Schreckgespenst der Investoren? Deutschland ist bei ausländischen Unternehmen noch immer sehr beliebt. Die von der SPD vorangetriebenen Arbeitsmarktreformen haben dazu aber sicher nicht beigetragen. (Bild: Imago/Metodi Popow)
SPD

Rückkehr zum kranken Mann Europas

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat das Konzept für ein längeres Arbeitslosengeld, das sie für Kanzlerkandidat Martin Schulz erarbeitet hat, im SPD-Vorstand vorgestellt. Die Kritik daran bleibt: Dies würde zu Frühverrentungen, Fehlanreizen, höherer Arbeitslosigkeit und großen Kosten führen. Zudem gebe es heute ganz andere Herausforderungen.

Der SPD-Vorstand hat die Pläne einstimmig gebilligt. Ein längeres Arbeitslosengeld wird dabei laut Nahles nur ein Teil der Vorschläge im Bereich Arbeit und Soziales sein. Arbeitslose sollen bis zu 48 Monate Arbeitslosengeld I (ALG I) bekommen, aber nur, wenn sie sich weiterqualifizieren. Frühverrentungen würden dadurch nicht erzeugt, im Gegenteil sollten auch 60-Jährige in den Jobmarkt vermittelt werden. „Wir brauchen Menschen, die auch in der Mitte ihres Erwerbslebens aufbrechen, sich auch noch einmal einlassen auf neue Jobs.“ Ein Problem dabei: Die meisten Qualifizierungen dauern nur einige Monate. Die Gesamtkosten für die Pläne bezifferte die Ministerin auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Schulz hatte vor zwei Wochen Korrekturen an der Agenda 2010 angekündigt. Nahles als Leiterin einer SPD-Arbeitsgruppe arbeitete die konkreten Vorschläge aus.

Bisher sind es maximal 24 Monate, die man ALG I erhält. Die BA soll zudem, so der SPD-Wunsch, zur Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung ausgebaut werden, Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung bekommen. Nach drei Monaten Arbeitslosigkeit soll die BA Betroffenen ein Qualifizierungsangebot machen, dass die Vermittlungschancen „nachhaltig erhöht“.

SPD-Wahlprogramm am 25. Juni

Am 25. Juni will die SPD außerdem ihr Wahlprogramm auf einem Sonderparteitag in Dortmund auf den Weg bringen, wie Generalsekretärin Katarina Barley ankündigte. Ursprünglich sollte der Parteitag bereits im Mai stattfinden. Der Ende Januar nominierte Kanzlerkandidat Schulz bat um mehr Zeit, damit das SPD-Angebot an die Wähler stärker auf ihn zugeschrieben werden kann. Bereits am 19. März soll Schulz in Berlin zum SPD-Vorsitzenden gewählt werden.

Kritik an Schulz

Kritik dagegen gab es aus der Union und von den Arbeitgebern, die bereits nach Schulz ersten Ankündigungen vor neuen Frühverrentungen gewarnt hatten. Tatsächlich hatten bis zur 2005 gestarteten Hartz-IV-Reform viele Ältere die bis dahin geltende Bezugsdauer von bis zu 32 Monaten als Möglichkeit eines vorgezogenen Ruhestandes genutzt. Und Unternehmen entledigten sich so auch auf Kosten der Sozialkasse älterer Beschäftigter. Erst das kürzere ALG I und Hartz IV erhöhte den Druck auf Erwerbslose, auch unerwünschte Jobs anzunehmen.

Nach dem Motto ‚Zurück in die Zukunft‘ will die SPD Deutschland offenbar wieder zum kranken Mann Europas machen.

