Karin Seehofer zu Besuch bei Young Wings. (Bild: Schmidhuber)
Stiftung

Die Trauer weglachen

Die "YoungWings Stiftung" hilft Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben, die Trauer zu bewältigen. Gründerin Münch-Nicolaidis wurde 2016 mit dem bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet, Karin Seehofer unterstützt das Projekt ebenfalls.

„Er saß immer still mit dabei. Hat nie etwas gesagt, immer nur zugehört“, erinnert sich Martina Willer-Schrader. „Dann, am Ende unserer Gruppentreffen, hat er genau einen Satz gesagt: Wenn es euch nicht geben würde, wäre ich nicht mehr hier, ihr habt mir das Leben gerettet.“ Solche berührenden Begegnungen hat Willer-Schrader oft. Gemeinsam mit Martina Münch-Nicolaidis gründete sie die „Nicolaidis YoungWings-Stiftung“. Die Mitarbeiter begleiten trauernde Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zum Alter von 49 Jahren. Mit regelmäßigen Treffen und Ausflügen helfen sie zu lernen, mit Verlust und Schmerzen umzugehen.

Unser Ziel ist es Betroffenen mitzugeben, dass es wieder gut wird. Es wird anders, aber wieder gut.

Martina Münch-Nicolaidis

Aus eigener Betroffenheit gründeten die beiden Martinas 1998 eine Selbsthilfegruppe. Inzwischen ist daraus ein erfolgreiches Netzwerk geworden, das deutschlandweit Beachtung findet. Der Bedarf ist gewaltig. In Deutschland leben etwa 500.000 Menschen unter 50, die ihren Lebenspartner verloren haben. Hinzu kommt etwa eine Million Kinder, die um ein Elternteil, beide Eltern oder eine nahe Bezugsperson trauern.

Bayerns First Lady besucht die Stiftung

2014 wurde aus der Selbsthilfegruppe eine Stiftung. Für die Gründung waren über 100.000 Euro erforderlich, die von zwölf privaten Stiftern aufgebracht wurden. Aber Geld allein reicht nicht, um die Idee am Laufen zu halten. So ist Münch-Nicolaidis ständig unterwegs, Menschen zu treffen, von ihrer Stiftung zu erzählen, neue Ideen zu entwickeln und Förderer für sich zu gewinnen.

An diesem sonnigen Vormittag Ende Mai hat sich hoher Besuch angekündigt: Karin Seehofer trifft das Team. Bayerns First Lady will sich vor Ort einen Eindruck von der Stiftung verschaffen. So steht Martina Münch-Nicolaidis in den Stiftungsräumen vor einem selbstgebastelten Wandbild und ruft abwechselnd Mitarbeiter ihres Teams zu sich nach vorne. Gemeinsam stellen sie ihre Projekte vor.

Karin Seehofer sitzt in der ersten Reihe und lauscht gespannt. Im vergangenen Jahr war sie dabei, als ihr Mann und Ministerpräsident Horst Seehofer der Stiftungsgründerin den Bayerischen Verdienstorden überreichte. Frau Seehofer ist begeistert, was sich seitdem in der Stiftungsarbeit getan hat: Die Bewerbungsphase für das neue Sebastian Bildungsstipendium ist gerade gestartet und die Seite der Online-Beratung wächst kontinuierlich. 4000 Jugendliche sind bereits registriert, pro Jahr kommen rund 500 neue dazu. Zwei Jahre arbeitete das Team am Aufbau der Onlineberatungsstelle. Inzwischen steckt eine 16-köpfige Truppe dahinter – fünf hauptamtlich beschäftigte Teilzeitkräfte und elf ehrenamtliche Mitarbeiter. Jeder von ihnen hat eine pädagogische Ausbildung.

