Prof. Dr. Eckhard Jesse. (Foto: Wolfram Göll)
Experte

Union muss wieder konservativer werden

Der renommierte Politikwissenschaftler Eckhard Jesse hat der Union dringend empfohlen, im Bundestagswahlkampf wieder stark profilierte konservative Positionen zu beziehen. Diese seien nötig, um die alten Stammwähler zu binden. Die Union müsse ihre ganze Bandreite als Volkspartei nutzen.

Der renommierte Politikwissenschaftler und Parteienforscher Eckhard Jesse hat an die Unionsparteien appelliert, im Bundestagswahlkampf das konservative und marktwirtschaftliche Profil zu schärfen. „Es ist dringend notwendig, dass die Union wieder eine stärker profilierte Position einnimmt“, sagte Jesse bei einer Expertentagung der Hanns-Seidel-Stiftung vor 50 geladenen Gästen aus Politikwissenschaft, Medien und Verfassungsschutz.

In der Flüchtlingspolitik hat die Bundesregierung einen grundlegenden Wandel vollzogen. Allerdings weigert sich Angela Merkel, dies öffentlich einzuräumen.

Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler

Insbesondere solle die Union klar machen, wie stark die Bundesregierung ihre Asyl- und Flüchtlingspolitik seit 2015 bereits verschärft habe, sagte Jesse – unter anderem mit den Asylpaketen I und II sowie mit den soeben beschlossenen schärferen Abschiebungsregeln. „In der Flüchtlingspolitik hat die Bundesregierung einen grundlegenden Wandel vollzogen“, analysiert der Politikwissenschaftler. Kanzlerin Merkel weigere sich aber, dies öffentlich einzuräumen oder gar in den Mittelpunkt ihrer Aussagen zu stellen. Auch die AfD verschweige das bewusst.

Stärke als Volkspartei

Im Bundestagswahlkampf würden – so die Prognose Jesses – die Themen Flüchtlingspolitik, Innere Sicherheit, Außenpolitik und Europa eine zentrale Rolle spielen. Hier habe die Union im Grunde die besseren Karten im Vergleich zur SPD, die traditionell stärker auf soziale Umverteilung und Gerechtigkeit setze. Die Union als große Partei müsse auch nicht unbedingt vorher Koalitionsaussagen machen, da hätten die kleineren Parteien größere Probleme. Für die Union genüge wohl die Aussage: Wir wollen wieder stärkste Partei werden. Sie solle lediglich Koalitionen mit AfD und Linken ausschließen.

Die Union braucht Geißler und Bosbach. Der liberale, der christlich-soziale, der konservative Flügel, das gehört zusammen.

Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler

Im Wahlkampf müsse die Union wieder ihre ganze Bandbreite als Volkspartei ausspielen, so Jesse: „Die Union braucht Geißler und Bosbach. Der liberale, der christlich-soziale, der konservative Flügel, das gehört zusammen.“ Die CDU habe unter der Führung von Kanzlerin Merkel eine gefährliche „Repräsentationslücke“ im nationalen und konservativen Spektrum offengelassen, in das nun die AfD gestoßen sei. Jesse sagte, die AfD sei ganz wesentlich auch eine Anti-Merkel-Partei, vor allem eine Anti-Grünen-Partei – weniger eine Anti-Links-Partei.

Wer bestimmte Fakten wegen Angst vor Beifall von der falschen Seite unterdrückt, handelt verantwortungslos.

Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler

Jesse kritisierte den Umgang mit bestimmten Themen wie beispielsweise der Ausländerkriminalität in den Medien: „Wer bestimmte Fakten wegen Angst vor Beifall von der falschen Seite unterdrückt, handelt verantwortungslos. Die Tabuisierung von Missständen, die in der Öffentlichkeit ja bekannt sind, gibt jenen Auftrieb, die gegen die Demokratie agitieren und den Medien die Glaubwürdigkeit absprechen.“

Rot-Rot-Grün ist ein realistisches Szenario

Bei der SPD erkennt Jesse unter dem Spitzenkandidaten Martin Schulz einen Wandel zurück zu stärker profilierten linken Positionen, um die früheren Stammwähler zurückzugewinnen. Das werde der Linkspartei, den Grünen, aber auch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. Die SPD habe seit Januar explosionsartig höhere Umfragewerte, großteils auf Kosten der drei genannten Parteien.

Dennoch könne es nach der Bundestagswahl durchaus zu Rot-Rot-Grün kommen, warnte Jesse die Union. Union und SPD lägen derzeit nahezu Kopf an Kopf, zitierte Jesse die jüngsten Umfragen von acht verschiedenen Instituten. SPD, Linke und Grüne hätten Rot-Rot-Grün bereits ausdrücklich zugestimmt und ein Ende der „Ausschließeritis“ erklärt.

Populisten brandmarken politische Gegner als Populisten.

Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler

Jesse formulierte seine Verärgerung über die inflationäre Verwendung des Populismus-Begriffs: „Populismus ist ein diffuser Kampfbegriff, ein politischer Stil, der auf den Gegensatz von Volk und Elite anspielt. Damit ist Populismus nicht Extremismus light, wie es in der Öffentlichkeit häufig verstanden wird.“ So nennen bereits manche Vertreter von Linkspartei, Grünen und SPD die CSU und Parteichef Seehofer populistisch: „Populisten brandmarken politische Gegner als Populisten“, so Jesse.

AfD und Linkspartei am Scheideweg

Der Chemnitzer Politikwissenschaftler Tom Thieme analysierte auf der HSS-Tagung, die AfD stehe aus extremismustheoretischer Sicht „am Scheideweg“. Die „Lucke-AfD“ sei nicht die „Höcke-AfD“. Der Thüringer AfD-Landessvorsitzende Höcke sei mit seinen Aussagen persönlich als Extremist einzustufen, andere führende Leute der AfD aber nicht.

Gysi ist nicht so harmlos wie er tut. Verfolgen Sie nur einmal, welche rechtlichen Schritte denen drohen, die behaupten, er sei IM gewesen.

Tom Thieme, Politikwissenschaftler

Gleichzeitig sagte Thieme, die Programmtexte der AfD seien nicht unbedingt ausschlaggebend für ihre tatsächliche Ausrichtung. „Ich wundere mich, dass so viele Kollegen jetzt die Programme der AfD analysieren, als ob sie eine klassiche Programmpartei wäre. Das trifft es doch gar nicht. Das Bild der AfD wird doch viel stärker durch Interviews, Auftritte, Sprüche, Posts und so weiter bestimmt.“

Auf der anderen Seite des Spektrums stehe die Linkspartei ebenso am Scheideweg. Allgemein gelte Gysi als gemäßigter Vertreter und Wagenknecht als extreme linke Variante, so Thieme. „Aber Gysi ist nicht so harmlos wie er tut. Verfolgen Sie nur einmal, welche rechtlichen Schritte denen drohen, die behaupten, er sei IM gewesen.“ Gleichzeitig habe Wagenknecht etwa in der Flüchtlingspolitik Positionen bezogen, die zu ihrerer früheren Tätigkeit in der Kommunistischen Plattform klar im Widerspruch stünden.