Bayerns erfolgreiches Landarzt-Programm: Im Januar 2015 vergab Gesundheitsministerin Melanie Huml (2.v.r.) den 100. Landarzt-Förderbescheid. (Bild: StMGP)
Wohnortnah

Ärzte für das Land gewinnen

Interview Warum brauchen wir eine Landarztquote beim Medizinstudium? Wie gut wird die Förderung des Freistaats für Ärzte im Ländlichen Raum angenommen? Warum gibt es heute in Deutschland sehr viel weniger Medizin-Studienplätze als vor 20 Jahren? Der BAYERNKURIER im Gespräch mit Gesundheitsministerin Huml.

BAYERNKURIER: Frau Ministerin, Sie selber sagten kürzlich, dass es in Deutschland heute 2000 Studienplätze für Humanmedizin weniger gebe als im Jahr 1990. Wie kann denn das sein nach Jahrzehnten Numerus clausus und offenkundigem Studienplatzmangel im Fach Medizin?

Ministerin Melanie Huml: Sie sprechen hier ein ganz entscheidendes Thema an. Wenn wir künftig eine gute medizinische Versorgung haben wollen, brauchen wir gut ausgebildete Nachwuchsmediziner – und für die muss es ausreichend Studienplätze geben. Bayern geht hier mit gutem Beispiel voran: Mit der neuen Medizinischen Fakultät an der Universität Augsburg schaffen wir 250 zusätzliche Studienplätze.

BAYERNKURIER: In Bayern studierte Ärzte – bleiben die uns oder wandern viele in andere Bundesländer ab? Oder ist es umgekehrt, und Bayern ist bei den Ärzten sozusagen Nettogewinner?

Huml: Hierzu liegen mir leider keinerlei Daten vor. Wer in Bayern studiert, aber nie hier ärztlich tätig wurde, ist auch nicht bei der Bayerischen Landesärztekammer gemeldet.

BAYERNKURIER: Warum brauchen wir eine Landarztquote beim Medizin-Studium?

Huml: Mein Ziel ist, dass sich die Menschen auch in Zukunft an ihren Hausarzt vor Ort wenden können. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft brauchen wir eine gute und wohnortnahe Versorgung mit Hausärzten. Deshalb ist es wichtig, mehr Medizinstudierende für die Arbeit im ländlichen Raum zu gewinnen. Ein geeignetes Instrument dafür ist die Landarztquote.

Nach meiner Ansicht sollten bis zu fünf Prozent aller Medizinstudienplätze in Bayern künftig für Studierende vorgehalten werden, die sich verpflichten, später als Hausarzt in Regionen zu arbeiten, die bereits unterversorgt sind oder von Unterversorgung bedroht sind. Die genaue Ausgestaltung der geplanten Landarztquote wird noch vom bayerischen Gesundheitsministerium und dem Wissenschaftsministerium gemeinsam abgestimmt.

BAYERNKURIER: Der Bayerische Ärztetag und der Deutsche Ärztetag sind dagegen, weil die wenigsten Bewerber vor dem Studium einschätzen könnten, welche ärztliche Fachrichtung sie einmal einschlagen wollen. Was halten Sie von dem Einwand?

Huml: Ich teile die Einschätzung, dass sich viele Studierende erst während ihres Medizinstudiums auf eine Fachrichtung festlegen. Es gibt aber auch Studierende, die bereits am Anfang ihres Studiums genau wissen, dass sie einmal Hausarzt werden wollen. Diese Gruppe wollen wir mit dem Angebot der Landarztquote gezielt ansprechen. Für alle, die sich nicht festlegen können oder wollen, stehen natürlich weiterhin reguläre Studienplätze zur Verfügung.

BAYERNKURIER: In der Presse heißt es, dass Ärzte, die mit Landarztquote studieren und es sich nach dem Studium anders überlegen, sechsstellige Ausgleichszahlungen leisten müssten. Ließe sich das rechtfertigen – auch juristisch?

