Macht sich stark für die europäische Sozialunion - auf Kosten der deutschen Beitragszahler: Hans-Ulrich Pfaffmann, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. (Bild: imago/Lindenthaler München)
Europapolitik

SPD-Plädoyer für eine europäische Sozialunion

Kommentar Im neunfachen Antragspaket der Bayern-SPD für eine europäische Sozialpolitik steht alles drin, was gut und schön klingt. Problem: Es läuft auf eine europäische Sozialunion hinaus – und auf die Ausplünderung der deutschen Beitragszahler. Wie es besser geht, zeigt ein Blick auf Polens wirtschaftlichen Aufstieg: Kluge Wirtschaftspolitik ist die beste Sozialpolitik.

Kluge Wirtschaftspolitik, die zu Wachstum führt, ist die beste Sozialpolitik. Man muss nicht Volkswirtschaft studiert haben, um das zu verstehen. Bayerns Sozialdemokraten wollen es trotzdem noch immer nicht begreifen. Nichts anderes bedeutet der Aufwand, mit dem sie gleich ein neunfaches Antragspaket für ein „Soziales Europa“ durch den Bayerischen Landtag prügeln wollen: Die Staatsregierung soll sich in Berlin für die „Schaffung eines sozialen Europas“ stark machen. „Nach Jahrzehnten der Wirtschaftsförderung und Bankenrettung“ soll nun „sozialer Fortschritt in Europa denselben Stellenwert erhalten wie wirtschaftlicher Fortschritt“, fordert die SPD-Landtagsfraktion auf neun Antragsseiten  – und führt unfreiwillig vor, dass sie nicht versteht, wie wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt zusammenhängen. Die Landtagsdrucker müssen geglüht haben. Aber mehr heiße Luft war selten.

SPD-Antragspaket: realitätsferne Sozialpolitik für Europa

Im März 2016 hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker denkbar vage Vorstellungen über eine „Europäischen Säule sozialer Rechte“ vorgelegt. Es geht darin um „Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang“, „Faire Arbeitsbedingungen“ und „angemessenen und nachhaltigen Sozialschutz“. Problem: Arbeitsrecht und Sozialpolitik sind nicht Sache Brüssels, sondern der Mitgliedsstaaten.

Macht nichts, meint die Bayern-SPD. Nach ihren Vorstellungen soll sich die Staatsregierung in Berlin und Brüssel für eine „verbindliche Richtlinie sozialer Mindeststandards in Europa“ einsetzen, für eine große EU-Verordnung zum Arbeitnehmerschutz mit ebenso verbindlichen Festlegungen, für eine „europaweit koordinierte Mindestlohnpolitik“, für die Verbesserung der „Sozialsysteme der EU-Mitgliedsländer auf hohem Niveau“, für ein „großzügiges europäisches Sonderinvestitionsprogramm für soziale Zwecke“, für eine verbindliche „EU-Richtlinie mit strengen und gerechten Steuerregelungen“ und schließlich für den europaweiten Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit.

Was wäre wohl aus den Polen geworden, wenn die 1990, statt schmerzhaft zu reformieren, als erstes den Mindestlohn auf, sagen wir, heutige sechs Euro verzigfacht hätten?

Im SPD-Antragspaket ist alles drin, was gut und schön klingt, aber trotzdem sinnlos ist, wenn nicht schädlich. Es ist schon richtig, dass „soziale Disparitäten und Wohlstandsunterschiede“ zwischen den Mitgliedsstaaten noch immer zu innereuropäischer Armutsmigration führen. Was dann in manchen westlichen EU-Ländern politische Probleme nach sich zieht – siehe Brexit. Richtig ist auch, dass etwa in Bulgarien der Mindestlohn umgerechnet 1,24 Euro beträgt und in Luxemburg 11,12 Euro. Nur, wenn nun die Bulgaren ihren Mindestlohn einfach so verdrei- oder vervierfachen würden, bliebe der Abstand zum Luxemburger Standard immer noch groß genug für die sofortige Armutsmigration – ganz abgesehen von der viel zu sachlichen und absolut unsozialdemokratischen Frage, ob die Bulgaren sich das leisten könnten. Und was wäre wohl aus den Polen geworden, wenn die 1990, statt schmerzhaft zu reformieren, als erstes den Mindestlohn auf, sagen wir, heutige sechs Euro verzigfacht hätten?

Auch bei der sozialen Absicherung klaffen in EU-Europa große Unterschiede. Dem europäischen Statistik-Amt Eurostat zufolge gaben die Luxemburger im Jahr 2014 etwa 18.500 Euro pro Kopf für Sozialversicherung aus, die Rumänen nur 1042. Polen dürfte inzwischen immerhin die 2000 Euro überschritten haben. Ob Polens rasanter wirtschaftlicher Aufstieg womöglich mit sozialpolitischem Verzicht zusammenhängt? Noch so eine absolut unsozialdemokratische Frage, die die Bayern-SPD gar nicht erst stellt.

SPD-Plädoyer für die Sozialunion

Auch ein anderer schlichter Hinweis taucht im sozialdemokratischen Antragspaket nicht auf: Die Sozialstaaten in Europa sind sehr unterschiedlich konstruiert – steuerfinanziert mit hoher Umverteilungskomponente in Skandinavien, beitragsfinanziert in Deutschland oder Österreich. Auch über den britischen Nationalen Gesundheitsdienst darf man nachdenken, der zwar kostenlos ist, aber halt nicht funktioniert. Oder über Frankreich, das unter den Kosten seines Sozialstaats zusammenzubrechen droht. Wer unter diesen so unterschiedlichen Bedingungen einer Harmonisierung europäischer Sozialstandards das Wort redet, gar einer europäischen Sozialunion, der will den deutschen Beitragszahlern auch noch die Kosten für den rumänischen Sozialstaat aufbürden. Denn so viel ist klar: Auch die schleichende Sozialunion führt direkt in die Transferunion. Vor allem die deutschen Arbeitnehmer werden sie bezahlen – mit ihren Sozialbeiträgen. Sozial  in Rumänien, aber unsozial im eigenen Land – ist das die neue sozialdemokratische Devise?

