Diesmal könnte es eng werden für Gregor Gysi. (Bild: Stefan Zeitz/Imago)
Falschaussage unter Eid?

Generalstaatsanwalt will Gysi anklagen

In der Hamburger Justiz bahnt sich ein Eklat an. Laut Medienberichten hat der Hamburger Generalstaatsanwalt Lutz von Selle Weisung erteilt, den Linken-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, anzuklagen – wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung, die er zu seinen möglichen Stasi-Kontakten abgegeben hat.

Wie NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“ weiter berichten, weigert sich der zuständige Staatsanwalt aber, Anklage zu erheben, und hat deshalb Beschwerde bei Justizsenator Till Steffen (Grüne) eingelegt. Der muss nun entscheiden. Die Hamburger Justizbehörde bestätigte Berichte über Differenzen in der Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen zu Stasi-Vorwürfen gegen Gysi. Es liege „die Beschwerde eines Beamten gegen eine von ihm als nicht rechtmäßig angesehene Weisung zur Entscheidung vor“, teilte eine Sprecherin mit. Ob die Weisung rechtmäßig sei, werde derzeit geprüft.

„Ich habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet.“ Dieser Satz stammt aus einer eidesstattlichen Versicherung, die der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi, am 18. Januar 2011 unterschrieben hat.Gysi legte sie damals dem Hamburger Landgericht vor, um sich gegen eine Dokumentation des NDR zu wehren, die unter dem Titel „Die Akte Gysi“ in der ARD ausgestrahlt worden war. Darin ging es um angebliche Kontakte des damaligen DDR-Rechtsanwalts Gregor Gysi zur Stasi und um die Frage, ob Gysi als „IM Notar“ und/oder „IM Gregor“ an die Staatssicherheit berichtet hatte. Daraufhin hatten 2012 die Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld sowie ein pensionierter Richter Gysi wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung angezeigt.

Drei Fälle: Schwarz, Klingenstein, Henrich

Die Vorwürfe konzentrieren sich auf drei konkrete Fälle: Laut Recherchen der „Welt“ hatte Gysi einen Tag nach einem offiziellen Interview mit dem damaligen DDR-Korrespondenten des Magazins „Spiegel“, Ulrich Schwarz, Mitte Februar 1989 zwei Stasi-Offizieren ausführlich Bericht erstattet. Das entsprechende Dokument ist laut „Welt“ in der Stasi-Unterlagen-Behörde gefunden worden. Kurz danach musste Gysi dieses Treffen mit der Stasi einräumen –  was sein Sprecher zuvor noch bestritten hatte.

Zweiter Fall: Im Mai 2008 unterlag Gysi vor dem Berliner Verwaltungsgericht mit einer Klage gegen die Veröffentlichung mehrerer Protokolle über Robert Havemann und den –  laut diesen Berichten –  zur DDR-Führung „negativ eingestellt[en]“ Thomas Klingenstein, im Stasi-Jargon „Erwin“ genannt. In einem der Protokolle ist die Rede von einer Autofahrt eines IM mit „Erwin“. Das Protokoll wird von der Stasiunterlagenbehörde und von Klingenstein selbst auf die Rückfahrt von einem Besuch bei Havemann am 3. Oktober 1979 bezogen. In dem Bericht heißt es: „Der IM nahm ‚Erwin‘ mit in die Stadt und erfuhr zur Person folgendes […]“. Die damalige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, erklärte, es gebe in ihrem Haus keine Zweifel daran, dass der IM nach Aktenlage „nur Gregor Gysi gewesen sein“ könne. Der ARD sagte sie, es gebe Erkenntnisse, dass Gysi „wissentlich und willentlich“ die Stasi unterrichtet habe. Klingenstein selbst erklärte, er sei mit niemandem außer Gysi auf der Rückfahrt zusammen gewesen, der Text könne sich daher nur auf Gysi beziehen.

