FC-Bayern-Profi Thomas Müller trifft sich regelmäßig mit den Jugendlichen - mal zum Golfen, mal zum Fußballspielen. (Foto: YoungWings)
Stiftung

Hilfe für trauernde Jugendliche

Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Mit ihrer "YoungWings"-Stiftung macht Martina Münch-Nicolaidis trauernden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Mut und zeigt ihnen Wege aus der Krise. FC-Bayern-Star Thomas Müller unterstützt sie dabei.

Vielleicht ist es ihr Optimismus, ihr enges Netzwerk aus vertrauten Freunden und Förderern oder dass sich in ihrem Leben immer wieder irgendwo eine Tür geöffnet hat. Es ist vermutlich der Mix aus allem, der Martina Münch-Nicolaidis dorthin gebracht hat, wo sie heute steht. Mal auf einem Spielfeld gemeinsam mit 20 Kindern und Fußballidol Thomas Müller. Oder in der Münchner Residenz, wo ihr Ministerpräsident Horst Seehofer im Juli 2016 den Bayerischen Verdienstorden überreicht hat. „Das berührt mich wirklich sehr, dass es jetzt so viele Menschen gibt, die meine Idee mittragen“, sagt die Münchnerin. „Über so viele Jahre habe ich oft gehört: ‚Das wird nicht funktionieren, was du da vorhast.‘ Und heute verstehen mich so viele und meine Vision.“

Auf der Suche nach Leidensgenossen

Aus der Vision wurde die „Nicolaidis YoungWings Stiftung“, für die sich inzwischen insgesamt 67 Menschen, 53 von ihnen ehrenamtlich, engagieren. Sie begleiten trauernde Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zum Alter von 49 Jahren. Auch mit regelmäßigen Treffen und Ausflügen helfen sie zu lernen, mit Verlust und Schmerzen umzugehen. „Ihr seid nicht allein“, lautet die Botschaft der Stiftung, die auch FC-Bayern-Star Thomas Müller zu verbreiten hilft. Sie wendet sich an all diejenigen, die jung einen Menschen an ihrer Seite verloren haben und nicht mehr an eine lebenswerte Zukunft glauben.

Auch Münch-Nicolaidis zählte zu den Verzweifelten. Ihr Mann verunglückte, als sie 29 Jahre alt war. Mit ihm plante die Münchnerin gerade, ein Start-up in der Computerbranche aufzubauen. So verlor sie zudem ihre Arbeit. Auch ihre Eltern waren bereits gestorben. Was Münch-Nicolaidis gerettet hat, war ihre damals sechs Wochen alte Tochter, ihre Freunde sowie eine begleitende Therapie. Was ihr fehlte, waren junge Leute, die vergleichbare Schicksale erlebt hatten. „Der Schmerz ist der gleiche, aber die Lebensperspektiven sind in jungen Jahren anders als bei älteren Menschen“, sagt Münch-Nicolaidis. So gründete sie 1998 die erste Selbsthilfegruppe. Zunächst trafen sie sich zu dritt, bald waren es zehn. Nach einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung bekam Münch-Nicolaidis 50 Anrufe. Sie merkte: Ich bin nicht alleine. „Ich wollte nicht mehr zurück in die Computerbranche und es schien mir eine Berufung zu sein, für junge Menschen etwas aufzubauen. Meine Eltern waren Unternehmer und das steckt mir im Blut.“ Der Bedarf ist gewaltig. In Deutschland leben etwa 500.000 Menschen unter 50, die ihren Lebenspartner verloren haben. Hinzu kommt etwa eine Million Kinder, die um ein Elternteil, beide Eltern oder eine nahe Bezugsperson trauern.

Hilfe für die Tsunami-Opfer

Doch bis zur Gründung der „Nicolaidis YoungWings Stiftung“ sollten noch einige Jahre vergehen. Jahre, in denen es auf und ab ging, in denen Münch-Nicolaidis oft gedacht hat: Ich packe das nicht mehr. Sie gründete einen Verein, dann eine gemeinnützige GmbH. 2003 lernte sie ihren jetzigen Mann kennen, 2007 überwand sie eine Krebserkrankung. „Seit diesem Zeitpunkt ging es langsam bergauf“, erinnert sie sich. Den Anstoß zur Gründung einer Onlineberatungsstelle für trauernde Kinder und Jugendliche gab letztendlich die Tsunamikatastrophe 2006.

Trauer ist sehr individuell. Dazu gehört, darüber zu sprechen, sich abzulenken, zuzuhören, wie es anderen geht. Und die Kinder ernst zu nehmen.

Martina Münch-Nicolaidis

Die Bayerische Staatsregierung beauftragte Münch-Nicolaidis damals gemeinsam mit dem Bayerischen Roten Kreuz, die Langzeitbetreuung der Hinterbliebenen zu übernehmen. 180 der tödlich verunglückten Opfer kamen aus Bayern. „Mich hat sehr beschäftigt, wie wir an die betroffenen Jugendlichen herankommen können. Trauer ist sehr individuell. Dazu gehört, darüber zu sprechen, sich abzulenken, zuzuhören, wie es anderen geht. Und die Kinder ernst zu nehmen“, sagt Münch-Nicolaidis. Zwei Jahre arbeitete ihr Team am Aufbau der Onlineberatungsstelle. Inzwischen steckt eine 16-köpfige Truppe dahinter – fünf hauptamtlich beschäftigte Teilzeitkräfte und elf ehrenamtliche Mitarbeiter. Jeder von ihnen hat eine pädagogische Ausbildung.