Auch die schleichende Sozialunion führt direkt in die Transferunion. Und die deutschen Arbeitnehmer werden sie bezahlen.

Wenn die bayerischen Sozialdemokraten schon nicht rechnen wollen oder können und von Europa schlicht nichts verstehen, dann sollten sie wenigstens ab und zu auf ihre Vorgesetzten in Berlin hören. Erst vor wenigen Wochen ist ihr damaliger Vorsitzender Sigmar Gabriel das Thema Armutsmigration in Europa ganz anders angegangen. Der Berliner Sozialdemokrat hat vernünftigerweise vorgeschlagen, ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland für im Heimatland lebende Kinder nur Kindergeld in der dort üblichen Höhe auszuzahlen. Brüssel hat natürlich sofort contra gegeben. Die Bundesagentur wird darum weiter in Milliardenhöhe Luxus-Kindergelder an osteuropäische Arbeitnehmer zahlen – und immer mehr von ihnen anziehen. Weil Schlepper solche Einwanderung in die Sozialsysteme organisieren, sollen im letzten halben Jahr die Kindergeldforderungen an Deutschland dramatisch gestiegen sein.

Beschäftigungstherapie für die Opposition?

Im Grunde ist beim Kindergeld die Sozialunion also schon da – und verleitet zu Betrug und Ausbeutung. So etwas schafft Unmut bis hin zu massenhafter Ablehnung der EU, die die Bayern-SPD so beklagt und gegen die sie zu Felde ziehen will. Leider mit untauglichen Mitteln: In einer Zeit, in der die meisten Bürger nicht mehr EU wollen, sondern eher weniger, in der Mitgliedsstaaten Kompetenzen aus Brüssel in die nationalen Hauptstädte zurück zu verlagern suchen, wollen Bayerns Sozialdemokraten der Kommission in Brüssel am liebsten die gesamte Sozialpolitik überantworten.

Sozial in Rumänien, aber unsozial im eigenen Land.

Die Rolling Stones müssen seinerzeit die Bayern-SPD gemeint haben, als sie sangen: „Baby, baby, you’re out of time …“ In der Tat: Europapolitisch mehr „out of touch“ war selten eine Partei. Doch vielleicht ist das alles nur verzweifelte Beschäftigungstherapie für eine Oppositionspartei, die im bestregierten Bundesland halt völlig funktionslos ist. So gesehen wäre dann der sinnlose Vorstoß der Bayern-SPD in ihr völlig unbekannte Europa-Politik fast ein gutes Zeichen.

Polen ist der Beweis

Wer wissen will, wie es um die soziale Gerechtigkeit in Europa steht, der sollte einmal auf Polen schauen – und auf dessen wirtschaftliche Entwicklung seit der großen europäischen Wende 1990: Im Wiedervereinigungsjahr betrug Polens Bruttoinlandsprodukt (BIP) 64,7 Milliarden Dollar oder 1700 Dollar pro Kopf der Bevölkerung. Bis 2014 hatte sich Polens BIP etwa verneunfacht und betrug nun 545 Milliarden Dollar oder 13.600 Dollar pro Kopf.

Der polnische Wohlstand hat sich verachtfacht.

Was in Polen passiert ist, zeigt sich vor allem im Vergleich mit der Ukraine, die 1990 mit einem BIP von 81 Milliarden Dollar noch etwas reicher da stand als der polnische Nachbar. Doch gut 20 Jahre später, im Jahr 2013, lag die Ukraine mit ihrem BIP von nur 177 Milliarden Dollar weit abgeschlagen zurück. Während sich für die Polen der im BIP pro Kopf zu messende Wohlstand verachtfacht hatte, mussten sich die Ukrainer im gleichen Zeitraum mit einer Verdreifachung von 1249 auf 3900 Dollar pro Kopf zufrieden geben. Die Ukraine ist ein armes Land geblieben. 2012, während der in beiden Ländern – Polen und Ukraine – ausgetragenen Fußball-EM, ist das den Ukrainern schmerzhaft klar geworden, als sie als Fans in Polen oder an den Bildschirmen zuhause die Unterschiede im Lebensstandard sehen konnten. Was dann die Hauptursache wurde für Protest und Revolution in Kiew ab Ende 2013.

Kluge Wirtschaftspolitik ist die beste Sozialpolitik

Zu verdanken haben die Polen die tolle wirtschaftliche Entwicklung so mutiger wie entschlossener marktwirtschaftlicher Reformpolitik ab 1990 – und der großzügigen Erweiterungspolitik der Europäischen Union vor und nach der großen Erweiterungsrunde von 2004. Beides zusammen war die allerbeste Sozialpolitik, die sich ein Volk nur wünschen könnte. Denn nichts könnte sozialer sein als die Verachtfachung des durchschnittlichen Wohlstands jedes einzelnen Polen. Alle anderen sozialpolitischen Indikatoren werden zwangsläufig mitgezogen. Zusammenfassend sichtbar wird das in einer weiteren Zahl – der Lebenserwartung: Die ist in Polen seit 1990 von 67,6 auf heute 76,8 Jahre gestiegen.