Der tschechische Vizepermier Pavel Belobradek bei seinem Grußwort auf dem Sudetendeutschne Tag in Augsburg. Rechts Übersetzerin Gudrun Heisig. (Foto: Wolfram Göll)
Sudetendeutsche

Versöhnung in Europas Mitte

Der tschechische Vizepremier Belobradek hat die Sudetendeutschen aufgefordert, gemeinsam mit den Tschechen für eine bessere Entwicklung Europas zu kämpfen. Alle Redner beim Sudetendeutschen Tag forderten die Ächtung aller Vertreibungen weltweit.

Der tschechische Vizepremier Pavel Belobradek hat die Sudetendeutschen und die Bayern dazu aufgerufen, gemeinsam mit den Tschechen Versöhnung und Fortschritt in Europa zu fördern im Sinne einer besseren Entwicklung des Kontinents. „Das Motto Europas muss Einheit in Verschiedenheit lauten, das müssen wir gemeinsam durchsetzen“, sagte der Vorsitzende der Tschechischen Christdemokratischen Volkspartei (KDU-CSL) beim 68. Sudetendeutschen Tag in Augsburg vor rund 5000 Zuhörern.

Klartext gegenüber allen Machthabern

Der 68. Sudetendeutsche Tag stand unter dem Motto „Verständigung suchen, Europas Mitte gestalten“. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) betonte, Europa müsse sein Schicksal wesentlich stärker in die eigenen Hände nehmen – angesichts der Krisen der Welt, wegen Kriegen und Terror, aber auch beispielsweise wegen des verwirrenden Kurses der USA. „Wir als Bayern werden alles tun, damit bestehende Gräben nicht tiefer werden“, erklärte Seehofer. Sprachlosigkeit bringe gar nichts. „Fortschritte für die Menschen erreicht man nur im ausdauernden Dialog mit den Machthabern.“ Er habe immer gegenüber allen Machthabern klar ausgesprochen, was verbinde und was trenne – beispielsweise gegenüber Präsident Putin gefordert, die „schändlichen Militäraktionen in der Ostukraine“ zu beenden.

Die Sudetendeutschen sind Vorzeige-Europäer.

Horst Seehofer, Ministerpräsident und Schirmherr der Sudetendeutschen

Die bayerisch-tschechischen Beziehungen befinden sich laut Seehofer auf einem sehr guten Weg, vor allem wegen des Engagements der Sudetendeutschen. „Die Grenze zwischen Bayern und Tschechien, sie trennt nicht mehr, sie verbindet“, sagte der Ministerpräsident und lobte: „Die Sudetendeutschen sind Vorzeige-Europäer.“

Die Sudetendeutschen hätten unter dem weiß-blauen Himmel eine neue Heimat gefunden, so Seehofer. „Dieses Bayern wäre nicht das, was es ist, ohne seinen vierten Stamm. Sie haben Bayern mit zu der Blüte verholfen, auf die wir heute so stolz sind.“ Grundsätzlich sagte Seehofer, Europa sei ein christlich geprägter Kontinent und müsse das auch bleiben. Das Christentum sei die Grundlage der Aussöhnung.

Kodifiziertes Vertreibungsverbot auf Uno-Ebene

Der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, forderte ein weltweites Vertreibungsverbot. „Das könnten die tschechische und die deutsche Regierung in der Uno voranbringen: Ein kodifiziertes Verbot im Sinne von nie mehr Vertreibung von nationalen oder religiösen Minderheiten“, sagte der langjährige CSU-Europaabgeordnete in seiner Grundsatzrede. Auch sprach Posselt sich für ein umfassendes europäisches Minderheitenrecht aus. „Die nationalen Minderheiten in der EU sind zusammengezählt mehr als die Franzosen in Frankreich“, rechnete Posselt vor. Die Minderheiten könnten ein gefährlicher Unruheherd werden, wenn sie sich ihrer Rechte nicht sicher seien.

Nur wenn man Vertreibung Vertreibung, Verbrechen Verbrechen und Mord Mord nennt – dann wird man den Kopf frei haben, um ehrlich in die Zukunft zu gehen.

Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe

Posselt stellte die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur heraus und betonte, ein Verschweigen vergangener Verbrechen dürfe es nicht geben. „Wir müssen den Schlussstrich-Aposteln eine Absage erteilen“, betonte Posselt. Wer kein historisch-politisches Gedächtnis habe, habe keine Wurzeln, so der Volksgruppensprecher. Daher müssten in tschechischen Geschichtsbüchern nicht nur die Verbrechen der Deutschen, sondern auch die unmenschliche Verteibung der Sudetendeutschen und die Verbrechen der Kommunisten dargestellt werden. „Nur wenn man Vertreibung Vertreibung, Verbrechen Verbrechen und Mord Mord nennt – dann wird man den Kopf frei haben, um ehrlich in die Zukunft zu gehen“, erklärte Posselt.

Tschechischer Vizepremier würdigt Rolle der Sudetendeutschen

Europa müsse stark sein in großen Dingen, aber frei in den kleinen Dingen, sagte der tschechische Vizepremier Belobradek. Intensive Zusammenarbeit müsse die Basis für Versöhnung sein, damit es in ganz Europa nie mehr zu Vertreibungen kommen könne. Als Beispiele nannte der Vizepremier, der gleichzeitig Wissenschaftsminister ist, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit sowie intensive menschliche Kontakte. „Zusammen haben wir mehr Kraft für Innovation. Wir brauchen uns gegenseitig“, betonte er.

Es ist selbstverständlich, dass sich Gäste an die Regeln halten, die im Haus gelten.

Tschechiens Vizepremier Pavel Belobradek (KDU-CSL) mit Blick auf die Flüchtlinge

Zu den christlichen Werten gehöre, Bedürftigen und Schutzsuchenden zu helfen. „Aber es ist auch selbstverständlich, dass sich Gäste an die Regeln halten, die im Haus gelten“, sagte Belobradek unter dem Beifall der Zuhörer. Großen Anteil an der Annäherung zwischen Tschechen, Sudetendeutschen und Deutschen habe Ministerpräsident Seehofer mit seiner ersten Reise nach Prag 2010 und der tschechische Premier Necas mit seiner Rede im bayerischen Landtag 2013, lobte der stellvertretende Regierungschef. Aber auch die Gundsatzänderung der Sudetendeutschen habe eine große Rolle gespielt, lobte Belobradek: Nur durch den formalen Verzicht auf materielle Rückforderungen sei es möglich gewesen, dass der tschechische Kulturminister Daniel Herman 2016 erstmals bei den Sudetendeutschen sprechen konnte.

Historische Versöhnungsgeste im Vorjahr

Im Vorjahr hatte Herman in einer historischen Rede beim Sudetendeutschen Tag in Nürnberg die Vertriebenen demonstrativ als „liebe Landsleute“ angesprochen und um Verzeihung für die Vertreibung gebeten. Der diesjährige Besuch von Vizepremier Belobradek bei den Sudetendeutschen wurde in der tschechischen Presse durchaus diskutiert, aber nicht in der aggressiven Weise attackiert wie der bahnbrechende Besuch von Herman im Vorjahr – vor allem von linken Prager Medien. Dies wurde auf dem Sudetendeutschen Tag allgemein mit Erleichterung wahrgenommen und als Zeichen der Normalisierung gewertet. Das Publikum dankte Herman für sein historisches Zeichen im Vorjahr erneut mit heftigem Applaus.

Die internen Streitigkeiten und Zerwürfnisse der Sudetendeutschen wegen des – von Volksgruppensprecher Posselt durchgesetzten – Kurswechsels hin zur Aussöhnung mit den Tschechen sind augenscheinlich abgeklungen. Eine Minderheit der Sudetendeutschen mochte sich mit dem Versöhnungskurs – vor allem dem Verzicht auf Rückforderung der enteigneten Güter – nicht anfreunden. Wurde Posselt noch 2015 und 2016 von einem kleinen Teil des Publikums ausgebuht, unterblieben heuer jedoch sämtliche Unmutsäußerungen und Protestaktionen. Allerdings sind noch zwei Gerichtsverfahren gegen Posselt anhängig.