Die Mär von der Online-Manipulation
Fake News liest kaum jemand. Bots schicken sich ihre Propaganda gegenseitig. Unentschlossene wählen meist so, wie sie immer gewählt haben. Trotzdem kommt es auf die letzten 48 Stunden an, erklärt ein Wahlforscher bei der Hanns-Seidel-Stiftung.
Wahlkampf

Die Mär von der Online-Manipulation

Fake News liest kaum jemand. Bots schicken sich ihre Propaganda gegenseitig. Unentschlossene wählen meist so, wie sie immer gewählt haben. Trotzdem kommt es auf die letzten 48 Stunden an, erklärt ein Wahlforscher bei der Hanns-Seidel-Stiftung.

Eine gute Nachricht für Wahlkämpfer: Fake News und sogenannte Bots gibt es zwar – aber sie bewirken nichts. Dass sie Wahlen entscheiden könnten, ist purer Mythos.

Das ist die Botschaft von Andreas Jungherr, in Konstanz Professor für Datensammlung und –analyse. „Die letzten 48 Stunden entscheiden? Der Mythos vom Datenwahlkampf heute“ war das Thema seines topaktuellen Vortrags vor kleiner Runde der Hanns-Seidel-Stiftung. Die Ängste vor dem Digitalmedien-Wahlkampf, der angeblich die Demokratie gefährdet, seien überflüssig, so Jungherr. Alle Zeitungskrimis darüber stünden auf sehr dünner Faktenlage.

Fake News …

Das wird gerne als gesichert angenommen: Falschmeldungen, sogenannte Fake News, werden gezielt eingesetzt, um ganze Wählergruppen zu beeinflussen. Und die in ihrer Medien-Blase gefangenen Wähler seien dann dem Lügen-Bobardement hilflos ausgesetzt und würden sofort Meinung und Wahlentscheidung ändern.

Als Beleg für die These gelten dann Fake News-Geschichten, die angeblich viele Klicks haben und viel geteilt wurden. Und niemals fehlt der Hinweis auf den Ausgang des Brexit-Referendums in Großbritannien oder der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA.

… werden kaum gelesen

Tatsächlich aber werden Fake News-Geschichten außerhalb der USA kaum gelesen, meint Jungherr. Selbst in Amerika läsen sie eigentlich nur die ohnehin längst Überzeugten. Wer Fake News teilt und weiterverbreitet, will damit seine politische Gruppenzugehörigkeit vorführen. Es geht ihm nicht um Information und Manipulation, sondern um öffentliche Darstellung.

Weil Journalisten so fest an die große Wirkung ihrer eigenen Artikel glauben.

Andreas Jungherr

Dazu kommt, dass Leser von Fake News eben auch andere Informationen lesen und auch die Massenmedien nutzen. Sogar in den USA. Fake News werden also, wenn überhaupt, immer nur im großen Zusammenhang mit anderen Informationen wahrgenommen.

Trotzdem kann man vor allem Journalisten richtiger Medien den festen Glauben an die unheimliche Wirkung von Fake News nur schwer ausreden. Jungherr ahnt, warum: „Weil Journalisten so fest an die große Wirkung ihrer eigenen Artikel glauben.“

Bots twittern für Bots

Auch die sogenannten Bots – Computerprogramme, die unaufhörlich Nachrichten und Tweets versenden und beantworten – gibt es natürlich. Mit ihrer Aktivität sollen sie im Internet falsche Mehrheitsverhältnisse vorspiegeln und so angeblich die öffentliche Meinung manipulieren. Angeblich, denn es gelingt ihnen nicht, meint Jungherr. Bots kommunizierten vor allem mit anderen Bots. Sie richteten sich an Politiker und Journalisten. Sogenannte #-Trends – Themen, die bei Twitter urplötzlich massenhaft kommentiert werden – „lesen überwiegend Journalisten, auf der Suche nach einer schnellen Story über Wahltrends“.