Mit Lebensfreude dem Tod begegnen

„Es ist ja oft so, dass angesichts von Trauer und Tod Hilflosigkeit herrscht“, sagt Karin Seehofer. Sie ist durch ihr eigenes Engagement für ein Palliativzentrum mit dem Thema vertraut. „Für mich ist es schön zu spüren, wie hier mit der Trauer umgegangen, mit wieviel Lebensfreude dem Tod begegnet wird und mit wieviel Herzblut jeder einzelne im Team für diese Trauerbegleitung arbeitet.“

Für Münch-Nicolaidis war es anfangs gar nicht so leicht, an die betroffenen Jugendlichen heranzukommen. „Trauer ist sehr individuell. Dazu gehört, darüber zu sprechen, sich abzulenken, zuzuhören, wie es anderen geht. Und die Kinder ernst zu nehmen“, sagt die gebürtige Münchnerin. Auf der Online-Plattform kann jeder die Beiträge anonym mitlesen.

Diese Möglichkeit nutzen viele, denn es helfe, im Forum zu verfolgen, dass es anderen mit ihrem Schmerz genauso gehe. „Wir bieten den Kindern einen geschützten Rahmen, wo sie sich austauschen können, wenn sie möchten und einander nicht erklären müssen“, sagt Willer-Schrader. Etwa 20 Betroffene schreiben dort täglich miteinander. Einmal in der Woche gibt es einen geführten Chat. Geschützte Online-Einzelberatung per Mail bekommen derzeit 70 Kinder und Jugendliche.

Thomas Müller ist Gesicht der Stiftung

Die Initiatoren der Stiftung tragen das Thema Trauerbegleitung mit allen Kräften in die Öffentlichkeit. Möglich machen dies nicht nur die 67 Menschen, die sich inzwischen für die Stiftung engagieren – 53 von ihnen ehrenamtlich. Münch-Nicolaidis setzt auch auf Multiplikatoren. So tritt seit 2011 Fußballprofi Thomas Müller als Botschafter für „YoungWings“ auf. Was den Kindern besonders viel bedeutet: Müller trifft sich zwei- bis dreimal im Jahr mit ihnen. Sie kicken, reden und spielen miteinander.

YoungWings ist mein Herzensprojekt und die wichtigste Botschaft für die Kids lautet: Ihr seid nicht allein.

FC Bayern-Star Thomas Müller

„Ihr seid nicht allein“ – so lautet für den FC Bayern-Star die wichtigste Botschaft für die Kids. Denn es geht auch darum, gemeinsam schöne Momente zu erleben. Regelmäßig bietet die Stiftung sowohl für verschiedene Kinderaltersgruppen als auch für Erwachsene Termine an – von Kinderclubtreffen und Selbsthilfegruppen bis hin zu Lauftraining, Wanderungen oder einem Treff für verwitwete Männer.

Münch-Nicolaidis nutzt den Besuch von Karin Seehofer auch, um ihr ehrgeiziges Zukunftsprojekt vorzustellen: das „YoungWings Sternenhaus“. In einem eigenen Haus im Münchner Stadtgebiet planen sie Therapien anzubieten und einen Ort zu schaffen, an dem Trauernde zusammenkommen. „Mein Ziel ist es, die Stiftung langfristig auf sichere Beine zu stellen. Denn falls ich mal nicht mehr da bin, soll es ja weiterlaufen“, sagt die Optimistin mit einem Lachen.

„Ihr seid nicht allein“

Der BAYERNKURIER hat Stiftungsgründerin Martina Münch-Nicolaidis getroffen. Sie erzählt, wie aus ihrer anfänglichen Vision die Online-Plattform gewachsen ist. Denn bis zur Gründung der „Nicolaidis YoungWings Stiftung“ 2014 ging es auf und ab. Münch-Nicolaidis dachte oft: Ich packe das nicht mehr. Was sie gerettet hat, lesen Sie hier: Hilfe für trauernde Jugendliche.

Den Beitrag finden Sie auch im Magazin 7/8 2016, mehr zur aktuellen Ausgabe finden Sie hier: Entdecken Sie unser neues Monatsmagazin.