Huml: Ja natürlich. Dies ist eine Frage der Gerechtigkeit. Denn aufgrund seiner Verpflichtung im Rahmen der Landarztquote erhält der Bewerber überhaupt einen Studienplatz – oder jedenfalls früher, als dies sonst der Fall wäre.

BAYERNKURIER: Die Bundeswehr verlangt solche Ausgleichzsahlungen, wenn ihnen ein Stabsarzt abspringt. Aber die hat dann auch das ganze Studium bezahlt.

Huml: Die Ausbildung von Medizinern kostet auch den Staat etwa 200.000 Euro pro Student und Ausbildung; Studiengebühren werden in Deutschland keine erhoben. Da die in Rede stehenden Studierenden ihren Studienplatz nur unter der Prämisse erhalten, dass sie später als Landärzte tätig sind, ist es durchaus gerechtfertigt, wenn andernfalls zumindest ein Teil dieser Kosten zurückgezahlt wird.

BAYERNKURIER: Dürfte jemand, der über die Landarztquote in Bayern einen Studienplatz erhalten hat, während des Studiums in ein anderes Bundesland wechseln?

Huml: Selbstverständlich kann der Studierende auch während seines Studiums die Universität wechseln. Dies setzt bei Medizinstudierenden aber meist voraus, dass man einen anderen Medizinstudierenden zum Tauschen des Studienorts findet.

BAYERNKURIER: … und später auch in einem anderen Bundesland als Landarzt arbeiten − oder nur in Bayern?

Huml: Die betreffenden Ärztinnen und Ärzte müssen in einem Planungsbereich in Bayern tätig werden, für den der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Unterversorgung oder zumindest drohende Unterversorgung festgestellt hat.

BAYERNKURIER: Wenn im nächsten Sommersemester jemand mit Landarztquote sein Studium aufnimmt, dann steht er oder sie kaum vor 2027 als fertiger Landarzt zur Verfügung. Reicht das, um dem Ärztemangel auf dem Land zu begegnen?

Huml: Die Landarztquote ist ein wichtiger Teil eines ganzen Maßnahmenbündels. Aktuell haben wir in Bayern eine gute ärztliche Versorgung. Aber: Die Ärzte sind zum Teil ungleich über das Land verteilt − und die demografische Entwicklung wird uns in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen stellen. Zum einen deshalb, weil die Ärzte selbst älter werden, zum anderen, weil eine älter werdende Bevölkerung mehr Ärzte benötigt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir junge Ärzte für eine Tätigkeit im ländlichen Raum gewinnen.

Hier setzen wir nicht nur auf die Landarztquote, sondern haben bereits zahlreiche weitere Maßnahmen ergriffen, damit die gute ärztliche Versorgung auch auf dem Land weiterhin erhalten bleibt. So ist es uns wichtig, dass junge Ärzte bereits während ihrer Ausbildung den ländlichen Raum kennenlernen und sich dann möglicherweise auch eher für eine Niederlassung dort entscheiden. Deshalb erhalten Medizinstudenten in Bayern ein Stipendium in Höhe von monatlich 300 Euro, wenn sie bereit sind, ihre Facharztweiterbildung im ländlichen Raum zu absolvieren und anschließend für mindestens fünf Jahre auf dem Land tätig zu sein.

Unser Förderprogramm trägt außerdem dazu bei, junge Ärzte sowohl in die Kliniken als auch in die Praxen auf dem Land zu bringen. Ergänzend dazu haben verschiedene Krankenhäuser in ländlichen Regionen eigene Stipendienprogramme aufgelegt, um Medizinstudenten anzuwerben.

Bayernkurier: Gibt es weitere Aspekte neben der Finanzierung des Studiums, mit denen man Ärzte anwerben will?

Huml: Die junge Ärztegeneration legt großen Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch möchte die junge Ärztegeneration sich weniger um die wirtschaftliche Führung einer Praxis kümmern, sondern sich auf die Patientinnen und Patienten konzentrieren können. Nicht zuletzt deshalb werden wir unsere Fördersäule „Innovative medizinische Versorgungs-Konzepte“ weiterentwickeln. Hier möchte ich gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker in den Blickpunkt rücken.

