Planet mit Fieberschub: Beim UN-Klimagipfel verhandeln Regierungsvertreter aus aller Welt die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris. (Grafik: Imago/Ikon Images)
Umwelt

Getrocknete Tränen der Rührung

Ein Jahr nach dem Abkommen von Paris ringen Vertreter aus 200 Staaten beim UN-Klimagipfel in Marrakesch um die Umsetzung. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist mit den Kabinettskollegen Gerd Müller und Christian Schmidt (CSU) angereist. Im Gepäck haben sie den gerade noch rechtzeitig beschlossenen Klimaschutzplan der Regierung, den Hendricks' Parteichef Sigmar Gabriel schwer zerpflückt hat.

Beinahe ein Jahr ist es her, dass Staats- und Regierungschefs aus aller Welt beim Klima-Gipfel in Paris teils unter Tränen der Rührung einen für historisch erklärten Durchbruch feierten: Das Abkommen sieht vor, die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Bundeskanzlerin Merkel schlug einen für sie ungewohnt hohen Ton an: „Das ist eine echte Weichenstellung der Welt in Richtung Energiewende, eine Weichenstellung der Welt in Richtung Vernunft im Blick auf die Veränderungen des Klimas.“

Zwischen Elektro-Rädern und Solarkraftwerken

Seit Anfang November ist das Abkommen auch in Kraft getreten. Doch damit aus dem erhabenen Plan auch nüchterne Realität wird, liegen vor der Weltgemeinschaft noch eine Menge politischer Arbeit und noch mehr ökonomische Anstrengungen. Bei der so genannten Vertragsstaatenkonferenz in Marrakesch, die bis 18. November läuft, ringen Vertreter aus mehr als 200 Staaten schon seit mehr als einer Woche um Fortschritte. In dieser Woche langen die Verhandlungen beim UN-Weltklimagipfel auf Ministerebene an. Für die Bundesregierung sind Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (beide CSU) auf dem Konferenzgelände in der marokkanischen Metropole.

Ministerin Hendricks hält am Mittwoch-Nachmittag das Statement für die Bundesrepublik. Parallel zu der riesigen Konferenz laufen zahllose Veranstaltungen mit Lobbygruppen und UN-Organisationen. So empfängt die Ministerin morgens eine Abordnung des World Wildlife Fund, die per E-Bike von Berlin nach Marrakesch geradelt ist. Am Donnerstag besucht sie im Wüstenort Ouarzazate am Rand der Sahara ein solarthermisches Kraftwerk. Wieviel substanzielle Fortschritte dabei ein Jahr nach dem Paris-Abkommen tatsächlich erreicht werden können, muss sich zeigen. Immerhin hat sich die Große Koalition in Berlin die Peinlichkeit erspart, dass Ministerin Hendricks ohne handfeste nationale Beschlüsse zu der ehrgeizigen internationalen Treibhausgas-Konferenz reisen muss. Ende vergangener Woche beschloss das Kabinett Merkel nach monatelangem heftigem Streit einen Klimaschutzplan bis 2050. „Das ist ein wichtiges Signal, dass Deutschland beim Klimaschutz handlungsfähig bleibt“, erklärte Frau Hendricks erleichtert.

Klimaschutzplan eingedampft

Dabei war der Sozialdemokratin ihr eigener Parteichef Sigmar Gabriel in seiner Funktion als Wirtschaftsminister schwer in die Parade gefahren. Zwar plant die Regierung, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Doch angepeilte Vorgaben für die Industrie sollen 2018 noch einmal überprüft werden – nach der nächsten Bundestagswahl. Zudem setzte Gabriel durch, dass Industrie und Energiekonzerne ihren Kohlendioxid-Ausstoß bis 2030 weniger stark zurückfahren müssen als zuletzt vorgesehen. Vor allem für die Stahlindustrie soll es Ausnahmen bei der Reform des europäischen Handels mit Verschmutzungsrechten geben. Immerhin konnte Hendricks durchsetzen, dass es nun bis 2030 ein verbindliches Ziel zur Minderung von CO2 gibt – nämlich von 55 Prozent, die auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche heruntergebrochen werden sollen. Die Sektoren Verkehr und Agrar kommen nicht mehr um einen konkreten Beitrag beim Klimaschutz herum. Hier verlief auch eine Konfliktlinie mit ihrem derzeitigen Maghreb-Reisegefährten, dem CSU-Landwirtschaftsminister Schmidt. Bei einer Präsentation in Marrakesch behauptete Hendricks, die deutsche Strategie sei eine „klare Ansage“.

Deutschland bleibt beim Klimaschutz handlungsfähig.

Barbara Hendricks, Bundesumweltministerin

Der Agrarminister betonte auf einem Gipfel-Event am vergangen Freitag: „Die Landwirtschaft hat selbst ein großes Interesse am Klimaschutz. Wie keine andere Branche sind wir direkt betroffen von den Auswirkungen des Klimawandels und deswegen auch Teil der Lösung.“ Sein Ziel sei es, „dass Land- und Forstwirtschaft noch stärker als Speicher von Treibhausgasen dienen – ohne die weltweite Ernährungssicherung zu gefährden“, versicherte Schmidt.

Land- und Forstwirtschaft tragen schon heute in großem Umfang zum Klimaschutz bei: Boden, Wald und Holz nehmen Kohlenstoffdioxid auf und entlasten die Atmosphäre.

Christian Schmidt, Bundeslandwirtschaftsminister

Nachdem die Tränen der Rührung von vor einem Jahr getrocknet sind, zeigt sich dennoch, wie schwer sich Industriestaaten wie Deutschland mit den Beschlüssen von Paris tun. Schwergewichte der Weltwirtschaft wie die USA, China, Brasilien und Indien haben dieses Abkommen zwar inzwischen ratifiziert – der Vorgänger, das Kyoto-Protokoll, krankte all die Jahre am Mangel an Unterstützerstaaten. In Europa haben die nationalen Parlamente in Deutschland und Frankreich zugestimmt.

Doch der neu gewählte US-Präsident Donald Trump hat das Abkommen in seinem Wahlkampf bereits in Frage gestellt. Wie Teile der republikanischen Partei bezweifelt er, dass der Klimawandel überhaupt vom Menschen verursacht sei. Steht die komplette UN-Konferenz in Marrakesch damit in Frage? Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hofft auf die Einsicht des neuen starken Mannes im Weißen Haus. Die ganze Welt habe sich mittlerweile zum Kampf gegen die Erderwärmung verpflichtet, sagte Ban bei der Konferenz. „Ich bin sicher, dass er das verstehen wird als Präsident der Vereinigten Staaten. Er wird zuhören. Er wird seine Bemerkungen aus dem Wahlkampf auf den Prüfstand stellen.“

Plus 1,2 Grad bislang – und die Fieberkurve steigt weiter

Dabei sind Maßnahmen gegen die weitere Erderwärmung dringender nötig denn je. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat beim Gipfel von Marrakesch ihren jüngsten Bericht vorgestellt. Laut ihren Daten ist 2016 das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Im Schnitt lag die Temperatur rund 1,2 Grad über dem Niveau vor dem Industriezeitalter. Dabei habe das Klimaphänomen El Niño die Temperaturen außerordentlich hochgetrieben. „Der Klimawandel ist schneller als der politische Prozess“, mahnt WMO-Direktor Maxx Dilley.