Dritter Fall: In einer weiteren NDR-Dokumentation von 2013 wird ein weiterer Fall geschildert. Laut Stasi-Dokumenten habe Gysi im März 1989 mit Stasi-Leutnant Uwe Berger über den Ex-Anwalt, Ex-SED-Funktionär und Dissidenten Rolf Henrich gesprochen. In dem Vermerk fasste der Nachwuchsoffizier am 29. März 1989 zusammen: „Er [Gregor Gysi] wisse z. B. nicht einmal in Bezug auf den ehemaligen Rechtsanwalt Henrich, wie staatlich entschieden werde, obwohl eigentlich die Tatbestände des § 106 StGB erfüllt seien.“ Dieser Paragraf des DDR-Strafgesetzbuches gegen „staatsfeindliche Hetze“ sah eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren vor.

Mit allen Mitteln

Gysi hat sich seit dem Mauerfall immer wieder mit allen rechtlichen Mitteln gegen den Vorwurf gewehrt, er habe Mandanten an die Staatssicherheit verraten. Auch einen Bericht des Bundestages von 1998 focht er gerichtlich an, in dem nach dreijähriger Untersuchung „eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi“ für das Ministerium für Staatssicherheit „als erwiesen festgestellt“ wurde. Er unterlag jedoch mit seiner Klage vor dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht, auch wenn letzteres nicht über den Wahrheitsgehalt des Spitzelvorwurfs urteilte.

Eine herausragende sozialistische Karriere

Gysi arbeitete in der DDR als Rechtsanwalt, war von 1988 bis 1989 sogar Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in Ost-Berlin sowie gleichzeitig Vorsitzender der 15 Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR. Er hatte im Rahmen seiner Tätigkeit Kontakt mit Ausreisewilligen und anderen Dissidenten. In der alles kontrollierenden Diktatur der DDR war es ausgeschlossen, dass jemand nicht absolut Linientreues in solche wichtigen und politisch heiklen Ämter kommt. So wurde in das „Anwaltskollektiv“ nur aufgenommen, wer dem „sozialistischen Staat eng verbunden“ war. Und das war der spätere Linken-Politiker: Schon Gysis Vater war unter anderem Kulturminister und diente als IM „Kurt“ der Staatssicherheit als Spitzel. Die Mutter war Abteilungsleiterin im DDR-Kulturministerium. Auch einen Jura-Studienplatz an der Berliner Humboldt-Universität erhielten nur besonders „Systemtreue“ – wie Gregor Gysi. Mit 19 trat er der SED bei und musste nicht mal den obligatorischen Armeedienst leisten. Sein Aufstieg ging ungewöhnlich schnell, bereits 1983 wurde er SED-Parteisekretär in seinem Anwaltskollegium, 1988 wurde er dessen Vorsitzender. Die Stasi ist bei der Besetzung solcher Ämter vorher gefragt worden, sie misstraute Gysi also zumindest nicht. Laut dem Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, waren die weniger als 650 Anwälte in der DDR keine unabhängigen Rechtsvertreter wie im Westen, sondern „Teil der gleichgeschalteten SED-Justiz“ (Quelle: Hubertus Knabe, „Honeckers Erben – Die Wahrheit über die Linke“, Propyläen-Verlag 2009).

Die Wende

Ab 9. Dezember 1989 war Gysi Vorsitzender der DDR-Staatspartei SED sowie eine Woche später der umbenannten SED-PDS. Er war laut Knabe neben DDR-Ministerpräsident Hans Modrow maßgeblich daran beteiligt, dass die SED nicht aufgelöst und ihr Vermögen nicht beschlagnahmt wurde. Im Zusammenhang mit dem Verbleib des SED-Vermögens wurde ihm seitens der „Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ vorgeworfen, er sei aktiv an der Verschleierung des SED-Parteienvermögens beteiligt gewesen und habe im Putnik-Deal versucht, mit Hilfe der KPdSU SED-Gelder ins Ausland zu verschieben, um sie vor dem Zugriff staatlicher Stellen zu sichern. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags berichtete 1998, Gysi habe Aussagen zur Sache verweigert.