Manchmal geht es gewalttätig zu, aber auch Erotik und immer wieder Glück sind im Spiel. So wie im Jahr 1964, als die Massenhausener Burschen den Maibaum vom Münchner Viktualienmarkt geklaut haben. „Das war schon eine kuriose Leistung, dass sie das am helllichten Tag geschafft haben“, sagt Josef Rückerl. Der 77-Jährige ist Spezialist in Sachen Maibaum-Gepflogenheiten. Seit Jahrzehnten sammelt er Zeitungsberichte und archiviert die Anekdoten von Zeitzeugen über Dinge, die sich rund um den Maibaum in Bayern zutragen. Denn das Aufstellen eines Maibaums zählt mit zu den beliebtesten Traditionen in Bayern – wie auch der Diebstahl.
Diebstahl erlaubt
Jedes Jahr am ersten Mai stellen die Burschen an zentralen Plätzen in Orten und Gemeinden den geschmückte Baum auf. In jeder Region kann er anders aussehen. Mancherorts wird er mit der Rinde aufgestellt und andernorts geschält. In Oberbayern werden viele Maibäume mit blauen und weißen Spiralen bemalt. Sie sollen den weiß-blauen Himmel darstellen. Die Spitze des Stammes schmückt ein grüner Kranz mit bunten Bändern. Auch Schilder mit Berufsgruppen oder im Ort ansässigen Unternehmen sind üblich.
Nach alter Sitte darf der Baum, der schon mehrere Wochen vor dem Aufstellungstag geschlagen werden muss, von den Burschengemeinschaften der Nachbargemeinden „geklaut“ werden. Dann wird zur Auslöse viel Bier und eine üppige Brotzeit sowie eine gewisse Schamesröte fällig. Welt-Meisterdiebe sind übrigens die Burschen aus Unterbrunn (Landkreis Starnberg), die 2016 ihren 65. Maibaum aus Trudering mitgehen ließen. Für 2017 ist, Stand 28. April, auf der Facebook-Seite der „Könige der Maibaum-Diebe“ noch kein weiterer eroberter Stamm vermeldet.
Maibaum und Bayern, des g´hört einfach z´ammen.
Josef Rückerl, Maibaum-Spezialist
Generell gilt: Legt bis zur Gemeindegrenze ein Dorfbewohner seine Hand auf den Baum und spricht die Worte: „Der Baum bleibt da“, dann ist der Diebstahl gescheitert. Scheitern die Auslöseverhandlungen oder weigern sich die Bestohlenen gar, zu zahlen, wird der Maibaum von den Dieben im eigenen Dorf als „Schandbaum“ für die beklaute Gemeinde aufgestellt, oft mit Spottversen behängt.
Maibaum bereits im Mittelalter
Doch warum hat das Spektakel auch heute noch so eine große Bedeutung? „Maibaum und Bayern, des g´hört einfach z´ammen“, sagt der Geschichtensammler. Ihm gefällt an der Tradition, dass alle im Dorf beisammen sind, die Blaskappelle spielt und die Menschen um den Baum tanzen. Dabei geht die Tradition, einen Maibaum aufzustellen, bis ins Mittelalter zurück. Auf einem Bild des Malers Donauer ist erstmals 1585 ein Figurenmaibaum zu sehen. Ursprünglich dienten sie als Kirchweihbäume oder wurden zu Ehren von Personen oder Berufsgruppen aufgestellt. Aber auch germanische Bräuche könnten dahinter stecken, bei denen der Baum Fruchtbarkeit symbolisierte.
Auf die Größe kommt es an
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Maibaum fester Bestandteil der südbayrischen Gemeinden und Städte. Sie konkurrieren bis heute oft um den größten und schönsten Baum. Höhen über 30 Meter, mancherorts doppelt so hoch, sind keine Seltenheit. Was allerdings auch den Diebstahl des Baumes erschwert.
Trotzdem gelang es dem Ismaninger Burschenverein gemeinsam mit den Burschen aus Neufinsing und Unterföhring heuer, den 35 Meter hohen Baum des Münchner Viktualienmarktes zu stehlen. „Das war wie im Krimi“, sagt Andreas Bachinger, Vizevorsitzender des Ismaninger Burschenvereins. Gemeinsam mit 70 weiteren Helfern brachten sie den Baum aus dem Versteck in Aying bis nach Neufinsing. Ihr Verhandlungsgeschick war allerdings nicht mehr ganz so erfolgreich wie beim Maibaumklau im Jahr 1964. Die damaligen Diebe bekamen unter anderem als Auslöse eine „Maibaumräuberbox“ im Augustiner Bierzelt auf dem Oktoberfest zugesprochen. Noch heute ist der Tisch im Zelt für die Massenhausener Burschen reserviert und entsprechend gekennzeichnet.
Maibaumdiebe erschlagen Wache
Für Josef Rückerl ist der Maibaumklau der Ismaninger Burschen daher weniger spektakulär. Er hat da schon von ganz anderen Dingen gehört. Beispielsweise 2008: da fesselten rund 40 vermummte Diebe die Maibaumwächter in Rosenheim und sperrten sie in einen Wohnwagen ein. Ein Vorfall, für den sich anschließend auch die Staatsanwaltschaft interessierte. Oder 1898: da gab es im Rauristal in den österreichischen Alpen sogar einen Toten, weil die Maibaumdiebe die Wache erschlugen.
Grundsätzlich geht es beim Brauchtum des Maibaumaufstellens und Maibaumklauens aber äußerst gesellig zu. Vor allem der Gemeinschaftssinn ist beim Aufstellung des Baumes wichtig. Ursprünglich dürfen die Burschen keine technischen Hilfsmittel nutzen. Das Aufstellen erfolgt mit jeweils zwei Stangen, sogenannte Schwaibeln, die sie gegen den Baum drücken. Bis der Baum ordentlich steht, kann es auch schon einmal ein paar Stunden dauern. Spätestens nach fünf Jahren müssen sie den Baum aus Sicherheitsgründen austauschen.
Dessous statt Maibaum
Welche zählt denn von den rund 60 notierten Anekdoten zu Rückerls Lieblingsgeschichte? Ach, da sei so viel Unglaubliches passiert, sagt der ehemalige Rechtspfleger aus Oberschleißheim. Schmunzelnd blättert er in der Zweitauflage seiner 136-seitigen Broschüre. Dort hat er seine Erkenntnisse unter dem Titel „Maibäume in Schleißheim und um Schleißheim herum“ 2013 veröffentlicht. Er stößt auf die „Gschicht“ aus dem Jahr 2010 in Haar. Hexen feierten damals die Walpurgisnacht und brachten eine Puppe samt Spitzenunterwäsche zum Maibaum. Am nächsten Morgen waren Baum und Puppe noch da, aber die Dessous fehlten.
Maibaum als Liebesbeweis
Während in Bayern die Dörfer um ihren Maibaum bangen, zieht man im Rheinland in der Mainacht los, um seiner Liebsten „einen Baum zu stellen“. Dabei gilt es, wichtige Dinge zu beachten – denn auf die Größe kommt es eben doch an. Und auch in der Region Köln ist der Baum nicht sicher vor Diebstahl. Mehr dazu lesen Sie hier: Ein Maibaum für die Liebe.