So dreist wie der türkische Präsident Recep Erdogan hat kaum je ein Reisender potentielle Gastgeber angeredet: „Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn Ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen.“ Für einen Hausherrn mit Selbstachtung kann es nur eine Antwort geben: „Nein, Du bleibst draußen. Du bist nicht willkommen!“ Erdogan kann kein Recht auf Einreise haben, schon gar nicht, wenn er mit der Absicht kommt, Türken in Deutschland gegen die Demokratie aufzuhetzen. Die Bundesregierung muss klar machen, dass sie sich als Hausherr versteht, der sich nicht nötigen lässt.
Keiner von Euch kann uns daran hindern. Wir können überall hingehen, wo wir wollen, unsere Bürger treffen, unsere Treffen abhalten.
Mevlüt Cavusoglu, türkischer Außenminister
So wie Erdogan reden auch seine Minister. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben“, sagt etwa sein Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci. Außenminister Mevlüt Cavusoglu, der auch in Deutschland auftreten will: „Keiner von Euch kann uns daran hindern. Wir können überall hingehen, wo wir wollen, unsere Bürger treffen, unsere Treffen abhalten.“ Am morgigen Dienstag will Cavusoglu in Hamburg eine Wahlkampfveranstaltung absolvieren. Die Hamburger Polizei beurteilt die Lage noch, heißt es.
Auftritt nicht erwünscht
Die zuständigen Stellen in der Hansestadt – oder in Berlin – sollten sich an der Haltung der kleinen Niederlande orientieren: Den Haag will einen für den 11. März vorgesehenen Cavusoglu-Auftritt in Rotterdam verhindern. Cavusoglus Werbung für eine Verfassungsreform, die „die Türkei in die falsche Richtung“ dränge, sei in den Niederlanden nicht erwünscht, sagt Ministerpräsident Mark Rutte.
Vorausgegangen war die Absage dreier türkischer Ministerauftritte im baden-württembergischen Gaggenau, in Köln-Frechen und in Köln-Porz. Die kleinen und mittelgroßen Städte waren sicherheitstechnisch schlicht überrumpelt und überfordert. Was Präsident Erdogan mit antideutschen Wutausbrüchen quittierte. „Deutschland, Du hast in keinster Weise ein Verhältnis zur Demokratie, und Du solltest wissen, dass Deine derzeitigen Handlungen nichts anderes sind als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde“, so Erdogan in Istanbul. „Ihr erteilt uns Lektionen in Demokratie, aber ihr lasst unsere Minister keine Reden halten.“ Der Diktator weiter: „Wir werden über Deutschlands Verhalten auf der internationalen Bühne sprechen, und wir werden es vor den Augen der Welt beschämen. Wir wollen die Nazi-Welt nicht mehr sehen. Nicht ihre faschistischen Taten. Wir dachten, dass diese Ära vorbei wäre, aber offenbar ist sie es nicht.“ Die für die Absagen verantwortlichen Deutschen Behördenleiter, so Erdogan zum Schluss, müssten wegen „Beihilfe zum Terror vor Gericht kommen“.
Erdogan braucht die 1,4 Millionen türkischen Wähler in Deutschland.
Erdogans absurder Wutausbruch hat einen Grund: Sein Verfassungsreferendum, das ihm unumschränkte Macht sichern und die Türkei in vordemokratische Zeit zurückführen soll, steht auf der Kippe. Es könnte knapp scheitern. Erdogan braucht deshalb die 1,4 Millionen türkischen Wähler in Deutschland. Er weiß, dass er sich auf sie verlassen kann: Bei der letzten türkischen Parlamentswahl haben 59, 7 Prozent dieser Wähler für Erdogans islamistische AKP gestimmt – viel mehr als in der Türkei. Denn insgesamt erhielt die AKP nur 49,5 Prozent der Stimmen. Darum ist er wild entschlossen, in Deutschland Wahlkampf zu führen und die hiesigen Türken an die Wahlurnen zu treiben. Und dazu ist ihm buchstäblich jedes Mittel recht – auch die Nazi-Keule.
Türkei entfernt sich von europäischen Werten
Umso größer ist die Verantwortung der Deutschen – und der Europäer –, die antidemokratische Verfassungsänderung nicht auch noch zu unterstützen. „Wir wollen nicht, dass für das undemokratische und damit illegitime Referendum in der Türkei auf deutschem Boden Werbung gemacht wird“, sagt denn auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt. „Ich lehne türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden entschieden ab“, betont Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.
Wir sollten die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur vorübergehend aussetzen, sondern beenden.
Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ)
Auch in anderen Ländern der EU wächst der Widerstand: Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) plädiert für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker. Denn die Einführung des von Erdogan avisierten Präsidialsystems, so Kern, „würde den Rechtsstaat in der Türkei noch weiter schwächen, die Gewaltenteilung einschränken und den Werten der Europäischen Union widersprechen“. Er wirft Ankara vor, die „Menschenrechte und demokratischen Grundrechte mit Füßen“ zu treten und verlangt Konsequenzen. „Wir sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur vorübergehend aussetzen, sondern beenden.“ Kern weiter: „Wir können nicht weiter mit einem Land über eine Mitgliedschaft verhandeln, das sich seit Jahren Schritt für Schritt von demokratischen Standards und rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt.“ Auch die Beitrittshilfsgelder von 4,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 sollten umgehend gestrichen oder als Druckmittel für politische Reformen verwendet werden.
Deutschlands Ansehen steht auf dem Spiel
Es geht aber nicht nur um die Türkei. Es geht auch um Deutschland. Denn Erdogan will den hemmungslosen und hasserfüllten Wahlkampf, den er gerade in der Türkei führen lässt, nach Deutschland tragen. AKP-Kritiker sollen zum Schweigen gebracht werden – in Deutschland wie in der Türkei. Und es hat schon begonnen, angefangen von Ditib-Spitzel-Imamen bis hinein in die Schulen. Und als jetzt die tz Münchner Türken zu Erdogans Entgleisungen befragen wollte, äußerten sich viele nur unter der Voraussetzung der Anonymität, weil sie sonst verfolgt werden könnten.
Das darf es nicht geben, fordert der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht tolerieren dürfen, dass die schwerwiegenden innertürkischen Konflikte nach Deutschland exportiert werden.“
Die Bundesregierung lässt sich von Ankara zu viel gefallen, sagen 81 Prozent der Deutschen.
Genauso sieht das auch die deutsche Bevölkerung: Die Bundesregierung lasse sich von der türkischen Regierung zu viel gefallen, sagen einer aktuellen Bild-Umfrage zufolge 81 Prozent der Bundesbürger. Was bedeutet: Das Ansehen der Bundesregierung bei den Deutschen steht auf dem Spiel – ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Es wäre daher ein erstes wichtiges Zeichen, türkische Wahlkampfauftritte zu untersagen.