Die Ausbildung der Pfleger in Deutschland wird reformiert. (Bild: Imago/Westend61)
Melanie Huml

Die Pflege aufwerten

Interview Die Bayerische Staatsregierung hat eine "Vereinigung der bayerischen Pflege" gegründet, Einige Verbände fordern eine Pflegekammer, um ihre Interessen damit besser durchsetzen zu können. Der Bayernkurier sprach mit Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml darüber – und wie man die Pflege stärken kann.

Bayernkurier: Die Staatsregierung hat für die Pflegekräfte eine „Vereinigung der bayerischen Pflege“ mit freiwilliger Mitgliedschaft ins Leben gerufen. Welche Aufgaben soll diese Vereinigung konkret wahrnehmen?

Melanie Huml: Die Pflege ist die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Die Pflegekräfte in Bayern leisten tagtäglich mit engagiertem Einsatz Großartiges für die Menschen. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass sie eine kraftvolle Interessenvertretung erhalten. Der Pflege soll auch eine Teilhabe an der politischen Willensbildung gesichert werden.

Die Vereinigung der bayerischen Pflege wird bei allen Gesetzgebungsverfahren und sonstigen Vorhaben der Staatsregierung, die die Pflege betreffen, angehört und eingebunden. Sie wird als wichtiger Ansprechpartner der Politik die Interessen der Pflege in Bayern wirkungsvoll vertreten. Mein Ziel ist dabei auch, dass die Pflege in Bayern aufgewertet wird. Denn wir wollen mehr junge Menschen für die Pflegeberufe begeistern. Die Vereinigung der bayerischen Pflege soll zudem die Qualität in der Pflege weiterentwickeln. Dazu kann sie etwa im Bereich der Fort- und Weiterbildung tätig werden oder an der Entwicklung von Qualitätsrichtlinien in der Pflege mitarbeiten.

Bayernkurier: Die Heilberufe haben Kammern. Auch die Berufsverbände der Pflegenden forderten eine Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht. Warum wurde keine solche Pflegekammer Mitgliedschaft geschaffen?

Huml: Wichtig ist für mich, wie die Pflegekräfte selbst das Thema sehen. Und im Gegensatz zu den Berufsverbänden sind viele Pflegekräfte gegen eine Pflichtmitgliedschaft und eine Belastung mit Pflichtbeiträgen. Das hat eine repräsentative Umfrage im Jahr 2013 unter den beruflich Pflegenden in Bayern gezeigt. Zwar haben damals 50 Prozent der Pflegekräfte auf die Frage, ob in Bayern eine Pflegekammer eingerichtet werden soll, mit ‚Ja‘ geantwortet. Es stimmten aber 34 Prozent mit ‚Nein‘ – und 16 Prozent hatten hierzu keine Meinung oder haben sich nicht geäußert. Gefragt wurde zudem auch nach möglichen negativen Aspekten einer Pflegekammer. Dabei lehnten 48 Prozent der Befragten eine Pflegekammer aufgrund der Pflichtmitgliedschaft ab – und 51 Prozent waren der Meinung, dass eine Pflegekammer aufgrund des Mitgliedsbeitrags abzulehnen sei.

Eine Pflegekammer kann keinen Einfluss auf Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse der Pflegenden nehmen.

Melanie Huml

Diese Stimmungslage berücksichtigt mein Modell, das unter anderem von vier von fünf Wohlfahrtsverbänden und den Gewerkschaften unterstützt wird. Der Gesetzentwurf zur Errichtung einer Vereinigung der bayerischen Pflege ist das Ergebnis einer mehrjährigen und intensiven Diskussion mit allen Beteiligten. Auch mit den Befürwortern einer klassischen Pflegekammer habe ich natürlich mehrfach gesprochen.

