schließen, wenn der neue Hauptstadtflughafen in Schönefeld an den Start geht. Der dritte Berliner Flughafen Tempelhof ist schon geschlossen und heute ein Park.

Die Kapazitäten des BER werden mittelfristig für Berlin wohl nicht ausreichend sein.

Alexander Dobrindt, Bundesverkehrsminister

Die Eröffnung des drittgrößten deutschen Flughafens BER ist wegen fast schon legendären Baumängeln seit fast sechs Jahren überfällig, der Kostenrahmen wuchs seit Baubeginn 2006 von 2 auf 6,5 Milliarden Euro. Inzwischen ist auch die geplante Eröffnung 2018 unsicher. Das liegt an teilweise zu dünnen Wasserrohren zu den Sprinklern an den Terminaldecken. „Es kann sein, dass es vor Jahresende, es kann aber auch sein, dass es nach Jahresende fertig gestellt wird“, so Berlins Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Bei den Automatiktüren seien inzwischen mehr als 50 Prozent, insgesamt 800, funktionstüchtig. Die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) meldeten, der BER könne nach ihren Recherchen nicht vor Herbst 2019 ans Netz gehen, womöglich sogar erst 2020.

„Eine Hauptstadt mit zwei Flughäfen ist gut vorstellbar“, sagte Dobrindt jetzt. Solche Doppelstrukturen finden sich etwa in Paris, Rom, London, Istanbul und Stockholm. Der Grund für diesen Vorschlag entsprang nicht dem Wahlkampf, wie einige Kommentatoren meinten, sondern einem der vielen Vorwürfe, die dem BER seit Jahren gemacht werden. „Die Kapazitäten des BER werden mittelfristig für Berlin wohl nicht ausreichend sein“, erklärte Dobrindt wahrheitsgemäß. Er forderte deshalb von der Flughafengesellschaft eine Prüfung zum Weiterbetrieb von Tegel.

Gegenwind für Tegel

Die Länder Berlin und Brandenburg reagierten empört. Denn auf dem Tegeler Gelände plant der rot-rot-grüne Berliner Senat einen Forschungs- und Industriepark sowie Wohnungen. Und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) warnte in der Berliner Morgenpost vor Klagen, wenn Tegel offen bleiben sollte. Um den Flughafen offen zu halten, müsste Berlin laut einem Senats-Gutachten mit Brandenburg den Gemeinsamen Landesentwicklungsplan ändern, etwa wegen der gestiegenen Passagierzahlen. Zudem müssten der Widerruf der Betriebsgenehmigung für Tegel und die Entwidmung als Flughafen zurückgenommen werden.

Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten!

BER-Witz, in Anlehnung an Walter Ulbrichts Mauer-Lüge

Lütke Daldrup warnte: Der Betrieb Tegels parallel zum BER koste jährlich mindestens 100 Millionen Euro zusätzlich, eher sogar einen Betrag „näher an den 200 Millionen als an den 100 Millionen.“ Dieses Geld könne das Unternehmen aber nicht erwirtschaften. Zudem müssten in das alte Terminal, die Rollwege, Startbahnen und Versorgungsleitungen in Tegel 1,1 Milliarden Euro investiert werden. Rund 400 Millionen Euro würden für zusätzlichen Lärmschutz für die Anwohner fällig. Allerdings: Durch die Verzögerung bei der BER-Fertigstellung könnten diese Investitionen in Tegel dennoch erforderlich werden, weil der Flughafen ja bis dahin weiterbetrieben werden muss. Auch die Bundesregierung will nicht vom vereinbarten Zeitplan abweichen und bezeichnete Dobrindts Ansicht als Einzelmeinung. CDU-Fraktionschef Volker Kauder stellte sich jedoch auf Seiten des Verkehrsministers.

Berlins Planer können es einfach nicht

Finanzielle und rechtliche Probleme beim Weiterbetrieb, all das ist korrekt – nur hat auch der CSU-Minister Recht. „Unverantwortlich“, wie Brandenburgs Vize-Ministerpräsident Christian Görke (Linke) Dobrindts Idee nannte, ist sie jedenfalls keinesfalls – im Gegenteil. Weil der neue Flughafen zu klein konzipiert wurde, wie von allen Beteiligten eingeräumt, beschloss der Aufsichtsrat schon vor einiger Zeit, daneben ein einfaches Zusatzterminal hochzuziehen, das vom ersten Halbjahr 2020 an genutzt werden soll. Inzwischen fliegen nämlich mehr Menschen von und nach Berlin. Bis 2040 soll die Passagierzahl von 33 Millionen im vergangenen Jahr auf 55 Millionen steigen.