#-Trends lesen überwiegend Journalisten, auf der Suche nach einer schnellen Story über Wahltrends.

Andreas Jungherr

Die normale Öffentlichkeit bekommt von der Bot-Aktivität praktisch nichts mit. „Belege über tatsächlichen Einfluss von Bots auf Wahlentscheidungen fehlen bis heute“, sagt der Digitalkommunikationsexperte aus Konstanz. Was die Politik nicht daran hindere, den Bot-Mythos zu nutzen, um stärkere Regulierung des Internets zu fordern. Jungherr: „Es gibt da eine politische Agenda.“

Manipulation mit Daten

Bleibt die dritte Angst vor Manipulation per Internet: Im Netz gesammelte Daten machten es möglich, „verwundbare“ Wählergruppen zu identifizieren und dann per gezielter Ansprache zu beeinflussen.

Auch ein Mythos, beruhigt Jungherr. Solche Opfergruppen zu indentifizieren, sei viel schwerer als gedacht. „Mehr als Forschungsergebnisse, die zeigen, dass das theoretisch möglich ist, gibt es bislang nicht.“ In der Endphase eines Wahlkampfes sei solche Manipulation besonders schwer.

Umfragen haben gezeigt, dass die Brexit- oder Trump-Wähler ihre Wahlentscheidung nicht bereuen.

Andreas Jungherr

Umfragen nach der Brexit-Abstimmung oder nach der Trump-Wahl hätten gezeigt, dass die Wähler ihre Wahlentscheidungen nicht bereuten. Im Gegenteil: Wenn überhaupt, dann hätten sich ihre politischen Positionen verfestigt. Es gehe also um tiefsitzende Überzeugungen. Jungherr: „Was immer man von diesen Positionen hält, das sind keine Positionen, die man leicht in die eine oder andere Richtung verschieben kann.“

Beobachten, nicht twittern

Sind Internet und Daten also unwichtig für den Wahlkampf? Das auch wieder nicht. Aber einen „Online-Wahlkampf“, der alles entscheidet, gebe es nicht, sagt Martin Fuchs, der von Hamburg aus Politiker, Parteien und Regierungen über digitale Kommunikation berät.

Ein Kandidat muss immer wissen, wer, was, wo und wie über ihn berichtet.

Martin Fuchs, Politikberater

„Es gibt nur einen Wahlkampf, und der Wahlkampf im Internet gehört dazu.“ Kandidaten und Parteien könnten ihn nutzen, um gezielt Unterstützer und Aktivisten zu mobilisieren – ganz besonders in den letzten 48 Stunden vor der Öffnung der Wahllokale.

Wichtigste Aufgabe von Online-Teams sei es nicht, massenhaft Tweets und Botschaften rauszuhauen, sagt Fuchs. Sie müssten vor allem die Medienlandschaft beobachten. „Ein Kandidat muss immer wissen, wer, was, wo und wie über ihn berichtet.“ Und dann darauf reagieren. Ganz besonders in den letzten 48 Stunden.

Unentschlossene gibt es gar nicht

Und was ist nun mit den schrecklichen Wechselwählern und jenen 30, 40 oder gar 50 Prozent der Wähler, die angeblich noch am Abend vor der Wahl nicht sicher sind, wie sie wählen sollen oder wollen? Auch ein Mythos, meint Fuchs.

Den Unentschlossenen muss man nur einen Schubs geben.

Martin Fuchs

Der Politikberater verweist auf Studien und Umfragen. Die zeigten, dass die angeblich Unentschlossenen am Schluss in aller Regel wieder genauso gewählt haben wie vor acht oder zwölf Jahren: „Die affektive Parteienbindung war am Schluss doch stärker.” Fuchs‘ Rat: „Den Unentschlossenen muss man nur einen Schubs geben.“ In den letzten 48 Stunden – in den sozialen Medien und in der Fußgängerzone.