Alkohol und Tabak sind nach wie vor die größten "Volksdrogen" in Deutschland. (Bild: Imago/blickwinkel/McPhoto/Foto Begsteiger)
Sucht

Benebelt und abhängig

Experten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen haben über die Lust der Bundesbürger auf Tabak, Medikamente, Alkohol und illegale Drogen berichtet. In Berlin stellten sie das neue "Jahrbuch Sucht 2017" vor, das keinen Anlass zur Beruhigung gibt. Gewarnt wird darin auch vor E-Zigaretten und Glücksspiel.

Menschen in Deutschland haben unverändert große Lust auf Alkohol, greifen aber deutlich seltener zur klassischen Zigarette. Das geht aus dem „Jahrbuch Sucht 2017“ hervor, das die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) am Dienstag in Berlin vorgelegt hat. Darin tragen Autoren jedes Jahr neue Daten über Suchtmittel vom Glimmstängel bis hin zum Glücksspiel zusammen. In diesem Jahr liegen Schwerpunkte auf den Themen Medikamentenabhängigkeit und E-Zigaretten.

Tabak: Der Rauch lichtet sich

Noch rund 920 Fertigzigaretten rauchte jeder Einwohner statistisch gesehen im vergangenen Jahr, rund 100 weniger als noch 2012. Es wurden in Deutschland 75.016 Millionen Zigaretten konsumiert. Im Vergleich zu 81.267 Millionen Stück im Vorjahr entspricht dies einem Rückgang um 7,7 Prozent. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene rauchten demnach deutlich weniger als in den Jahren zuvor. Damit verbunden sind auch immer weniger Menschen durch Passivrauchen in Innenräumen belastet. Wie diese Zahlen zeigen, waren die in den letzten Jahren umgesetzten Maßnahmen der Tabakprävention wie auch diejenigen der Tabakkontrollpolitik durchaus erfolgreich.

Angestiegen ist dagegen der Konsum von Zigarren und Zigarillos auf 3049 Millionen Stück (im Vorjahr 2.956 Millionen Stück; Anstieg um 3,2 Prozent). Außerordentlich stark zugenommen hat der Konsum von Pfeifentabak. Der Anstieg von 1732 Tonnen im Jahr 2015 auf 2521 Tonnen in 2016 entspricht 45,6 Prozent.

Professionell gemachte Tabakwerbung wirkt. Sie prägt das Image des Rauchens und suggeriert Jugendlichen, Rauchen sei eine saubere und harmlose Sache.

Marlene Mortler, Drogenbeauftragte

Im Jahr 2013 starben rund 121.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Hinzu kommen schätzungsweise 3300 Todesfälle durch Passivrauchen. Die durch das Rauchen entstandenen Kosten belaufen sich in Deutschland jährlich auf 79,09 Milliarden Euro, davon sind 25,41 Milliarden Euro direkte Kosten zum Beispiel für die Behandlungen tabakbedingter Krankheiten sowie durch Arzneimittel. Hinzu kommen 53,7 Milliarden Euro indirekte Kosten etwa durch Produktivitätsausfälle.

E-Zigaretten sind laut dem Bericht bislang kaum im Alltag der Menschen angekommen. Zwar bedeutet der vollständige Umstieg von der Tabak- auf die E-Zigarette für Raucher laut DHS in der Tat eine Schadensminderung. Nachgewiesen sei die Wirksamkeit der E-Zigarette als Hilfsmittel zum Rauchstopp jedoch nicht. Darüber hinaus könnten E-Zigaretten ein mögliches Einstiegsprodukt für Jugendliche in das Tabakrauchen sein und in der Öffentlichkeit zu einem positiven Image des Rauchens beitragen. Langfristig seien zudem schwerwiegende Gesundheitsschäden für die Konsumenten und im gleichen Raum befindliche Dritte nicht auszuschließen.

Zigarettenwerbung verbieten

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), fordert erneut ein Verbot der Tabakaußenwerbung noch vor der Bundestagswahl im September.

„Professionell gemachte Tabakwerbung wirkt. Sie prägt das Image des Rauchens und suggeriert Jugendlichen, Rauchen sei eine saubere und harmlose Sache“, sagte Mortler der Deutschen Presse-Agentur. Sie verwies darauf, dass jährlich 120.000 Tabaktote immenses Leid für die Familien bedeuteten. Zudem verursache Rauchen riesige Kosten für Unternehmen und das Gesundheitssystem. „Es kann doch nicht sein, dass wir mit ein paar Millionen Euro im Jahr Aufklärungsarbeit zu den Gefahren des Rauchens in Schulen machen, es aber zulassen, dass die Tabakwirtschaft im gleichen Zeitraum ein Vielfaches dieses Betrags in Außenwerbung investiert, die genau das Gegenteil bezweckt“, sagte die Drogenbeauftragte.

Ein schon im vergangenen Frühjahr vorgelegter Gesetzentwurf gegen die Tabakaußenwerbung konnte noch nicht verabschiedet werden. Die Werbewirtschaft und die Kommunen fürchten um beträchtliche Einnahmen. Das Verbot würde zudem in Kinos Tabakwerbung ebenfalls stark einschränken.