BAYERNKURIER: Wie gut wird die Förderung des Freistaats für Ärzte im Ländlichen Raum angenommen?

Huml: Unsere Förderung für Niederlassungen und Filialbildungen von Ärzten und Psychotherapeuten im ländlichen Raum wird sehr gut angenommen. Ursprünglich war diese Unterstützung nur für Hausärzte vorgesehen. Ab Dezember 2015 wurde sie auf alle Arztgruppen der allgemeinen fachärztlichen Versorgung ausgeweitet. Das bayerische Förderprogramm bietet eine Anschubfinanzierung von bis zu 60.000 Euro für Hausärzte und Fachärzte, die wohnortnah benötigt werden, wie etwa Kinder- und Frauenärzte sowie Kinder- und Jugendpsychiater, die sich in Gemeinden mit nicht mehr als 20.000 Einwohnern niederlassen. Für Kinder- und Jugendpsychiater liegt die Grenze bei 40.000 Einwohnern. Vertragspsychotherapeuten können bis zu 20.000 Euro erhalten. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass es sich um nicht überversorgte Regionen handelt. Mitte Dezember habe ich bereits die 300. Niederlassungsförderung überreichen können – davon sind 249 Hausärzte. Das ist für unser Förderprogramm ein voller Erfolg!

BAYERNKURIER: Gibt es da Unterschiede nach Regierungsbezirken?

Huml: Natürlich gibt es Unterschiede, die auch der Größe und strukturellen Beschaffenheit der Regierungsbezirke geschuldet ist. Bei den Hausarztniederlassungen zum Beispiel liegt die Bandbreite zwischen 42 in Schwaben und je 25 in Ober- beziehungsweise Unterfranken (Anm. d. Red.: Stand 30.11.2016).

BAYERNKURIER: Wird ein Arzt, der über Landarztquote seinen Studienplatz erhalten hat, die Förderung auch in Anspruch nehmen können?

Huml: Ja, natürlich.…

BAYERNKURIER: Im Ärzteblatt hat im vergangenen Juli ein Online-Kommentator folgendes geschrieben: „Sollen sich Ärzte an Orten niederlassen, an denen kein Bäcker, kein Fleischer, kein Lebensmittelhändler mehr existiert? Warum muss der Hausarzt um die Ecke praktizieren, wenn für jeden Behördenstempel oder gar Bleistifteinkauf das nächste Mittelzentrum angefahren werden muss? Auch Ärzte haben Partner und Kinder, die vernünftig aufwachsen sollen und keine stundenlangen Schul- und Arbeitswege brauchen können.“ Was sagen Sie dem Schreiber, der nach seinem Doktortitel offenbar ein ärztlicher Kollege von Ihnen ist?

Huml: Eine wohnortnahe ärztliche Versorgung im Krankheitsfall wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als essentiell empfunden – deutlich mehr, als möglichst nahe gelegene Behörden oder Einkaufsmöglichkeiten, insbesondere, wenn es nicht um Dinge des täglichen Bedarfs geht. Daher ist es gerade vor dem Hintergrund gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern besonders wichtig, einen möglichst wohnortnahen Zugang zu Ärzten überall im Freistaat zu erhalten. Ein Arzt muss dabei auch nicht mehr unbedingt am Ort seiner Praxis wohnen. Diese früher geltende, sogenannte Residenzpflicht wurde mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz zum 1. Januar 2012 gezielt abgeschafft, um es Ärzten zu erleichtern, Familie und Beruf „unter einen Hut“ zu bekommen und sich leichter für eine Tätigkeit auf dem Land entscheiden zu können. Damit ist es für einen Arzt möglich, an einem Ort zu wohnen, der beispielsweise für den Partner arbeitsplatzgünstiger liegt, als der Ort der Arztpraxis oder an dem es mehr oder andere soziale und kulturelle Angebote gibt.

 

Das Interview führte Heinrich Maetzke.