Selbstzerfleischung als Markenkern
Nur eines ist bei der AfD konstant: Der massive interne Streit und die Selbstzerfleischung. Nach Parteigründer Lucke wurde in Köln die Vorsitzende Petry ins Abseits gestellt. Programmatisch ist von dem ursprünglichen Kurs nichts mehr übrig, die AfD richtet sich eindeutig im rechtspopulistischen Eck ein.
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Selbstzerfleischung als Markenkern

Nur eines ist bei der AfD konstant: Der massive interne Streit und die Selbstzerfleischung. Nach Parteigründer Lucke wurde in Köln die Vorsitzende Petry ins Abseits gestellt. Programmatisch ist von dem ursprünglichen Kurs nichts mehr übrig, die AfD richtet sich eindeutig im rechtspopulistischen Eck ein.

Die AfD frisst ihre Vorsitzenden: Die Rechtspopulisten haben auf dem Parteitag in Köln die amtierende Co-Vorsitzende Frauke Petry, das bekannteste Gesicht der Partei, abgewatscht und praktisch entmachtet. Ihr Antrag für einen „realpolitischen“ Kurs mit dem Ziel einer Regierungsbeteiligung ab 2021 wurde nicht einmal zur Diskussion und Abstimmung gestellt – eine selbst für AfD-Verhältnisse beispiellose Niederlage. Außerdem lehnten die Delegierten ihren Antrag, auf Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl zu verzichten, mit klarer Mehrheit ab.

Bereits vor dem Parteitag hatte Petry auf die Spitzenkandidatur ihrer Partei zur Bundestagswahl am 24. September verzichtet. Die meisten Beobachter innerhalb und außerhalb der Partei gehen davon aus, dass damit das Ende von Petry als Parteichefin eingeläutet ist. Einen „kalten Putsch“ nannte die Welt den Umgang der AfD mit Petry. Damit ereilt die Vorsitzende offenbar ein ähnliches Schicksal wie den Gründer und einstigen Vorsitzenden, den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, der allerdings seinerzeit völlig aus der Partei geekelt wurde.

Rechtspopulismus mit etwas Sozialismus

Personell und programmatisch richtet sich die Partei ganz im rechtspopulistischen Eck ein und warnt vor einer angeblichen Gefahr für die Demokratie in Deutschland: „Heimlicher Souverän in Deutschland ist eine kleine, machtvolle politische Oligarchie, die sich in den bestehenden politischen Parteien ausgebildet hat.“ Derartige Rhetorik ist typisch für Populisten.

Der Versuch Petrys, den ,bürgerlichen Korridor‘ der Partei von diesen nationalistischen oder gar völkischen Phantasien freizuhalten, ist so zum Scheitern verurteilt.

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Gleichzeitig ist von dem ursprünglichen wirtschaftsliberalen Ansatz, für den Lucke einst stand, nichts mehr übrig. Vor allem wegen der Konkurrenz durch die Linkspartei, mit der man sich einen Teil des potenziellen Wählerspektrums in Ostdeutschland teilt, liest sich das Kapitel über Wirtschaft und Soziales im Programm nun eher sozialdemokratisch und staatsgläubig als marktwirtschaftlich: Die AfD fordert – ebenso wie die linken Parteien – eine massive Beschränkung der Leiharbeit, eine steuerfinanzierte Rentenversicherung, eine ausschließlich paritätische Kranken- und Pflegeversicherung, den Mindestlohn sowie ein Familiensplitting anstelle des traditionellen Ehegattensplittings.

Einwanderung als Sündenbock

Der früher als Kern allen Übels apostrophierte Euro wurde mittlerweile von der Einwanderung als Sündenbock für beinahe alle Missstände abgelöst. Beobachtern fiel auf, dass das Wort „Freiheit“ im AfD-Wahlprogramm im Zusammenhang mit Wirtschaftsfragen gar nicht mehr vorkommt, sondern nur noch in der Formulierung „Freiheit und Selbstbestimmung der europäischen Nationen“ – also in dem Sinne, die Nation im Gegensatz zur EU zu positionieren. Die FAZ schrieb dazu: „Der Versuch Petrys, den ,bürgerlichen Korridor‘ der Partei von diesen nationalistischen oder gar völkischen Phantasien freizuhalten, ist so zum Scheitern verurteilt.“ Der „bürgerliche Korridor“ werde dadurch in der AfD „immer schmaler“.