Arzneimittel: Unerwarteter Platz zwei

Platz zwei bei den Abhängigen geht nicht an den Tabak, sondern an Medikamente. 4 bis 5 Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem bestimmte Schlaf- und Beruhigungsmittel. 10 bis 12 Prozent der nicht rezeptpflichtigen Mittel haben ein Missbrauchspotenzial, vor allem Abführmittel, bestimmte Schmerzmittel, abschwellende Nasentropfen und -sprays sowie alkoholhaltige Grippe- und Stärkungssäfte. Die Gesamtzahl der Arzneimittelabhängigen wird auf 1,2 Millionen bis zu 1,9 Millionen geschätzt.

Von diesen unerwünschten Begleiterscheinungen wird viel zu wenig in der Öffentlichkeit berichtet, obwohl davon erhebliche Gefahren ausgehen.

DHS

„Von diesen unerwünschten Begleiterscheinungen wird viel zu wenig in der Öffentlichkeit berichtet, obwohl davon erhebliche Gefahren ausgehen, sowohl für die Abhängigen selber wie auch für Angehörige oder Arbeitskollegen“, kritisiert die DHS. Entzugserscheinungen könnten zu Unkonzentriertheit, Aggression und Unfällen führen, immer weiter steigende Dosierungen zu Schäden der eigenen Gesundheit, zu Gewalt und Beziehungsproblemen.

Alkohol: Hohe Fallzahlen bei Kindern

Keinen Grund zur Entwarnung sehen die Experten bei Bier, Wein, Schnaps und Co. Der Konsum stagniert demnach seit 2013. Auf jeden Bundesbürger kam nach jüngsten verfügbaren Schätzungen im Jahr 2015 knapp ein Putzeimer reinen Alkohols: 9,6 Liter. Auf den gesamten Alkoholkonsum, gemessen in Reinalkohol pro Kopf, entfallen 5,1 Liter auf Bier, 2,3 Liter auf Wein, 1,8 Liter auf Spirituosen und 0,4 Liter auf Schaumwein. Den Verbrauch in Deutschland schätzten die Jahrbuch-Autoren im internationalen Vergleich als „besonders hoch“ ein.

Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken sank im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um 1,02 Prozent auf 135,5 Liter pro Kopf der Bevölkerung.  Wie die Ergebnisse repräsentativer Umfragen und Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, sind insgesamt 3,38 Millionen Erwachsene in Deutschland von einer alkoholbezogenen Störung in den letzten zwölf Monaten betroffen (Missbrauch: 1,61 Millionen; Abhängigkeit: 1,77 Millionen). 74.000 Todesfälle werden jährlich durch Alkoholkonsum oder kombinierten Tabak- und Alkoholkonsum verursacht. Auch die Zahlen der Kinder, die in 2015 aufgrund eines akuten Alkoholmissbrauchs in Krankenhäusern stationär behandelt wurden, ist weiter hoch: 21.907 Patienten zwischen zehn und 19 Jahren, nur 2,2 Prozent unter dem Vorjahr. Im Jahr 2000 waren es nur 9500 Behandlungsfälle – das ist seitdem eine Steigerung von 130,3 Prozent. Eine aktuelle Untersuchung beziffert laut DHS die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums in Deutschland auf rund 40 Milliarden Euro.

Illegale Drogen verbreiten sich

Untersuchungen aus dem Jahr 2015 zeigen laut DHS, dass mehr als jeder vierte Erwachsene (28,2 Prozent) wenigstens einmal im Leben eine illegale Droge konsumiert hat, bei den Jugendlichen ist es jeder Zehnte (10,2 Prozent). Nach wie vor ist Cannabis in allen Altersgruppen die am weitesten verbreitete illegale Droge – 7,3 Prozent der Jugendlichen und 6,1 Prozent der Erwachsenen konsumierten sie in den letzten 12 Monaten. Wie viele Konsumenten es gibt, lässt sich nur grob anhand der beschlagnahmten Drogenmenge und den Fallzahlen schätzen. Deutlich angestiegen sind demnach die Fall- und Sicherstellungszahlen für Ecstasytabletten, psychoaktive Stoffe, Haschisch und für Kokain. Letzteres erreichte 2015 sogar Rekordniveau. Marihuana erreicht weiterhin mit Abstand die höchsten Fallzahlen. Gesunken sind die Zahlen bei kristallinem Methamphetamin (sog. „Crystal“) und Heroin.

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 1226 drogenbedingte Todesfälle polizeilich registriert. Dies entspricht einem deutlichen Anstieg von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Glücksspiel kann süchtig machen

Nach aktueller Studienlage ist 2015 bei 0,42 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung (241.000 Personen) ein problematisches Spielverhalten und bei 0,37 Prozent (215.000 Personen) ein pathologisches Spielverhalten erkennbar. Die ambulante Beratungsnachfrage von süchtigen Spielern hat sich wenig geändert.