Noch ist es dem Flughafen nicht gelungen, die Baufirmen auf einen verbindlichen Terminplan zu verpflichten. Lütke Daldrup legte dem Aufsichtsrat deshalb jetzt Eckpunkte eines Masterplans für den weiteren Ausbau des Flughafens vor – zusätzlich zum bereits beschlossenen Zusatzterminal. Er will nach Bedarf in fünf Schritten einfache Ergänzungsbauten an Standorten hochziehen, die bislang für Parkhäuser vorgesehen waren.

Wir müssen uns den aktuellen Realitäten und Wachstumszahlen stellen.

Alexander Dobrindt

Verkehrsminister Dobrindt legte jetzt nach: „Wir müssen uns den aktuellen Realitäten und Wachstumszahlen stellen.“ Die alten Beschlüsse zeigten vor allem auch die damaligen Fehleinschätzungen für das Luftverkehrswachstum in Berlin.

Seine Ansicht teilt laut den Potsdamer Neuesten Nachrichten auch der Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa, der sogar ein komplettes Scheitern des BER für möglich hält. „Tegel offen zu lassen ist kein Lustprogramm, sondern zwingende Notwendigkeit“, so Faulenbach da Costa. Sonst drohe nach dem baulichen Desaster am BER auch noch ein betriebliches Desaster. Der Planer verwies darauf, dass er bereits 2012 in einem Gutachten analysiert hatte, dass der BER die damals offiziell angegebene Kapazität von 27 Millionen Passagieren gar nicht erreichen kann. Stattdessen schaffe der BER nur 22 Millionen Passagiere, was auch die Flughafengesellschaft später eingestand. Faulenbach da Costa kritisierte die Entwürfe, in denen durch mehrere kleine Anbauten das Kapazitätsproblem gelöst werden soll. Man springe mit dieser „Patchworkplanung“ wieder zu kurz, so der Planer in den PNN. Insbesondere würden die Wege für die Passagiere vom Bahnhof zu den Terminals immer länger, teilweise bis zu einem Kilometer. Aus seiner Sicht seien langfristig ohnehin sechs weitere Start- und Landebahnen in der Hauptstadtregion nötig.

Der Volksentscheid

Noch etwas könnte alle Pläne durchkreuzen: Die Berliner stimmen am Tag der Bundestagswahl am 24. September in einem Volksentscheid darüber ab, ob der Senat einen Weiterbetrieb Tegels veranlassen soll. Es ist offen, ob ein positives Votum den Schließungsbeschluss noch kippen kann. Denn Gegenstand des Volksentscheids ist kein Gesetzentwurf, sondern ein wenig verbindlicher Appell. Die Initiatoren des vor allem von der FDP vorangetriebenen Volksbegehrens argumentieren mit den stark gestiegenen Passagierzahlen. Aus ihrer Sicht stellt sich Dobrindt lediglich den Realitäten. Berlins FDP-Fraktionschef und -Generalsekretär Sebastian Czaja forderte angesichts des mit mehr als 200.000 Unterschriften erfolgreichen Volksbegehrens ein Umdenken. „Die Bürger dieser Stadt haben mehr politischen Verstand als ihr Senat“, sagte er. „Eine fortdauernde Blockade der Offenhaltung Tegels durch den Senat wäre ein Irrtum mit fatalen Folgen für die Weltmetropole Berlin.“ Nach einer Mitgliederbefragung (83 Prozent für Tegel) ist auch die Berliner CDU kürzlich ins Pro-Tegel-Lager gewechselt. In der Berliner Bevölkerung dürfte die Zustimmung zum zentral gelegenen Flughafen Tegel nicht viel anders ausfallen.

Die Bürger dieser Stadt haben mehr politischen Verstand als ihr Senat.

Sebastian Czaja, Berlins FDP-Fraktionschef

Welche Fluglinie würde nicht den zentralen Flughafen bevorzugen, fragen jetzt die Tegel-Gegner und sehen das neben der doppelten Lärmbelästigung und der doppelten Risiken des Flugverkehrs (insbesondere im von Häusermeeren umgebenen Tegel) als Argument für die Schließung. Sie verweisen auch auf die großen Entwicklungschancen auf dem Gelände dort. Einige Juristen setzen zudem für den Weiterbetrieb einen neuen Planfeststellungsbeschluss für den alten Flughafen voraus, den es aber angesichts von Sicherheits- und Umweltauflagen kaum geben dürfte.