Gründungspartei der Grünen 1980 in Karlsruhe: Kämpfer für viele Minderheiten - auch für Pädophile. (Foto: Imago/Friedrich Stark)
Aufarbeitung

Die Grünen und die Pädophilie

Die Grünen versuchen, ihre eigene Vergangenheit im Bereich des Kindesmissbrauchs zu bewältigen. In ihrem gerade veröffentlichten Abschlussbericht übernehmen sie eine "Mitverantwortung", weil pädophile Aktivisten ihre Partei in der Gründungsphase unterwanderten und erheblichen Einfluss gewannen. Drei Missbrauchsopfer wurden von den Grünen mit Geld-Zahlungen entschädigt.

Der grüne Veteran kennt das Prozedere schon aus der Auseinandersetzung mit den braunen Vorvätern. „Die Leute meinen, dass die 68er so hart mit allen waren, dass man sie dasselbe spüren lassen sollte. Genauso, wie die 68er hart waren mit den Taten der Eltern und wie sie sagten ‚einmal Nazi, immer Nazi‘, so heißt es jetzt: einmal Pädo, immer Pädo“, analysiert Daniel Cohn-Bendit im „Zeitzeugengespräch“. Abgedruckt hat es die AG Aufarbeitung der Grünen in ihrem Abschlussbericht zu den pädosexuellen Verirrungen während ihrer Gründungsphase. Ganz falsch liegt der Ex-Europaparlamentarier nicht: Wer von anderen unerbittlich Rechenschaft einfordert, sollte sie nötigenfalls auch selbst ablegen.

Die in den Anfangsjahren der grünen Partei geführte Debatte über die Straffreiheit pädosexueller Handlungen ist ein bedrückendes Kapitel unserer Parteigeschichte.

Simone Peter, Parteivorsitzende Die Grünen

Die Notwendigkeit hat die Parteispitze der Grünen jedenfalls gesehen. Vor drei Jahren hat der Bundesvorstand die Arbeitsgruppe eingesetzt, um das äußerst unrühmliche Kapitel „Grüne und Pädophilie“ wissenschaftlich zu erforschen. Nun hat sie in einem 328-seitigen Abschlussbericht ihre Erkenntnisse zusammengetragen. Nicht unbedingt zur Freude aller Altvorderen, wie sich darin zeigt.

Bedrückendes Kapitel der grünen Parteigeschichte

Im „Zeitzeugengespräch“ gibt sich Dany alias Daniel Cohn-Bendit unwirsch und wenig willens, die eigene Vergangenheit zu bewältigen. Anfang der 1980er-Jahre habe es Wichtigeres gegeben als die pädophil orientierte Minderheit, welche die frisch gegründete Partei unterwanderte und programmatische Beschlüsse herbeiführte, wie die Abmilderung des Strafgesetzbuch-Paragraphen 176 zum sexuellen Missbrauch von Kindern. Atompolitik, Abrüstung, das seien damals die wichtigen Themen gewesen, versichert Dany. „Ich habe mit Joschka zusammen Realpolitik gemacht. Ich habe mit den ganzen innerparteilichen Diskussionen nichts zu tun.“

Wir haben Pädophilie und sexuelle Kindesausbeutung nicht auf dem Schirm gehabt.

Daniel Cohn-Bendit

Einer der Gesprächsteilnehmer erinnert Cohn-Bendit an die provokativen Passagen in seinem Buch „Der große Basar“ von 1974, in dem er auch von seinen erotischen Erfahrungen als Angestellter in einer Kindergarten-Initiative berichtet. (Original-Ton: „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme.“) Damals habe sich niemand darüber entrüstet, behauptet Cohn-Bendit nun gegenüber der AG Aufarbeitung. Für ihn jedenfalls sei der Text 1984 „erledigt“ gewesen. Entschuldigend fügt er an: „Wir müssen feststellen: Wir haben Pädophilie und sexuelle Kindesausbeutung nicht auf dem Schirm gehabt.“

Wie schwer sich die Grünen mit diesem Teil ihrer Historie tun, dafür ist dieser Abschlussbericht ein aufschlussreicher Beleg. „Die in den Anfangsjahren der grünen Partei geführte Debatte über die Straffreiheit pädosexueller Handlungen ist ein bedrückendes Kapitel unserer Parteigeschichte“, gesteht die Parteivorsitzende Simone Peter im Vorwort. Nach der Distanzierung von pädosexuellen Forderungen Ende der 1980er-Jahre habe die Partei „den Fehler gemacht, diesen Abschnitt als politisch abgeschlossen zu betrachten“.

Mit voller Wucht

Kurz vor der letzten Bundestagswahl erwischte die Grünen die Debatte darüber jedoch mit voller Wucht, so dass sie sich zu einer Aufarbeitung veranlasst sahen. Peter stellt nun klar, auch für Altvordere, die womöglich noch dem alten Traum von der grenzenlosen sexuellen Befreiung nachhängen: „Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern ist immer sexualisierte Gewalt gegen Kinder und eine Form des Machtmissbrauchs, mit schwerwiegenden und zum Teil lebenlangen Folgen für die Betroffenen.“

Die ganze Angelegenheit ist von zeitgeschichtlicher Brisanz. Denn sie gibt den Blick frei auf Schattenseiten der Rebellion der 68er und auf die fehlende Sensibilität im gesellschaftlichen Mainstream der 1970er- und 80er-Jahre für die Grenzen der neuen Freiheit. Denn das geistige Klima der Epoche kam Extremisten entgegen, auch solchen auf dem Feld der sexuellen Befreiung. Belustigt erzählt Alt-Sponti Cohn-Bendit aus seiner Szene-Zeit: „Früher ist man in Frankfurt immer in der Kiesgrube schwimmen gegangen. Da war die ganze Frankfurter Szene samt Kindern nackt. Frauen, Männer und oben die Bauarbeiter, die sich eins abgeguckt haben. Das war eine kollektive Provokation.“ Aber er erinnert sich auch daran, wie die Filmemacher Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta zum verurteilten Päderasten Peter Schult ins Gefängnis pilgerten. Auch der spätere grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele setzte sich noch 1983 für eine vorzeitige Haftentlassung des dann an Lungenkrebs erkrankten Häftlings Schult ein.

