600.000 Uniformteile könnten für das Recycling-Projekt zusammenkommen. (Bild: A. Schuchardt)
Nachhaltigkeit

Mit Polizeimütze in die Oper

Aus hunderttausenden Uniformteilen entstehen in den Werkstätten der Barmherzigen Brüder Designerprodukte mit Geschichte. Werkstattleiter Detlev Troll nutzt das Recycling-Projekt auch zum Marketing. Verkauft werden die Stücke ab sofort online.

„Fast wie Weihnachten“, sagt Detlev Troll und zerrt am Reißverschluss der ramponierten olivgrünen Tasche. Erwartungsvoll zieht der Franke das erste Kleidungsstück hervor und faltet es sorgfältig auseinander. „Da ist tatsächlich die Sportwäsche noch mit dabei“, sagt er amüsiert und breitet die ausgewaschene türkisgrüne Jogginghose über den Kleidersäcken aus. „Also die hat bestimmt schon andere Zeiten gesehen, ob wir daraus etwas verwenden können … mal sehn“, sagt Troll und grinst zuversichtlich.

Der Leiter der Benedikt-Menni-Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Gremsdorf (Kreis Erlangen-Höchstadt) hat sich ein ehrgeiziges Recycling-Projekt vorgenommen. Bis Mitte 2018 erhalten rund 27.500 Beamte in Bayern blaue Uniformen. Ihre alten grünen Kleidungsstücke sollen allerdings noch im Einsatz bleiben – in Form von Rucksäcken, Turnbeuteln, Taschen oder Sitzsäcken. Dazu hat das Innenministerium eine Kooperation mit der gemeinnützigen Behindertenhilfe des Ordens der Barmherzigen Brüder gestartet. In ihren vier Werkstätten sortieren, waschen und nähen die Mitarbeiter ausrangierte Hosen, Hemden, Pullover, Jacken und Mützen zu Designerprodukten mit Geschichte.

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Designerprodukte aus Polizeiuniformen

„Jedes Teil hat seine Geschichte“

„Wir stehen vor zwei gewaltigen Herausforderungen: einerseits die Logistik, anderseits die Näharbeiten“, sagt Troll. Seit 25 Jahren arbeitet er für die Werkstatt in Gremsdorf. Seit 2010 ist er als Leiter verantwortlich für insgesamt 250 beschäftigte Mitarbeiter mit Behinderungen. Sie arbeiten in der Wäscherei, Cafeteria, Automobil- und Spielwarenindustrie und stellen eigene Produkte her. Dazu zählen ab sofort auch die wiederverwerteten Uniformen. 600.000 Teile könnten in ganz Bayern zusammenkommen, vermutlich werden es noch mehr. In Gremsdorf landen die ehemaligen Polizeioutfits aus Ober-, Mittel- und Unterfranken. Die aus den restlichen Regierungsbezirken recyceln Mitarbeiter in den Werkstätten an den drei Standorten Algasing, Reichenbach und Straubing. Rund 60 Tonnen Kleidungsstücke sind seit Anfang des Jahres zusammengekommen, ständig kommen neue Lieferungen dazu. Die Abholung an zentralen Polizeistationen übernehmen die Werkstätten. Neulich erreichte Troll zusätzlich ein Paket. Gewaschen, gebügelt und säuberlich gefaltet lag darin die Dienstkleidung eines verstorbenen Polizisten. Die Witwe hoffe, die Kleidung ihres Mannes „komme jetzt in gute Hände“. Troll lächelt gerührt: „Jedes Teil hat seine Geschichte, das macht die Produkte so besonders.“

Weiße Clutch oder olivgrüne Sporttasche?

Die ersten Exemplare entstehen derzeit in der kleinen Näherei, einer ausgebauten Dachstube, auf dem Werkstattgelände in Gremsdorf. Auf dem großen Tisch liegen grasgrüne und olivgrüne Stoffe, ehemalige Polizeihosen, Hemden und Pullover.

Marion Angele schneidet vorsichtig entlang der vorgezeichneten Linien. Mit den Zuschnitten geht’s an die Nähmaschine. Die Beschäftigte ist seit Beginn des Projekts in der Arbeitsgruppe. „So etwas hat man noch nicht gesehen und ich finde es interessant, was wir daraus machen können“, sagt Angele. Ob weiße Clutch mit rosafarbenem Reißverschluss für den Opernbesuch oder Sporttasche mit integrierter Hemdtasche und Schlüsselanhängerband – beide bestehen aus Polizeimützen und anderer Dienstkleidung. Jedes Produkt ist dabei ein Unikat: so ist etwa die eine Tasche an der Seite mit zwei Sternen, die andere mit drei bestickt, abhängig vom Dienstgrad. Auch beschriftete Namenschilder im Innenfutter sind keine Seltenheit. Hoheitszeichen werden jedoch entfernt um vor Missbrauch zu schützen. Auch die Polizei-Reflektorschriftzüge werden nur in Teilen verarbeitet.

Verkauf der Produkte über Online-Shop

16 Produkte hat Designerin Birgit Strasser bisher entworfen. Einige Ideen lassen sich nicht so einfach umsetzen, da haben die Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge eingebracht. Die erste Arbeitsgruppe von rund 15 Mitarbeitern werkelt seit Frühjahr in Gremsdorf an den Kleidungsstücken. Ab sofort können Interessierte sie über den Online-Shop 110-shop.de kaufen. Ein Teil des Erlöses kommt der Bayerischen Polizeistiftung zugute. Die Kosten für die Produktion übernehmen zunächst die Werkstätten. Troll hofft, über das Recycling-Projekt neue Kunden für einen weiteren Exklusivartikel aus der Gremsdorfer Werkstatt zu finden: den Fußballtischkicker. Mit dem größten Exemplar für 40 Mitspieler haben er und seine Mitarbeiter es 2006 bereits ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Unternehmen bestellen bei Troll ihren Kicker nach individuellen Wünschen, beispielsweise mit Fußballspielerinnen oder mit Firmenlogo beschriftet. Vielleicht sei bald auch die ein oder andere Polizeidienststelle unter den Kunden, hofft Troll.