Außerdem setzt die AfD auf rigorose Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik, sie will unter anderem eine jährliche Mindestabschiebequote und ist gegen jeglichen Familiennachzug. Kriminelle Migranten sollen ausgebürgert werden. Bekräftigt wird der Anti-Islam-Kurs der Partei mit der Aussage, der Islam „gehört nicht zu Deutschland“. Breiten Raum auf dem Parteitag nahm das Thema Familie ein. Die AfD will den „Trend zur Selbstabschaffung“ der Deutschen stoppen, wofür eine „aktive Bevölkerungspolitik“ nötig sei. Gebraucht würden Maßnahmen zur Erhöhung der Geburtenzahl. Weitere Forderungen des Wahlprogramms sind der Euro-Ausstieg, bundesweite Volksentscheide, die Rücknahme der Energiewende und die Abschaffung des Rundfunkbeitrags.

Spitzenkandidaten mit nationalistischer Rhetorik

Das neue, augenscheinlich ziemlich ungleiche Spitzenkandidaten-Duo Alexander Gauland und Alice Weidel, das mit 68 Prozent eine deutliche Zustimmung erhielt, übte sich in den Vorstellungsreden in ausgesprochen islam- und zuwanderungskritischer sowie nationalkonservativer Rhetorik. Gauland schwor die Partei darauf ein, den „Bevölkerungsaustausch“ zu verhindern, der Deutschland durch die herrschende Einwanderungspolitik ins Verderben stürze. „Beide bauen damit Brücken in den klassischen Nationalismus“, kommentierte die FAZ diese Äußerungen.

Alice Weidel, eine 38 Jahre alte Unternehmensberaterin, reklamiert für sich ein wirtschaftsliberales Profil und grenzt sich gleichzeitig entschieden von der FDP ab: „Ich finde, der Begriff der Liberalität ist absolut ad absurdum geführt worden von der FDP.“ Ob ihre Position mit den sozialdemokratischen Elementen des AfD-Wahlprogramms zusammenpasst, muss sich erst zeigen.

Gleichzeitig forderte Weidel Türken, die für die Erdogan-Verfassungsreform gestimmt hatten, zur Rückkehr in die Heimat ihrer Väter auf. Sie wandte sich auch gegen Krankenversicherung für Asylbewerber, den aus ihrer Sicht „naiven Umgang“ mit islamischen Hasspredigern und warnte vor überzogenen Erwartungen bei der  Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Weidel bekräftigte, sie werde ohne Einschränkungen mit dem Thüringer Bernd Höcke Wahlkampf machen, gegen den immerhin ein Parteiausschlussverfahren wegen Rechtsradikalismus-Vorwürfen läuft. „Ja, natürlich. Je nachdem wie die Entscheidung des Schiedsgerichts ausfällt. So lange sind wir zwei Teile einer Partei“, so Weidel über Höcke.

Handkuss zur Demontage

Ähnlich nationalkonservativ ließ sich der Fraktionschef der AfD in Baden-Württemberg, Co-Parteichef Jörg Meuthen, vernehmen. Er warnte davor, dass Deutschland ohne Änderung der Einwanderungspolitik „mit mathematischer Gewissheit“ zu einem muslimischen Land werde. Nur die AfD könne die freiheitliche Gesellschaft vor den „Deutschland-Abschaffern“ retten. Wie er das Grundgesetzkonform schaffen will, blieb er schuldig. Insgesamt zeigte sich Meuthen „hochzufrieden“ mit dem Verlauf des Parteitags, auf dem „fast Feierstimmung“ geherrscht habe. Die Partei habe nun ein Programm zur Bundestagswahl und ein Spitzenteam, sagte er. Gauland werde eher als der nationalkonservative Vertreter der AfD gesehen, Weidel eher als Vertreterin des wirtschaftsliberalen Flügels.

Trotz der offensichtlichen Kluft der AfD zwischen den Anhängern Gaulands und Meuthens einerseits und den Anhängern Petrys andererseits wollte der gestärkte Teil es nicht auf einen offenen Bruch und eine Abspaltung wie im Fall Lucke ankommen lassen. Meuthen erklärte, er habe nichts von dem Antrag Petrys gehalten, weil dieser die Gefahr der Spaltung in sich getragen habe – ganz so, als ob die Spaltung nicht ohnehin offensichtlich wäre. Und Gauland forderte Petry mit formvollendetem Handkuss dazu auf, sich weiter in der Partei einzubringen, weil die AfD sie im Wahlkampf brauchen werde. Diese lächelte gequält. Ob sie nach ihrer Baby-Pause wieder aktiv in der AfD-Führung und im Wahlkampf einsteigt, gilt eher als fraglich.