Grünen starteten als Sammelbecken für Alternative

In ihrer Gründungsphase verstanden sich die Grünen als Sammelbecken für Alternative, aber auch für Minderheiten vielerlei Couleur. Schwule, Lesben, die Frauenbewegung – aber eben auch Pädophile. In der „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Päderasten und Transsexuelle“, kurz „SchwuP“ genannt, fanden sie innerhalb der neu gegründeten Partei ihre Basis. Schon 1980 schaffte es die Forderung ins Bundesprogramm, wenn auch nur versteckt auf Seite 39 ganz rechts unten: „Die §§ 174 und 176 StGb sind so zu fassen, daß nur Anwendung oder Androhung von Gewalt oder Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses bei sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen sind.“

In der „SchwuP“ drehte sich die Diskussion laut der grünen Aufarbeitungs-AG ebenfalls um die Strafgesetz-Paragraphen 175 und 176, die Homosexualität und Kindesmissbrauch unter Strafe stellten. Und aus dieser Verquickung entstand die unselige Unterstützung für Kinderschänder. „Das Argument, dass die Pädophilen ebenso eine Minderheit waren, die geschützt werden müsste wie die Homosexuellen, führte auch dazu, dass die Pädophiliefrage in der Schwulenbewegung zu einer Identitäts- und Solidaritätsfrage wurde“, heißt es im Bericht der Grünen. Die junge Partei übernahm diese Solidarität. So zitiert das nun veröffentlichte Abschlusspapier einen nicht namentlich genannten Zeitzeugen: „Bei diesem 84er-Beschluss war meines Wissens niemand im Raum, der sich selber als pädophil bezeichnet hat, sondern das war eine Solidaritätsangelegenheit (…) nach dem Motto, wir sind verfolgt, die sind auch verfolgt.“

Bei der geschichtlichen Aufarbeitung der Grünen sieht man, dass es Leute gab, die aus dem Maoismus kamen, und auch welche, die bei der Stasi waren. Man kann aber nicht sagen, dass die Grünen die Stasi waren. Genauso gab es Pädophile, aber man kann nicht sagen, dass die Grünen Pädophile waren.

Daniel Cohn-Bendit, Grünen-Mitbegründer

Dass dies offenbar unterhalb des Radars vieler Parteimitglieder geschah, verwundert. Dass es kaum Widerspruch gab, noch viel mehr. Laut dem Bericht formierte sich Widerstand im frauenbewegten Flügel der Partei. „Eine Wende im Denken trat im Grunde erst ein, als von Seiten der Frauenbewegung die Frage des Missbrauchs, zunächst aber misslicherweise nur des Missbrauchs an Mädchen, thematisiert wurde“, erinnert sich eine weitere anonyme Zeitzeugin. Zerknirscht hält der Abschlussbericht fest: „Zu einer Zeit, in der die Diskussion um Sexualität sowie über mögliche Opfer von Sexualität noch neu war und daher eine Sensibilisierung für sexuellen Missbrauch erst noch im Entstehen war, bot die grüne Partei ein Forum für pädophile Forderungen.“

Ganz gewöhnliche Kriminelle

Zum Teil sind solche Entgleisungen wohl der wilden Entstehungsphase junger Protestbewegungen geschuldet, die ein liberaler, zum Radikalen tendierender Zeitgeist beflügelt. Adrian Koerfer, der ebenso wie der Ur-Grüne Cohn-Bendit die wegen Kindesmissbrauchs in Verruf geratene Odenwaldschule besucht hat und selbst Opfer wurde, nimmt in einem Textbeitrag zu dem Aufarbeitungs-Papier der Grünen die Freiheitskämpfer-Beweihräucherung mancher Parteigründer ins Visier: „Die wenigsten Täter im Bereich Kindesmissbrauch sind so genannte Pädophile. Die meisten von ihnen sind ganz gewöhnliche Kriminelle, die ohne jedes Gedenken an die Folgen ihrer Taten Kinder selbstsüchtig missbrauchen, benutzen, erniedrigen, in Abhängigkeit zwingen, sie unendlich tief hinab ziehen und beschmutzen. Viele Opfer des pädosexuellen Kindesmissbrauchs kommen bis heute kaum vor die Tür, sind nicht in der Lage, Anträge auf Anerkennungszahlungen zu stellen, sind nicht in der Lage zu Ämtergängen.“

Entschädigung für Opfer

Im Zuge der Vergangenheitsbewältigung haben sich nach Angaben der Grünen bislang zwölf Missbrauchsopfer bei ihnen gemeldet. In der Hälfte der Fälle sei zwar kein direkter Zusammenhang mit der Partei ersichtlich gewesen. In drei Fällen hätten die Betroffenen jedoch eine Geld-Zahlung in Anerkennung ihres Leids erhalten, weil eine „institutionelle Mitverantwortung“ der Grünen nicht auszuschließen sei.