Online-Beratung für Trauernde

Seit dem Start 2010 ist die Seite kontinuierlich gewachsen. Jeder kann die Beiträge im Internet anonym mitlesen. Diese Möglichkeit nutzen viele, erzählt Münch-Nicolaidis, denn es helfe, im Forum zu verfolgen, dass es anderen mit ihrem Schmerz genauso gehe. 600 Besucher hat die Seite pro Tag, etwa 20 Betroffene tauschen sich dort täglich aus. Einmal in der Woche gibt es einen geführten Chat. Geschützte Online-Einzelberatung per Mail bekommen derzeit 70 Kinder und Jugendliche.

Seit über fünf Jahren engagiere ich mich für YoungWings. Wir haben bereits viel für Tausende von betroffenen Kindern erreicht.

Thomas Müller

Zusätzlich bildet das Team von „YoungWings“ innerhalb eines halben Jahres Onlineberater über ein Mentoring-Programm aus. Einen weiteren Bereich nimmt die Telefonberatung für junge Witwen und Witwer ein. Durchschnittlich ruft hier ein Betroffener täglich an. Großes Glück für die Stiftung ist es, dass Fußballprofi Thomas Müller seit 2011 als Botschafter für „YoungWings“ auftritt. Er war damals auf der Suche nach einem sozialen Projekt für Kinder in Deutschland, das noch nicht so bekannt war. Über den Kontakt seines Managements zu einem langjährigen Unterstützer erfuhr er von der Stiftung. „Seit über fünf Jahren engagiere ich mich für YoungWings. Wir haben bereits viel für Tausende von betroffenen Kindern erreicht“, sagt Müller. „Dies soll für uns ein Ansporn sein, dass wir gemeinsam noch mehr für trauernde Kinder in Deutschland tun können. YoungWings ist mein Herzensprojekt und die wichtigste Botschaft für die Kids lautet: Ihr seid nicht allein, YoungWings ist für euch da, wenn ihr einen geliebten Menschen verloren habt!“

Kicken mit dem Bayern-Profi

Gemeinsam versucht das Team der Stiftung, das Thema Tod und Trauer bei Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Was den Kindern besonders viel bedeutet: Müller trifft sich zwei- bis dreimal im Jahr mit ihnen. Sie kicken, reden und spielen miteinander, wie beispielsweise beim Benefiz-Golfturnier im Juli 2016 in Eichenried. Denn es geht auch darum, gemeinsam schöne Momente zu erleben. Regelmäßig bietet die Stiftung sowohl für verschiedene Kinderaltersgruppen als auch für Erwachsene Termine an – von Kinderclubtreffen und Selbsthilfegruppen bis hin zu Lauftraining, Wanderungen oder einem Treff für verwitwete Männer.

Rührgeschichten lehnt sie ab

Damit es 2014 zur Gründung der Stiftung kommen konnte, brachten zwölf private Stifter 106.000 Euro zusammen. Aber Geld allein reicht nicht, um die Idee am Laufen zu halten. So ist Münch-Nicolaidis ständig unterwegs, Menschen zu treffen, von ihrer Stiftung zu erzählen, neue Ideen zu entwickeln und Förderer für sich zu gewinnen. „Ich lasse halt nicht locker, ich gebe nicht auf. Geht nicht, gibt’s nicht“, sagt sie und das glaubt man ihr. Münch-Nicolaidis ist sich ihrer Vorbildfunktion und Verantwortung bewusst: „Wenn man seinen Werten treu bleibt, trägt das Früchte. Ich habe so viel erlebt, dass mich Erfolg und Geld nicht verändern werden. Ich bin geerdet.“

Ich lasse halt nicht locker, ich gebe nicht auf. Geht nicht, gibt’s nicht.

Martina Münch-Nicolaidis

Oft bekommt sie Anfragen – Geschichten über tragische Schicksale verkaufen sich gut in der Boulevardpresse. Doch außer wenigen Ausnahmen, beispielsweise einen Fernsehbeitrag für einen Kinderkanal, lehnt Münch-Nicolaidis solche PR ab. „Aber über zwei gesponserte Anzeigen in der Bunten oder im Süddeutsche-Magazin freuen wir uns unglaublich und sind sehr dankbar für diese Unterstützung“, sagt sie.

Oase der Geborgenheit

Ihr ehrgeizigstes Zukunftsprojekt ist das „YoungWings Sternenhaus“. Zurzeit arbeiten die Mitarbeiter in vier Büroräumen im Münchner Westen. In einem eigenen Haus könnten sie Therapien anbieten und einen Ort schaffen, an dem Trauernde zusammenkommen. Rund zwanzig private Spender haben bereits 1,6 Millionen Euro gegeben. Was noch fehlt, ist ein Grundstück in München. Die Optimistin glaubt fest daran, dass ihr Plan bald Wirklichkeit wird: „Es gibt eine richtige Zeit für gewisse Dinge. Mein Ziel ist es, die Stiftung langfristig auf sichere Beine zu stellen. Denn falls ich mal nicht mehr da bin, soll es weiterlaufen.“