Gerda Hasselfeldt

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt warf nun der SPD vor, sich in Vergangenheitsbewältigung zu üben. Seit Jahren haderten Teile der SPD mit der Agenda 2010 ihres damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. „Das könnte für die deutsche Wirtschaft und die Arbeitnehmer zur Gefahr werden“, sagte Hasselfeldt der Passauer Neuen Presse. „Nach dem Motto ‚Zurück in die Zukunft‘ will die SPD Deutschland offenbar wieder zum kranken Mann Europas machen.“ Zur Schulz‘ Rolle rückwärts meinte der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Stephan Stracke: „Mit seiner Forderung will Martin Schulz zurück in die Vergangenheit. Das Abstellen von älteren Menschen, die Arbeit suchen, in jahrelange Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist in der Vergangenheit gescheitert. Sein Vorschlag ist damit alter Wein in neuen Schläuchen.“ Das zeige, so Stracke weiter: „Wenn Herr Schulz konkret wird, geht ihm die Luft aus.“

Unter dem Strich schadet der Vorschlag aber den Betroffenen, weil er Fehlanreize setzt und damit den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verzögert.

Stephan Stracke

Gute Umfrageergebnisse zeugten noch nicht von sozialpolitischer Kompetenz. „Vier Jahre Arbeitslosengeld mag populär klingen. Unter dem Strich schadet der Vorschlag aber den Betroffenen, weil er Fehlanreize setzt und damit den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verzögert. Arbeitslosigkeit wird zementiert, Beschäftigung verhindert.“ CSU-Sozialexperte Stracke gab außerdem zu bedenken, dass der Arbeitsmarkt derzeit aufnahmefähig „wie ein Schwamm“ sei. Bei der Bundesagentur für Arbeit gebe es 675.000 offene Stellen und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt auch für Ältere seien aktuell so gut wie nie. „Wer dies nicht versteht oder ignoriert, begreift entweder die sozialpolitischen Zusammenhänge nicht oder streut den Menschen bewusst Sand in die Augen. In beiden Fällen kein Beweis für Kompetenz, um Verantwortung für unser Land zu erhalten“, so Stracke.

Es ist immer wieder dasselbe mit der SPD: es werden scheinbare Wohltaten versprochen, aber das dicke Ende folgt über kurz oder lang.

Hans Michelbach

Die Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union und stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans Michelbach, hat die SPD-Pläne zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes 1 als „völlig realitätsfern“ kritisiert. „Die Vorstellungen des Herrn Schulz bedeuten die Einführung der Frührente mit 58 durch die Hintertür. Das ist weder finanzierbar noch verhilft es älteren Arbeitslosen zu einem neuen Arbeitsplatz.Michelbach hielt der SPD zudem vor, sie bleibe wie immer einen realistischen Finanzierungsvorschlag schuldig. „Offensichtlich sollen die Vorsorgerücklagen der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung verfrühstückt und anschließend müssen die Beitragssätze angehoben werden. Das ist Diebstahl an den Beitragszahlungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und bedeutet weniger Netto vom Brutto für die Arbeitnehmer. Es ist immer wieder dasselbe mit der SPD: es werden scheinbare Wohltaten versprochen, aber das dicke Ende folgt über kurz oder lang. So beginnt Wahlbetrug.“

Zukunft geht anders

Auch Bayerns Arbeits- und Sozialministerin Emilia Müller lehnte die Pläne als kontraproduktiv ab. Schon jetzt könnten sich Arbeitslose weiterqualifizieren. „Aber wichtig ist, dass Arbeitssuchende möglichst schnell einen neuen Job finden und nicht auf der Strecke bleiben. Denn eines ist klar: je länger ein Arbeitssuchender vom Arbeitsmarkt entfernt ist, desto schwieriger wird der Wiedereinstieg. Eine solche Politik werden wir sicher nicht unterstützen.“

Sogar der Agenda 2010-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) beharrt auf seiner Agenda 2010. „Die Agenda ist ein Grund dafür, dass Deutschland wirtschaftlich in einem sehr, sehr guten Zustand ist – und man muss aufpassen, dass das so bleibt“, betonte er in der ZDF-Doku „Mensch Schröder“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) warf Schulz in der Welt am Sonntag Miesmacherei vor. In Wahrheit gehe es heute um die Verteidigung der deutschen Spitzenstellung in Technik und Produktion. „Das ist die zentrale Herausforderung für unser Land, nicht die Länge des Arbeitslosengelds I.“