Bayernkurier: Hunderte Pflegekräfte haben am Tag der Abstimmung im Kabinett gegen die „Vereinigung“ protestiert. Sie bezeichnen diese als „Placebo, schöner Name, keine Wirkung“, die den „gewaltigen Problemen in ihrem Arbeitsalltag“ – zu wenige Pfleger werden eingesetzt, Nachwuchsmangel, zu niedrige Bezahlung, fehlende Qualitätskontrollen – nicht gerecht werden könne. Sie bräuchten mehr Einfluss auf die Politik. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Huml: Es ist schade, dass der Landespflegerat bei der Schaffung einer sinnvollen Interessenvertretung für die Pflegekräfte in Bayern nicht mitgewirkt hat. Diese Haltung dient nicht den Interessen der Pflegenden. Bedauerlich ist auch, dass der Landespflegerat mit unzutreffenden Vorwürfen und Behauptungen arbeitet. Anders als oft suggeriert, löst die vom Landespflegerat favorisierte Kammer die genannten Probleme nicht. Denn eine Pflegekammer kann keinen Einfluss auf Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse der Pflegenden nehmen. Es ist allein Sache der Tarifparteien, also der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, dies auszuhandeln. Auch auf die jeweiligen Berufsgesetze und die Ausbildung hat eine Pflegekammer keinen Einfluss. Und was den geforderten Einfluss auf die Politik betrifft: Die Vereinigung der bayerischen Pflege wird für eine starke Interessenvertretung der Pflegekräfte sorgen, die gegenüber der Politik ein gewichtiges Wort mitspricht. Der Gesetzentwurf sieht die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vor – und damit die gleiche Rechtsform wie die Heilberufekammern, mit denen ‚auf Augenhöhe‘ verhandelt werden kann.

Bayernkurier: Die Bevölkerung wird immer älter, damit wächst in den nächsten Jahren auch stetig die Zahl der zu Pflegenden. Bei all den genannten Mängeln wird sich ohne Gegenmaßnahmen auch noch die Zahl der Pfleger reduzieren. Wie will die Staatsregierung hier gegensteuern? Anerkennung für den Beruf sollte sich laut Umfragen unter Arbeitnehmern immer auch im Gehalt widerspiegeln.

Huml: Ich setze mich schon seit Jahren dafür ein, dass  der Pflegeberuf attraktiver wird. Wichtig ist dabei neben einer guten Ausbildung und mehr Personal auch ein angemessener Lohn. Es darf nicht der Arbeitgeber im Nachteil sein, der gerechte Löhne zahlt. Die Politik kann natürlich nicht Tarifverhandlungen beeinflussen. Ich habe mich aber bereits vor zwei Jahren erfolgreich im Bundesrat dafür eingesetzt, dass gezahlte Tariflöhne im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen von den Kassen und Sozialhilfeträgern nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. In Bayern wird die Tarifvergütung bereits seit 2013 in den Pflegesätzen von den Pflegekassen berücksichtigt.

Bayernkurier: Und neben dem Gehalt?

Huml: Bayern hat zudem die erfolgreiche Kampagne ‘HERZWERKER‘ ins Leben gerufen, um mehr Fachkräfte für die Pflege zu gewinnen. Die Schülerzahlen in der Altenpflege in Bayern sind seit dem Schuljahr 2009/2010 um fast 40 Prozent gestiegen. Darauf wollen wir aufbauen.

Wir müssen vielmehr insgesamt die beruflichen Perspektiven in der Pflege interessanter machen.

Melanie Huml

Außerdem hat die Staatsregierung dafür gesorgt, dass die Schüler für die Altenpflegeausbildung in Bayern kein Schulgeld mehr zahlen müssen – anders als in anderen Bundesländern. Ferner habe ich den bayerischen Pflegegipfel gestartet, der im September dieses Jahres zum ersten Mal stattgefunden hat. Mein Ziel ist eine verstärkte Zusammenarbeit bei dieser gesellschaftlichen Aufgabe. Deshalb habe ich sowohl Vertreter der Pflegeberufe und der Wissenschaft eingeladen als auch der Kassen, Kommunen und Einrichtungsträger sowie von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Sie sehen also: Wir kümmern uns intensiv um dieses wichtige Thema.

Bayernkurier: Können und dürfen wir die Pflege nur noch durch Pflegekräfte aus dem Ausland sicherstellen – die aber wegen Sprachproblemen nicht immer eine geeignete Hilfe sein können?

Huml: Nein, das ist keine Lösung. Wir müssen vielmehr insgesamt die beruflichen Perspektiven in der Pflege interessanter machen. Ich denke zum Beispiel auch an Quereinsteiger, die sich nach der Familienphase oder der Pflege eines Angehörigen eine Tätigkeit in der Pflege vorstellen können. Mit unserer ‚HERZWERKER‘-Kampagne ist es gelungen, die Auszubildenden-Zahlen in der Pflege zu steigern. Das zeigt, dass nicht nur durch mehr Zuwanderung zusätzliche Pflegefachkräfte gewonnen werden können. Klar ist auch: Pflege braucht Kommunikation – ohne große Sprachbarrieren.“

 

Das Interview führte Andreas von Delhaes-Guenther.